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Stellungnahme

Tiergeister im Schamanentum

Frank Röpti

Eine weltweit verbreitete Besonderheit des praktischen Schamanismus ist dessen Verbundenheit mit spirituellen Wesen der nichtalltäglichen Wirklichkeit. Es sind die Geister, die dem Schamanen als Verbündete zur Seite stehen, ihn mit Kraft und Wissen versorgen und auf seinen Reisen durch die nichtstofflichen Welten begleiten, führen und schützen.

Im „neuzeitlichen“ Schamanismus, wie er in der westlichen Welt seit einigen Jahren (wieder) verstärkt praktiziert wird, kommt dem persönlichen Schutz- oder Tiergeist erhebliche Bedeutung zu. Tatsächlich sind die meisten Menschen von Geburt an mit ein oder mehreren schützenden und kraftspendenden Tiergeistern verbunden. Sie sorgen dafür, dass Kinder vor Schaden bewahrt werden und kraftvoll heranwachsen können. Im Idealfall stehen sie auch im Erwachsenenalter zur Seite, führen und schützen „ihren“ Menschen und geben ihm die Stärke, gesund zu bleiben und das Leben erfolgreich zu bewältigen. „Kraft“ ist meiner Erfahrung nach eine der treffendsten Beschreibungen, wie sich die Anwesenheit und das Wirken des Schutzgeistes im Leben eines Menschen bemerkbar machen. Die Bezeichnung „Krafttier“, wie sie heutzutage in der schamanischen Szene des Westens recht stark verbreitet ist, finde ich deshalb durchaus passend.

Für Schamanen gehören Tiergeister zu den wichtigsten Verbündeten. Demgemäß ist eine der vordringlichen Aufgaben für den Lernenden, den eigenen Tiergeist aufzuspüren und eine persönliche Beziehung zu ihm herzustellen. In coreschamanischen1 Basiskursen kommt dieser Aufgabe von vornherein erhebliche Aufmerksamkeit zu. Allerdings ist es unrealistisch anzunehmen, innerhalb eines zwei- oder dreitägigen Kurses das eigene, urpersönliche Krafttier ausreichend kennen zu lernen und fortan vermehrt mit dessen Kraft versorgt zu sein. In manchen Volksgruppen mit heute noch ungebrochener schamanischer Tradition bereiten sich die Novizen lange Zeit darauf vor, ihrem Tiergeist zu begegnen. Meditation, Entsagungen, Fasten und Wildniswanderungen sind dort vollkommen normal, um das Mitleid und die Aufmerksamkeit des persönlichen Verbündeten zu wecken und ihn dazu zu bringen, sich seinem Schützling zu offenbaren. Allerdings sind Grundkurse der schamanischen Technik – wie sie bei uns inzwischen fe ter Bestandteil schamanischer Initiation und Ausbildung geworden sind – durchaus geeignet, eine Entwicklung anzustoßen, die früher oder später tatsächlich Gewissheit bezüglich der eigenen Schutztierkraft geben kann.

Grundsätzlich ist eine der einfacheren Möglichkeiten, zunächst eine oder mehrere schamanische Reisen zu machen. Das Ziel dabei kann schlicht sein, den eigenen Tiergeist zu finden und sich mit ihm zu verbinden. Als ich meine erste Reise in die Unterwelt nach den schriftlichen Anweisungen Michael Harners2 machte, war meine Wahrnehmung sehr undeutlich. Ich „sah“ nur undeutliche Schemen und Schatten. Beim Ruf nach dem Tiergeist löste sich eines dieser Schemen und kam in der Vision auf mich zu gelaufen. Der Schatten schien sich auf vier Pfoten zu bewegen. Er bewegte sich ständig, sprang herum, sprang mich auch immer wieder an und ich hatte das Gefühl, dass er mich abschlecken würde3. Ich konnte jedoch nicht erkennen, was das für ein Wesen war. Eine starke Assoziation, die sofort aufkam war die eines Hundes, aber ich hatte meine Zweifel. Erst einige Tage und Reisen später kristallisierte sich deutlicher heraus, dass es Bruder Wolf war, der mir auf diese Art nahe kam. Er war mein Verbündeter für die nächsten Jahre und führte mich schrittweise in die Grundregeln der schamanischen Wirklichkeit und meines persönlichen Weges ein.

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1 Siehe dazu Foundation for shamanic studies – FSS
2 „Der Weg des Schamanen – Das praktische Grundlagenwerk zum Schamanismus“, M. Harner
3 Diese ausgeprägte Agilität ist im Übrigen ein recht typisches Verhalten für Tiergeister. Ich verstehe das auch als Ausdruck ihrer Vitalität und Kraft. Das Phänomen der ständigen Beweglichkeit korrespondiert nebenbei deutlich mit der Methode des „Tiertanzes“. Wenn Tiergeister in der schamanischen Vision sehr ruhig sind, sich kaum oder gar nicht bewegen und „avital“ wirken, könnte das ein Hinweis auf ein Problem des Tiergeistes sein, welches vielleicht behandelt werden muss. Ein Hinweis, der insbesondere für die Klienten- und Heilarbeit von Bedeutung sein kann.

Anschrift des Verfassers:
Frank Röpti
Heilpraktiker
Brudermühlstraße 9
81371 München
Internet: www.seidh.net
E-Mail: Frank.Roepti@seidh.net

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Naturheilpraxis 10/2013