Akupunktur/TCM

Kinderheilkunde-Tag

Jessica Noll

Du siehst eine Sternschnuppe und wünschst Dir etwas und vielleicht erfüllt sich Dein Traum. Ich wurde vom Kongresspräsidenten Gerd Ohmstede eingeladen, beim TCM-Kongress in Rothenburg einen Thementag zu organisieren, und so konnte ich mit riesiger Freude meine Idee vom Women’s Day und Women’s Day Lunch Lectures in die Tat umsetzen. Da mir feminine Energie, networking und Inspiration am Herzen liegen, und durch meine Arbeit als Präsidentin des Skandinavischen TCM Kongresses in Dänemark, entstand das Thema „Women’s Day“ wie von selbst.


Auch in diesem Jahr konnten die Besucher des Rothenburg-Kongresses von dem Wissen und der Erfahrung der beiden Kinderheilkunde-Spezialistinnen Ruthild Schulze und Sieglinde Wilz profitieren: Das erfahrene Team organisierte im Rahmen des Vorkongresses den Kinderheilkunde-Tag und konnte dafür zwei tolle Referenten begeistern: Dr. Michael Weber aus Recklinghausen und Elisa Rossi aus Mailand berichteten über verschiedene Behandlungsmethoden von „shen-agitierten“ Kindern. Um möglichst viele Teilnehmer zu erreichen, wurde ins Deutsche bzw. Englische übersetzt.

Am Vormittag hielt Dr. Weber seinen Vortrag „Was tun für Zappelphilipp und Hans-Guck-in-die-Luft“. Der Kinderarzt beschäftigt sich neben der chinesischen Medizin viel mit mitochondrialer Medizin und Laser­akupunktur. Er versteht es, das verknüpfte Wissen zu vermitteln und mit Beispielen aus dem Praxisalltag zu veranschaulichen.
Als Einleitung gab Michael Weber einen Überblick über die Krankheitsbilder ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Störung, hier: „Hans-guck-in-die-Luft“) und ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, hier: „Zappelphilipp“). Er erläuterte die sehr unterschiedlich ausfallenden Symptome (angelehnt an die DSM-IV-Kriterien1) und die schulmedizinische Sicht des Krankheitsbildes: Hauptursächlich eine Störung im Bereich des körpereigenen Botenstoffes Dopamin, multifaktorielle Einflüsse wie Ernährung, soziales Umfeld und genetische Dispositionen. Entsprechend findet in der westlichen Medizin eine medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat (bekannter als Ritalin® u.a.) statt, kurzfristig oft erfolgreich, jedoch mit nicht unerheblichen Nebenwirkungen.

Bei der Behandlung mit chinesischer Medizin steht im Vordergrund, die Kinder
wieder zu sich selbst zurückzubringen. Einmal mehr gilt das Grundprinzip: „Behandle erst die Mutter, um das Kind zu behandeln“. Die Zusammenarbeit mit den Eltern, die Stabilität in der Familie und das soziale Umfeld sind wichtiger denn je. Den Eltern muss verdeutlicht werden, dass kein Kind mutwillig aggressiv, destruktiv, usw. ist. Vielmehr fühlen sich auch die „kleinen Außenseiter“ unwohl in ihrer eigenen Haut. Außerdem müssen die Symptome differenziert werden, eine gründliche Anamnese und Spurensuche nach weiteren diagnostischen Hinweisen ist nötig. Dr. Weber wendet hier die Zuordnung zu bestimmten Mustern nach Julian Scott an:


1. Hitze-Muster (eher ADHS):
Konzentrationsstörungen, Unruhe bis hin zu Wut, Zorn
->Kühlen, Geist beruhigen, Yang besänftigen, Yin stärken:
HE 7,LE 2,MA 44,DI 4,DU 20, OAP 55 Shenmen zerstreuende Nadeltechnik
Laserakupunktur: Nogier A oder G. 1,0-2,5 J
2. Hitze-und-Schleim-Muster
(eher ADHS):
Sehr unruhig, impulsiv, Schlafstörungen nachts, aggressiv, destruktiv
->Hitze beseitigen, Schleim auflösen, Geist beruhigen:
HE 7,HE 8, PE 5, LE 2,MA 40, GB 34, DU 20, OAP 55 Shenmen zerstreuende Nadeltechnik
Laserakupunktur: Nogier A oder G,1,0-2,5 J
3. Pathogener Restfaktor/
Dicker Schleim (eher ADS):

Diffuse Lymphknotenvergrößerungen, Verträumtheit, Konzentrationsschwierigkeiten, selten hyperaktiv, eher träge
->Erweichen und mobilisieren des dicken Schleims, Qi tonisieren:
BL 18, BL 20, M-HN 30, LU 9, MA 36, MP 6 tonisierende Nadeltechnik
Laserakupunktur: Nogier B, 1,0-2,5 J
4. Schwäche im mittleren Erwärmer
(eher ADS):

Blass, Abwehrschwäche, Antriebsmangel, Blähungen, Konzentrationsschwierigkeiten, seelisch-emotionale Probleme
->Mitte stabilisieren:
MA 36, MP 6, LE 3, HE 7, REN 12 (Laser o. Mx.) tonisierende Nadeltechnik
Laserakupunktur: Nogier B, 1,0-2,0 J
5. Nieren-Mangel (eher ADS):
Eher selten: erblich, extrem früh Geborene, Folge langer und schwerer Krankheit
Dünn, zart, infektanfällig, Knie- und Rückenschmerzen, fehlendes Urvertrauen, unruhiger Geist
->Niere stärken
Auf Grund der oft echten Angst vor Nadeln wird Lasertherapie, chin. Kräuter und/oder Moxibustion empfohlen:
MP 6, BL 23, NI 1, NI 3, LE 8, REN 12
6. Xue-Mangel (eher ADS),
nicht nach J. Scott:

Konzentrationsstörung, blasse u. schlaffe Haut, eingerissene Mundwinkel, Augenringe, Langeweile
->Blut stärken:
MA 36, MP 6, BL 17, BL 20, REN 12 (Laser, MX.) mit tonisierender Nadeltechnik
Laserakupunktur: Nogier B, 1,0-2,0 J

Neben der Akupunktur ist auch die Ernährungsberatung sehr wichtig, ebenso können Behandlungsmethoden wie Phytotherapie, Tuina, etc. eingesetzt werden.

Ein weiteres Fachgebiet von Dr. Michael Weber ist die Mikronährstoffmedizin: Bei vielen an AD(H)S erkrankten Kindern besteht eine erhebliche Verschiebung im Mineralstoff- und Vitaminhaushalt. Über eine Mineralstoff- und Vitaminanalyse können bei entsprechenden Symptomen Mängel erkannt und durch gezielte Gabe Symptome verbessert werden. Die mitochondriale Medizin beschäftigt sich auch mit dem Einfluss von „Freien Radikalen“ (Proxidantien), Schwermetallen und Umweltchemikalien. Z.B. ist durch Selen-Gabe eine Quecksilberausleitung möglich, Magnesium harmonisiert den Serotonin-/Dopamin-Stoffwechsel und hilft Glutamat zu verarbeiten, Vitamin B6 beeinflusst ebenfalls positiv das Serotonin und Zink verzögert den Dopaminabbau im Gehirn.

Das Zusammenspiel mit chinesischer Medizin und ausführlicher Ernährungsberatung, intensive Gespräche und eine Zusammenarbeit mit den Eltern, ergänzt um mitochondriale Medizin, Laserakupunktur und alternative westliche Behandlungsmethoden bieten nach Webers Erfahrung viel versprechende Möglichkeiten zur Therapie von AD(H)S.
Am Nachmittag begrüßte Elisa Rossi mit dem Thema: „Kindertuina – praktische Behandlung für schlaflose Babys und Shen-agitierte Kinder“. Elisa führte aus, dass bei der Behandlung von Kindern einige Besonderheiten beachtet werden müssen: Die Zang Fu und besonders das Nieren-Jing sind bei kleinen Kindern noch recht zart. Das Milz-Qi ist noch nicht vollständig ausgeprägt und neigt zu Überlastungen. Es ist oft nicht dem Wachstum angepasst. Kinder, die besonders aktiv sind, öfter impulsiv reagieren und die benötigten Ruhephasen nicht einhalten, verbrauchen so wertvolles Qi und können nicht schnell genug neue Energie aufnehmen. Aus dieser Sicht erläuterte die italienische Ärztin die Ursachen bei schlaflosen/schlafgestörten Babys und hyperaktiven/unruhigen Kindern: Wenn im Or­- ganismus ein Yang-Überschuss herrscht, entsteht Hitze, der Geist wird unruhig. Als Symptome finden wir häufigeren Stuhlgang, „Decke wegstrampeln“ und/oder eine rote Zunge/Zungenspitze. Eine weitere Ursache kann eine Milz-Qi-Schwäche sein, z. B. bei veränderten Ess- und Trinkgewohnheiten. Zu häufiges Füttern oder Ernährungsfehler können eine Nahrungsmittelakkumulation verursachen, diese gilt als „Wurzel von 100 Erkrankungen“ und sollte unbedingt ernst genommen werden. Neben der eigentlichen Behandlung sollten die Eltern lernen, Essenspausen einzuführen und z.B. mit Spaziergängen die Zeit zwischen den Mahlzeiten überbrücken. Gestautes Qi kann Schleim verursachen, welcher wiederum Blockaden verursacht. Besonders der Leber-Qi-Stau kann bei Kindern häufig zu Aggressionen führen.

Elisa Rossi zeigte den Eltern ihrer kleinen Patienten die Tuina-Techniken. Diese sollten dann zu Hause täglich 1-2 Minuten durchgeführt werden. Die Bewegung kommt aus dem Handgelenk und wird ohne Druck im zügigen Tempo mit gleichem Takt „gestrichen“ = „Tui“ oder „geknetet“ = „Ro“. In Partnerarbeit konnten die Teilnehmer des Kinderheilkundetages einige Tuina-Formen üben. Besonderer Dank gilt der Dolmetscherin Valerie, die sich als Modell zur Verfügung stellte und währenddessen munter weiter übersetzte.
Die erste Übung nennt sich „Pijing“: Die radiale Daumenseite wird Richtung Handgelenk gestrichen, das tonisiert das Milz-Qi, ebenso wie das Kneten von MA 36 „Zusanli“. Die Vorstellung sollte hier sein, das Qi in den Punkt zu massieren.

Um das Qi zu tonisieren, wird die Innenseite des Ringfingers gestrichen. So wird auch die Abwehrkraft erhöht.
Um das Yang abzusenken und Schleim zu transformieren wird die Übung „Tianmen“/ „Himmelstor“ angewendet: Vom EX-HN-3 Yintang aus wird sanft nach oben gestrichen, im Wechsel mit „Kangon“/ “Wasserpalast“, dem Ausstreichen über den Augenbrauen nach außen.
Bei „Xinmen“, dem „Tor des Herzens“, wird durch Ausstreichen vom Haaransatz Richtung DU 20 „Baihu“ das Yang abgesenkt und das Herz beruhigt.

Bei nächtlicher Unruhe durch Herz-Hitze kann die Tuina-Übung „Xiaotianxin“ helfen: Ein Punkt in der Mitte des Handballens wird mit einem Finger sanft geklopft oder geknetet.

Die Innenseite des Unterarms wird in drei Linien unterteilt, um zu tonisieren und zu erwärmen wird radial, und um Fülle-Hitze zu eliminieren, ulnar Richtung Handgelenk gestrichen. Die Mitte des Unterarms wird proximal ausgestrichen und wirkt bei agitierten Kindern mit Leere-Hitze kühlend bzw. durch das Wasser nährend.
Um Nahrungsmittelakkumulation entgegen zu wirken, kann der Daumenballen distal ausgestrichen werden oder in Rückenlage des Patienten mit dem Daumen leicht und ohne Druck unter dem Rippenbogen nach außen massiert werden.

Die Kinder-Tuina-Praktiken bieten eine schöne Möglichkeit, das Elternhaus mit
in den Behandlungsplan einzubeziehen. Durch regelmäßige Übungen wird der Therapieerfolg verstärkt und die Familien müssen nicht wöchentlich in die Praxis kommen. Ein Feedback der Eltern im telefonischen Gespräch sollte nach etwa zwei Wochen und auch nach ca. einem halben Jahr erfolgen. So hat der diesjährige Kinderheilkunde-Tag den Teilnehmern ein breites Spektrum an praxisnahen Behandlungsmethoden aufgezeigt, die jeder Therapeut schnell umsetzen kann.

Vielen Dank an die Organisatorinnen und die Referenten!

1 Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fourth Edition (DSM-IV)

Jessica Noll
Nachodstraße 7, 10779 Berlin
(0 30) 701 22 143

 

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Naturheilpraxis 8/2013