SPEZIAL

Gezeichnete

Margret Rupprecht

Mit dem nackten Körper stets den Begriff der Erotik zu verbinden, ist ungefähr so intelligent wie beim Mund stets ans Essen zu denken, schrieb einmal der Schriftsteller Kurt Tucholsky. Dieser Satz ist nicht ohne Bedeutung für die Betrachtung der Bildsprache des österreichischen Expressionisten Egon Schiele. Am künstlerischen Lebenswerk dieses genialen Zeichners und Malers lassen sich psychosomatische Zusammenhänge erkennen wie bei sonst wenigen anderen Künstlern. Was die Syphilis, insbesondere im Spätstadium, mit einem Menschen anrichtet, ist nirgends so deutlich ablesbar wie in der Malerei von Egon Schiele.


In der gängigen kunsthistorischen Fachliteratur wird immer wieder die Erotik der von Schiele dargestellten Körper und Szenen betont – als wenn das bloße Zeigen von Genitalien und Liebesakt einem Bild automatisch eine erotische Ausstrahlung verleihen würde. Der Begriff des Erotischen kommt aus dem Altgriechischen und bezeichnet im ursprünglichen Sinn die Sehnsucht nach dem Schönen und Guten. Erotisch ist, was beim Betrachter ein Verlangen auslöst und den Wunsch nach Annäherung weckt. Ob die ausgemergelten, häufig pathologisch verkrampften Schiele-Gestalten tatsächlich über eine erotische Qualität verfügen, darf zumindest bezweifelt werden. Zutreffender dagegen ist die Beobachtung, dass die Art und Weise, wie Schiele den menschlichen Körper darstellt, mitbestimmt wird von dem Erlebnis der Syphilis (Lues), mit der viele Mitglieder seiner Familie infiziert waren. Ein Umstand, der in den meisten Schiele-Biografien entweder überhaupt nicht oder nur am Rande erwähnt wird, obwohl er für Leben und Werk des Künstlers von zentraler Bedeutung war. Schieles kompositorisches und zeichnerisches Genie, die Ausdruckskraft seiner Linie und sein Mut zur Darstellung von Tabuisiertem stehen außer Frage. Vieles wurde darüber bereits geschrieben. Doch beim Versuch einer ganzheitlichen Betrachtung von Künstler und Werk kann es nicht nur um äußere Fragestellungen gehen wie Motiv, Bildaufbau, Linienführung und Farbgebung. Die energetische Qualität des Bildinhaltes steht in ihrer Wichtigkeit gleichberechtigt neben allen formalen Fragen.

Von Krankheit gezeichnete Familie

Egon Schiele wurde 1890 in Tulln, einer Kleinstadt bei Wien, als Sohn des Bahnhofsvorstands Adolf Schiele und seiner Frau Maria geboren. Vater von Adolf Schiele war der berühmte Eisenbahningenieur Ludwig Schiele, der nach seinem Tod dem Sohn ein beträchtliches Vermögen an Aktien und Anleihen hinterließ. Adolf Schiele erkrankte, vermutlich bereits schon vor der Ehe an Syphilis, die bei ihm den klassischen Verlauf nahm bis hin zum Spätstadium mit chronischer Hirnentzündung und Demenz. 1902 wurde Adolf Schiele frühpensioniert, verlor seine An - stellung und lebte als Pflegefall mit zunehmender geistiger Verwirrung in Klosterneuburg, wo er 1905 verstarb. Seine letzten Jahre waren von Größenwahnphantasien und Unzurechnungsfähigkeit gezeichnet. In einem Anfall von geistiger Umnachtung verbrannte er die gesamten Wertpapiere der Familie. Frau und Kinder verloren damit jegliches Vermögen und lebten nach dem Tod des Vaters von einer kärglichen Witwenrente und in ständiger finanzieller Not. ...

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Pathologisierung der Kunst
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Anschrift der Verfasserin:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 8/2013