Volkskrankheit Stress

Melissa officinalis – Nervinum und lokales Virustatikum

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Das lateinische nervosus bedeutete in der römischen Antike ursprünglich sehnig, muskulös und kraftvoll. Unter den Nerven verstand man damals noch nicht die Organe der Empfindung, sondern schlichtweg Sehnen als Träger von Spannkraft und Lebenskraft. Erst im Mittelalter ereignete sich die Bedeutungsverschiebung hin zu Nerven als Trägern von Empfindungen und als Synonym für die psychische Konstitution eines Menschen. „Es gibt eine Macht, die sogar der Migräne noch überlegen ist: erstens die klassische Nervosität, zweitens die romantische Nervosität“, schrieb dann der französische Dichter Honoré de Balzac im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter von Hysterie und Neurasthenie.


„Nervosität“ als unspezifisches, multikausales und oft auf Selbstdiagnose beruhendes Krankheitsbild legitimiert vor allem unter älteren Mitbürgern den chronischen Konsum von sog. Melissengeist, der wegen seines hohen Alkoholgehaltes (bis zu 80%) nur mit Vorsicht genossen werden sollte. Das Destillat aus der echten Melisse hat eine lange Geschichte: Sie geht auf das ursprüngliche Rezept des Karmelitergeistes, Spiritus Melissae compositus, zurück, der nach Vorschrift des DAB trotz seines Namens keine Melisse enthält, sondern Oleum Citronellae, das auch unter der synonymen Bezeichnung Oleum Melissae bekannt ist. Oleum Citronellae stammt von einer in Ostindien vorkommenden und vor allem auf Java, in Ceylon und Guatemala kultivierten Grasart Cymbopogon nardus, die einen zitronenartigen und melisseähnlichen Geruch aufweist. Ihr ätherisches Öl, Citronellöl, wird auch in der Parfümindustrie reichlich verwendet. Die ursprünglichen Vorschriften für den im 16. Jh. von den Pariser Karmelitern komponierten Karmelitergeist geben allerdings ein Destillat aus der echten Melisse mit anderen Kräutern an.

Sanft bedeckend und behütend

Melissa officinalis leitet ihren Namen vom Griechischen melissa – Honigbiene ab. Bereits im Altertum hat man beobachtet, dass Bienen diese Pflanze, wie auch andere Lippenblütler, ausgesprochen gern besuchen. Seit der Antike ist Melisse als Bienenfutter-, Heil- und Gewürzpflanze bekannt. Das ausdauernde Kraut wird 30 – 80 cm hoch und entwickelt eiförmige bis rhombische Laubblätter, die sich in der Horizontale ausbreiten und alles Darunterliegende sanft bedecken. Die Signatur der Melisse ist ausgesprochen interessant: Ein Bestand an Melissenpflanzen bildet ein regelrechtes Gewölbe. Auch jedes einzelne Blatt besteht aus zahlreichen Wölbungen zwischen den feinen Blattnerven. Sie erinnern spontan an die Wölbungen einer liebkosenden Hand. Die Melisse strebt nicht, wie man es von anderen Pflanzen kennt, steil nach oben, sondern erinnert eher an ein aufgespanntes Dach, das alles Darunterliegende schützend zudeckt. Schon das bloße Anschauen dieser Pflanze wirkt auf den Betrachter beruhigend und besänftigend

Obwohl man die Melisse optisch als weich und zart empfindet, sind ihre Blätter ausgesprochen zäh und ihre Struktur sehr fest. Der zitronenartige Duft geht auf den Gehalt an ätherischem Öl zurück, das wegen der großen Pflanzenmenge, die zu seiner Gewinnung nötig wäre, fast unbezahlbar ist. Nicht zuletzt deshalb greift man meist auf das ähnlich duftende indische Citronellgras zurück. Echtes ätherisches Melissenöl ist zudem so flüchtig und instabil, dass ein halbes Jahr nach der Ernte schon bis zu 60% verflogen ist. Wer das Zitronenaroma eines Melissentees schätzt, sollte die Blätter frisch verarbeiten bzw. nach der Trocknung absolut luftdicht verpacken und nicht zu lange lagern.

Polychrest der Phytotherapie

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Pharmakologie

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Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis

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Zubereitungsformen

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Literatur:
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Theodor Dingermann, Dieter Loew: Phytopharmakologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathica. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau 2002
Roger und Hildegard Kalbermatten: Pflanzliche Urtinkturen. Wesen und Anwendung. AT Verlag, Baden und München 2005
Rudolf Fritz Weiß: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002
Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Band 8. Mediamed Verlag, Ravensburg 1989

Anschrift der Verfasserin:
Quinta Essentia
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 11/2013