Bewegungsapparat

Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Es gibt Begriffe, die den Berufsalltag des Heilpraktikers wie selbstverständlich begleiten. Dabei verwenden wir häufig Worte, ohne tiefer in sie hineinzuspüren oder ein wenig über sie nachzudenken. Doch manchmal lohnt sich ein Innehalten. Zum Beispiel beim Wort Bindegewebe. Im Pschyrembel wird es definiert als „aus dem mittleren Keimblatt hervorgegangenes Gewebe, das weitmaschige Zellverbände mit viel Interzellularsubstanz bildet.“


Bindegewebe besteht aus ortsständigen und mobilen Zellen sowie einer Interzellularsubstanz, die sich wiederum aus Grundsubstanz und Fasern zusammensetzt. Soweit zur äußeren Form.

Im Zusammenhang mit dem Schachtelhalm ist jedoch die im Wort selber enthaltene Funktionsbeschreibung von Interesse: Bindegewebe verbindet. Es sorgt dafür, dass die Organe im Organismus nicht auseinanderfallen, sondern getragen werden und in eine feste Ordnung eingefügt sind. Und es sorgt auch dafür, dass zwischen den einzelnen Organen der vorgesehene Abstand eingehalten wird. Bindegewebe regelt gewissermaßen die Nähe und Distanz, die zwischen den verschiedenen Funktionseinheiten im menschlichen Körper herrschen sollen. So macht es wenig Sinn, wenn der Magen im kleinen Becken oder die Blase unter dem Brustbein angesiedelt wäre. Durch die Anwesenheit von Bindegewebe hat alles seinen richtigen Ort und bleibt am richtigen Platz. Es regelt die Beziehungen zwischen den Organen und übernimmt damit die Funktion eines Ordnungshüters. Ordnung und Strukturierung sind sein zentrales Thema. Diese Funktion kann Bindegewebe jedoch nur übernehmen, wenn es Festigkeit besitzt. Man kann es im übertragenen Sinne auch so formulieren: Nur derjenige kann ordnend wirken, der selber über Halt verfügt. Um eine Struktur herzustellen und aufrecht zu erhalten, braucht es Kraft. Diese Kraft erhält das Bindegewebe unter anderem durch seinen Gehalt an Silicium.

Über diesen Mineralstoff gibt es eine enge Verwandtschaft zum Ackerschachtelhalm, Equisetum arvense. Er ist eine Pflanze mit außergewöhnlich hohem Kieselsäuregehalt und nicht zuletzt deshalb die wichtigste Heilpflanze für die Reinigung des Bindegewebes und die Anregung von Formbildeprozessen im menschlichen Körper.

Ackerschachtelhalm – Wiederherstellung der natürlichen Ordnung

Die enge Beziehung von Equisetum zu Ordnung und Struktur wird an seiner Pflanzengestalt deutlich erkennbar. Es fällt auf, dass die oberirdischen Teile der Pflanze nicht die übliche Gliederung von Stängel, Blatt und Blüte aufweisen. Statt ausladender Blätter finden sich nur kleine, den Stängel und die Seitentriebe umfassende Blattscheiden. Die Pflanze bildet keine Blüten aus. Man bekommt den Eindruck, dass der Ackerschachtelhalm sich auf das absolut Notwendige beschränkt, derart konzentriert und minimalistisch ist seine Gestalt. Die Pflanze wirkt wie ein nacktes Skelett. In ihrem gerüstartigen Aussehen lässt sich jedoch eine einheitlich durchgehende Gliederung und Strukturierung erkennen: Stängel und Seitentriebe sind aus ineinander geschachtelten Abschnitten aufgebaut. Daher auch der Name Ackerschachtelhalm. Man hat den Eindruck, die einzelnen Abschnitte seien bei den Blattscheiden ineinander gesteckt. Auch die Oberfläche des Stängels weist eine klare Strukturierung auf, denn die Außenseite der einzelnen Abschnitte ist durch Längsrillen eingedellt. Wohin man auch schaut, überall finden sich geometrische Muster. Seien es die ineinandergeschachtelten Abschnitte der Seitentriebe, die Längsrillen der Stängel oder die sechseckigen Schilder der Sporangienträger. Es entsteht der Eindruck einer fast mathematisch konstruierten Pflanzengestalt.

Zerkaut man einen Seitentrieb von Equisetum, so knirscht es zwischen den Zähnen. Verantwortlich dafür ist der hohe Kieselsäuregehalt (Siliciumdioxid, Quarz). Dadurch entstehen feine Putzkörperchen und eine Scheuerwirkung, die man sich in früheren Zeiten zum Polieren von Zinngeschirr zunutze gemacht hat. Der andere Name des Ackerschachtelhalms, Zinnkraut, geht auf diese Verwendung zurück.

Die starke Strukturierung der Pflanzengestalt und ihr hoher Kieselsäuregehalt lassen den Ackerschachtelhalm als „Pflanze gewordener Kristall“ erscheinen. „Die Kieselsäure ist im Innern so dicht und stark vernetzt, dass bei der Verbrennung die ursprüngliche Pflanzengestalt ein weißes Aschegerüst erhalten bleibt“ (Kalbermatten). In der Pflanzenwelt ist Ackerschachtel- ...

Literatur:
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Theodor Dingermann, Dieter Loew: Phytopharmakologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau 2002
Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. De Gruyter, 259. Auflage, Berlin 2002
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002
Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Band 6. Mediamed Verlag, Ravensburg 1988
Artur Burger, Helmut Wachter: Hunnius – Pharmazeutisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin 2004
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathica. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart 2003
Rudolf Fritz Weiß: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991

Anschrift der Verfasserin:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München



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Naturheilpraxis 12/2013