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46. Heilpraktiker-Kongress in Baden-Baden

Das Wahre in der Vielfalt – ein alternatives Kongresserlebnis!

Siegfried Haußmann

Eröffnungsperspektive
Zum 46. Mal lud der Fachverband Deutscher Heilpraktiker Baden-Württemberg zu seiner großen Jahresveranstaltung in die Stadt an der Oos. Über 2000 Interessierte aus dem In- und Ausland waren am ersten Wochenende nach Ostern angereist, um an zwei Tagen einen Querschnitt von den therapeutischen Möglichkeiten der Heilpraktiker zu erhalten. 170 Aussteller hatten im mittlerweile erweiterten Kongressgebäude Platz gefunden, und 60 Referenten gestalteten 34 Vorträge und Seminare.

Bevor es richtig fachlich wurde, stimmte zunächst das Trio „Ensemble Herznote“ die Teilnehmer auf die Begrüßung durch den Landesvorsitzenden Dietmar Falkenberg und die Statements zur Standes- und Gesundheitspolitik ein.

Alternativen aus politischer Sicht

Unter dem Leitspruch: „Naturheilkunde – die Alternative“, rückte Falkenberg vier wichtige Fragen zur Berufspolitik in den Vordergrund und rief zum Dialog auf:

  1. Warum gibt es für Heilpraktiker keine Studienbeteiligung?
  2. Warum erhalten HP-Vertreter in wichtigen Gremien kein Stimmrecht?
  3. Warum ist Heilpraktiker die Zusammenarbeit mit Ärzten nicht erlaubt (seit 1937)?
  4. Wie verhält es sich mit der Fremdfinanzierung der Forschung?

Die gesundheitspolitischen Kommentare gestalteten sich ex aequo zustimmend wie unverbindlich. „Die alte Frontlinie zwischen Schulmedizin einerseits und Naturheilverfahren anderseits ist nicht mehr zeitgemäß und auch nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten“, unterstrich Bärbl Mielich (MdL), die gesundheitspolitische Sprecherin der „Grünen“. Eine andere Stimme erinnerte daran, dass „der Berufsstand unverändert einer skeptischen Beobachtung unterliegt“ – wie eben seit langem. Eine weitere richtete den Finger auf die unvollständige Lobbyarbeit: „Wenn man etwas bewirken möchte, dann ist Geschlossenheit wichtig“. Angesichts der unterschiedlich auftretenden Verbände eine ernsthafte Beeinträchtigung berufständischer Interessen.

Dabei werden Alternativen auch auf Bundesebene angestrebt, wie sich anlässlich einer internationalen Konferenz zur Mengenentwicklung im Krankenhaus in Berlin herausstellte. So fragte in seiner Eröffnungsrede Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr nach „Fehlanreizen“, da sich beobachten lässt, dass in Deutschland die Zahl der Operationen im Krankenhausbereich kontinuierlich ansteigt (Pressemitteilung Nr. 31, BMG). Einem OECD-Bericht zufolge ist Deutschland bei guter klinischer Versorgung weltweit Spitzenreiter im Einbau künstlicher Hüftgelenke. Ein Vertreter der AOK warnte sogar, dass dort, wo es besonders lukrativ sei, am ehesten unnötig operiert werde, was natürlich der Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft postwendend zurückwies. Wohl auch um der Debatte ihre polemische Spitze zu nehmen, hat das BMG die zuständigen Gremien beauftragt, die Situation zu analysieren und erwartet ein Ergebnis bis zum 31. Juli 2013. Wolfgang Gerstner, Baden-Badens Oberbürgermeister, bewertete als Vater von fünf Söhnen medizinische Alternativen weitaus pragmatischer und berichtete seinerseits von naturheilkundlichen Anwendungen im engsten Familienkreis.

Alternativen werden erfolgsprämiert. Warum also gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen, wenn eine Therapie ohne oder mit geringen Nebenwirkungen ebenbürtig sein kann? Nur – ein bisschen Alternative kann es genauso wenig geben wie ein bisschen Schwangerschaft. Vor einer Integration der Homöopathie in die evidenzbasierte Medizin, ein unlängst geäußerter Vorschlag der Gesundheitsministerin (NRW) Barbara Steffens, warnt im Spiegel-Interview die Expertin Jutta Hübner: Wenn wir … die Homöopathie in die evidenzbasierte Medizin integrieren wollen, lösen wir gerade diese Systeme auf. Solche Vorschläge laufen aber eher darauf hinaus, dass wir die Schulmedizin und die alternative Medizin, die eine ganz andere Grundlage hat, gleichberechtigt nebeneinander stellen – und sich beide Systeme auch noch gut vertragen sollen. Das ist schädlich für unsere Patienten und ein Rückschritt von hundert Jahren. (Spiegel online, 19. April 2013)

Unerwünschte Alternativen

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Alt hergeholte Alternativen

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Geistige Alternativen

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Perspektivlose Alternativen

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Fröhliche Alternativen

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Diagnostische Alternativen

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Visionäre Alternativen

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Alternativen umsetzen!

Zum wahren „Urtypus“ der Naturheilkundigen darf ebenfalls Hanne Marquardt (Königsfeld), rüstige 80-Jährige mit 50 Therapeutenjahren, gerechnet werden. Wie schon andermal, hängen die Augen der Zuhörer wieder gebannt an ihren Lippen und möchten zum Abschluss den einen oder anderen wertvollen Tipp zur Fußreflexzonentherapie erhaschen, bevor es nach einer köstlichen Karotten-Ingwer-Suppe zurück in den harten Alltag geht. Die Beharrlichkeit, eine klein angelegte Therapiefläche zu behandeln, gleichwohl ein Teil des Ganzen, zahlt sich offenbar aus. Möglicherweise ist der Therapeut via Fingerdruck auf eine besorgniserregende Organsituation gestoßen. Vom unscheinbaren Phänomen, solches als Fernhinweis oder Ursachegeber, zum umfassenden Geschehen zu gelangen, ist ein großer Erfahrungsschritt, der durch die übermäßig betriebene Spezialisierung in der Medizin ein unverständlicher bleibt. Oft beobachtete Hanne Marquardt Stimmungsaufhellungen bei alten Patienten, ein Hinweis, dass durch ihre Behandlung an den Füssen ebenfalls der „innere Arzt“ (Paracelsus) Kraft und Zuversicht erworben hat.

Soweit diese Auswahl. Längere Ausführungen zur Musik- und Atemtherapie, die das Bild abgerundet hätten, hat der Berichterstatter dagegen als schmerzliche Lücke empfunden. Das Wahre in der Vielfalt im rechten Licht zu erfassen, ist beileibe keine leichte Aufgabe. Das hat dieser organisatorisch gelungene Kongress mit seinen Antworten und Fragen bestätigt.

Siegfried Haußmann

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Naturheilpraxis 7/2013