Gefäße - Herz - Kreislauf

Rosmarin (Rosmarinus officinalis)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Er war verliebt, schwer verliebt, als er die berühmten Verse „In meinen Adern welch ein Feuer! In meinem Herzen welche Glut!“ in seinem berühmten Gedicht „Willkommen und Abschied“ niederschrieb: der 21-jährige Goethe, entflammt für die junge Friederike Brion aus dem elsässischen Dorf Sesenheim. Wenige Gedichte der Deutschen Literatur veranschaulichen den inneren Zusammenhang zwischen Feuer und emotionaler Lebendigkeit in einer sprachlich so vollendeten Form. Und in der Tat eignen sich die Goetheschen Zeilen vorzüglich, um anhand ihrer Dynamik etwas vom Wesen des Rosmarins zu verstehen. Die enormen Wärmequalitäten der Heilpflanze – in der Humoralpathologie gilt sie als warm und trocken im dritten Grad – befähigen sie, das noch nicht entwickelte oder darniederliegende innere Feuer eines Menschen anzufachen.


In Symbolik, Kunst und Literatur wird Feuer häufig mit Sonne, Licht, Herz und Liebe in Verbindung gebracht. Das Feuer kommt vom Himmel. Prometheus, der im Unterschied zu den übrigen Titanen nicht mit rein physischer Kraft, sondern mit geistigen Waffen den Göttervater Zeus überlistete, stahl den Göttern das Feuer und erwies sich damit als Wohltäter der Menschen. Die griechische Naturphilosophie sah in der reinen Energie des Feuers den Ursprung allen Seins und war damit von den heutigen Erkenntnissen der Quantenphysik nicht weit entfernt. Der Kulturphilosoph Oswald Spengler prägte den Satz „Die Erde war einst ein Glutball. Das Leben ist ein Rest des Feuers.“ Wenn man den Begriff des Feuers symbolisch versteht und ihn gleichsetzt mit demjenigen der Energie, die sich bekanntlich als Welle oder Teilchen zeigen kann, wird bald klar, dass der Grad des inneren Feuers oder der inneren Kälte eines Menschen gleichzusetzen ist mit dem Grad seiner Lebendigkeit und dem inneren Angekommensein in seiner Existenz.

Wenn in einem Menschen das „feu sacré“ noch nicht oder viel zu schwach brennt, kann Rosmarin die Wärmekräfte wieder zum Leben erwecken. Rudolf Steiner erkannte, dass Rosmarinus officinalis die Ich-Kräfte des Menschen stärkt. Rosmarin ist die ideale Pflanze für Jugendliche in der Pubertät, die blass, hypoton und lethargisch sind. Die Pubertät ist eine Lebensphase, in der ein Jugendlicher zur Persönlichkeit heranreift. In der ichdurchdrungenen Seele beginnen die Kräfte der Selbstverantwortung zu erwachen.

Gerät dieser Prozess ins Stocken, bringt Rosmarinus den notwendigen Energieschub, um ihn wieder voranzutreiben. Die Pflanze unterstützt die Entfaltung des Sonnenprinzips in der Seele des Menschen und fördert über die Anregung der Ichstärke die Durchwärmung von Kreislauf und Organen. Im Kreislauf macht sich die Pflanzenwirkung darüber bemerkbar, dass das Blut den ihm zur Verfügung stehenden Raum besser ausfüllen kann: Beim niedrigen Blutdruck zieht sich das Blut gewissermaßen von der Gefäßwand zurück oder dehnt sie zumindest nicht kraftvoll genug aus. Die „Ichschwäche“ des Betroffenen zeigt sich in der mangelnden Ausreizung des Gefäßwiderstandes, als wenn da ein Mensch „kalte Füße“ bekommt und sein Blut sich nicht recht traut, den Kontakt mit der Gefäßwand aufzunehmen. Die Wärmekräfte des Rosmarins geben Herz und Kreislauf die Energie, um mit dem Blut „bis an die Grenze zu gehen“ und den zur Verfügung stehenden Gefäßraum stärker auszuweiten, d. h. intensiver zu nutzen, um dadurch mehr Sauerstoff in das Kapillargebiet zu treiben und die ATP-Bildung in den Zellen zu steigern.

Noch ein weiterer Aspekt gesellt sich hinzu: Feuer entsteht durch Reibung. Das brachte man in vielen Kulturen in Verbindung mit Sexualität. Feuer ist das lebendige Dritte, das aus dem Zusammentreffen zweier Feuersteine entsteht. Die Entstehung des Feuers wird in manchen Kulturen auch auf einen sexuellen Akt mythischer Wesenheiten oder Tiere zurückgeführt. Als Pubertätspflanze unterstützt Rosmarin nicht nur Persönlichkeitsentwicklung und Ichstärke, sondern auch die Reifung der Geschlechtsidentität.

Der brennende Dornbusch

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Rosmarin in Mythologie und Geschichte

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Pharmakologie und Indikationen

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Literatur:
Udo Becker: Lexikon der Symbole. Herder spektrum. Freiburg, Basel, Wien 2005
Marianne Beuchert: Symbolik der Pflanzen. Insel Verlag, Frankfurt 2004
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Ruediger Dahlke: Krankheit als Symbol. Bertelsmann Verlag, München 2002
Johann Wolfgang Goethe: Alle Freuden, die unendlichen. Liebesgedichte und Interpretationen. Insel Verlag, Frankfurt 1987
Artur Burger, Helmut Wachter: Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin 2004
Gerhard Madaus: Lehrbuch der Biologischen Heilmittel. Band 10. Mediamed Verlag, Ravensburg 1990
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau (Schweiz) 2002
Wilhelm Pelikan: Heilpflanzenkunde I. Verlag am Goetheanum. Dornach 1999
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathica. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart 2003
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002

Anschrift der Verfasserin:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 10/2013