FACHFORUM

Magisches Heilen

Klaus Binding

Seit der Mensch auf der Weltbühne erschien und sich zu entwickeln begann, war er anfällig für Leid und Krankheit. Zu allen Zeiten gab es aber auch einige wenige Zeitgenossen, die über Wissen, Fähigkeiten und besondere Kräfte verfügten, den Leidenden zu helfen. Der Glaube an die Heilkraft auserwählter Menschen, aber auch besonders geweihter Gegenstände, weist auf einen magischen Urgrund des Heilens hin. Die Medizin des noch magischen Ur-Menschen beruhte hauptsächlich auf dieser Grundlage. Heute kann eine Neugeburt magischer Heilweisen beobachtet werden, in den letzten zwei Jahrhunderten besonders als Gegenbewegung zur technisch fortschreitenden naturwissenschaftlichen Medizin und in den letzten Jahrzehnzehnten als New-Age-Bewegung, die spirituelle Aspekte von Krankheit und Gesundheit in den Fokus rückte.


Die alten Schamanen oder Medizinmänner der Naturvölker verdankten ihre Erfolge nicht nur der sogenannten Mana-Ausstrahlung ihrer Person, sondern auch dem Vertrauen, dem unbedingten Glauben, der Offenheit und der Erwartung auf Heilung von Seiten der Kranken. In vergangenen Zeiten und entsprechenden Kulturkreisen wurde Krankheit als böser Dämon verstanden, der mit einem Beschwörungs-Zeremoniell ausgetrieben wurde. Das Abbrennen von Weihrauch, das Annehmen bestimmter Geist- und Körperhaltungen und der sogenannte Tempelschlaf waren die vorbereitenden Hilfsmittel, um eine heilende Atmosphäre zu schaffen. Die magischen Kultstätten der Vergangenheit erzielten so ihre heilenden Wirkungen. Auch die alten Mysterienstätten bedienten sich magischer Vorbereitungsrituale, um den Einzuweihenden auf seinen Weg in die Welt der Götter vorzubereiten. Nach drei Tagen holte der Zeremonienmeister die Seele des Adepten zurück in den Körper, und der Schüler verließ den Mysterientempel als neu Geborener, als Bewohner zweier Welten.

Einen wesentlichen Einfluss auf die Heilkräfte hat auch das vertrauensvolle Gebet, besonders an heiligen Orten. In unserer Zeit hat Lourdes Weltberühmtheit durch seine Heilerfolge erhalten. Dabei ist immer wieder die Kraft der Massenbewegung festzustellen, die schon den Strom der Anreisenden in eine magisch-hypnotische Erwartungsstimmung versetzt. Die Massenbewegung der „neuen Gläubigen“, die auf dem Jakobsweg 800 Kilometer durch Spanien pilgern, unterliegt ebenfalls dem Phänomen des gemeinschaftlich erlebten religiösen Empfindens. Der Begriff Magie ist breit gefächert, es ist ein Aspekt der Heilung oder Bewusstwerdung, der über das Natürliche hinausgeht. Überall an den bekannten Wallfahrtsorten findet man unzählige Gedenktafeln und Votivfiguren, die von wunderbaren Heilungen berichten. Die Heilkunde der Römer zum Beispiel war nicht wesentlich materiell-medizinisch ausgerichtet. Umso wichtiger war daher die Hilfe, die Götter den Kranken geben konnten. Votivgaben sind Weihgeschenke, mit Hilfe derer man versuchte – und immer noch versucht – Gottheiten gnädig zu stimmen. Die verschiedensten Materialien wurden benutzt: Ton, Terrakotta, Bronze, Schmiedeeisen, Silber, Messingblech, Wachs. Der heilige Blasius galt als Eingeweihter für Halserkrankungen. In ländlichen Gegenden sind die Kinder vor nicht allzu langer Zeit noch mit den beiden brennenden gekreuzten Kerzen am Hals gegen Diphtherie geschützt worden. Paracelsus empfahl auch Wachsmännchen gegen Veitstanz. Viele Bauern trugen Goldplättchen im Ohr, um Augenerkrankungen abzuwehren. Magisch wirkt auch auf den heutigen Patienten der medizinische Apparat in weißglänzendem Lack mit blitzenden Chromteilen.

Zu den magischen Heilmethoden könnte man auch die Christian Science zählen. Es handelt sich dabei um eine Form des Gesundbetens, das 1866 von Mary Baker-Eddy aus einem kleinen Kreis von Anhängern zu weltweiter Berühmtheit geführt wurde. Emiles Coués Heilmethode wurde auf Autosuggestion zurückgeführt, doch auch dort war eine Gemeinschaftswirkung der Massenbewegung beteiligt, die magisch begründet ist. Coués Gesundheitssatz: „Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser“ ist ein magischer Suggestivsatz, der immaterielle Kräfte stimulieren soll. Auch Bruno Grönings Heilerfolge sind teilweise durch die geballte Glaubenskraft der Menschenmassen begründet. Gröning veranstaltete Heilsitzungen auf dem Traberhof bei Rosenheim, zu denen täglich 30.000 Menschen pilgerten. Als göttlich inspiriert ließ er dann die „Heilwelle“ über das Publikum strömen, anfangs ohne Bezahlung. Bei Gröning scheint neben der Kraft der Menschenmasse auch noch die Fähigkeit der Übertragung im Spiel gewesen zu sein. Es wurde beobachtet, wie sich Symptome von beteiligten Menschen während der Veranstaltungen übertrugen. Von homöopathischen Arzneiprüfungen in größeren Gruppen ist bekannt, dass auch einige Placebo-Prüflinge ähnliche Symptome bekommen wie die Prüflinge, die echte Arznei bekommen hatten. Grönings „besprochene“ Staniolkugeln (die Blutstropfen und Fußnagelspäne von ihm enthielten) und Feldspatkristalle waren magische Heilmittel, die aus dem intensiven Glauben an ihre Wirkung auch Heilwirkung zeigten.
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Literatur
Herbert Fritsche: Die Erhöhung der Schlange, Edition Burgdorf, 1994
T. Pakraduny: Die Welt der geheimen Mächte, Verlag Kaiser, Klagenfurt (0hne Jahr)

Anschrift des Verfassers:
Klaus Binding
Brenneckenbrück 5a
38518 Gifhorn
klaus_binding@freenet.de
www.praxis-fuer-homoeopathie-gifhorn.de

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Naturheilpraxis 10/2013