SPEZIAL

Als die „Miselsucht“ Europa heimsuchte: Lepra – bis heute unbesiegt

Ernst-Albert Meyer

Seit 1981 ist es möglich, die Lepra (von griechisch lepra = Aussatz, Krätze, Räude) zu heilen. 1991 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) es als Ziel, diese Infektionskrankheit weltweit auszurotten. Doch bisher ohne jeden Erfolg. Früher wurden die Leprakranken wegen der Ansteckungsgefahr streng isoliert und von Kirche, Behörden und Mitmenschen grausam – als „Tote auf Abruf“ – behandelt.


Lepra gilt heute als die älteste beschriebene Krankheit der Welt. Der Erreger – Mycobacterium leprae – befällt Haut und Nervensystem. Erste Anzeichen dieser Infektionskrankheit sind Hautflecken, die langsam gefühllos werden. Jedes Jahr am 27. Januar wird weltweit Bilanz gezogen. Doch das Ergebnis kann nicht befriedigen: Die DAHW, Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, die mit Diagnose, Therapie und Betreuung in mehr als 200 Projekten in über 20 Ländern aktiv ist, spricht von jährlich rund 250.000 neuen Fällen. Dabei sind viele Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose schon von der Krankheit deutlich gezeichnet. Die mit der Lepra auftretenden furchtbaren Entstellungen waren in vergangenen Zeiten ein Grund für die große Angst der Menschen vor der ansteckenden Krankheit.

Jesus heilt Lepra

Die Bibel räumt dieser Erkrankung breiten Raum ein: Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament wird die Lepra – hier „Zaraath-Krankheit“ genannt – so oft erwähnt, dass vermutlich der Aussatz unter den Juden weit verbreitet war. Doch Medizinhistoriker sind zu einem anderen Ergebnis gekommen: Nämlich, dass in der Bibel der Begriff „Aussatz“ sehr weit gefasst ist, und dass unter dem biblischen Aussatz neben der Lepra auch andere Hautkrankheiten, wie z.B. Schuppenflechte, Krätze und Ekzeme verstanden wurden. Im Neuen Testament (Matthäusevangelium 8, 1- 4) wird berichtet: Als Jesus von dem Berg herabstieg, folgten ihm viele Menschen. Da kam ein Aussätziger, fiel vor ihm nieder und sagte: „Herr, wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde.“ Jesus streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: „Ich will es – werde rein!“ Im gleichen Augenblick wurde der Aussätzige rein. Und im Kapitel 10, 5-15 gibt Jesus Christus seinen Jüngern den Auftrag: „Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.“

Aber auch alte ägyptische, griechische, arabische, römische und christlich-lateinische Quellen des Mittelalters beschreiben den Aussatz. Der erste Text, der die Lepra mit Sicherheit erwähnt, ist die um 600 vor Chr. in Indien niedergeschriebene Lehrsammlung „Susruta Samhita“. Von Indien aus verbreitete sich der Aussatz in Südostasien, während ihn die Krieger Alexander des Großen und des Perserkönigs Darius um 330 v. Chr. im Nahen Osten und Westen einschleppten. Die Phönizier vermutlich sorgten für die Ausbreitung der Lepra im ganzen Mittelmeerraum. Nach Europa gelangte der Aussatz in zwei Wellen: Zuerst brachten im Frühmittelalter aus dem Orient zurückkehrende römische Legionen die Krankheit mit nach Europa und in der zweiten Welle (11. bis 13. Jahrhundert) waren es aus dem heiligen Land heimkehrende infizierte Kreuzfahrer.

Die panische Angst, aussätzig zu werden, war schon in der Antike weit verbreitet. So schreibt der byzantinische Arzt Aretaios von Kappadokien um das Jahr 100 n. Chr.: „Wer möchte vor der Lepra nicht fliehen? Und wen graut es nicht vor ihr, selbst wenn sie den Sohn, den Vater oder den eigenen Bruder befallen hat, da man Furcht haben muss, dass man sich an der Krankheit ansteckt.“ (1) Im frühen Mittelalter hatte sich die Lepra in Westeuropa festgesetzt und im 12. und 13. Jahrhundert trat sie in ganz Europa auf.

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Heute eine Krankheit der Armen

Der Erreger Mycobacterium leprae ist nur für den Menschen pathogen. 1873 entdeckte der norwegische Arzt Armauer Hansen den Lepraerreger in Gewebezellen von sechs Leprakranken. Zu dieser Zeit war die Lepra fast vollständig aus Europa verschwunden, nur in Norwegen trat sie noch häufig auf. Bis heute ist es nicht gelungen, Mycobacterium leprae auf Nährböden zu züchten. Es existiert auch noch kein Impfstoff gegen diese Infektionskrankheit. Was die Art der Übertragung angeht, so gelangen wahrscheinlich Erreger aus Leprahautverletzungen und der Nasenschleimhaut des Kranken über die Atemwege und Kontakte mit verletzter Haut in den Körper des neuen Wirts. Wer bekommt heute Lepra? Es sind vor allem Menschen, die – fehl- oder unterernährt – in schlechten und unhygienischen Wohnverhältnissen leben müssen und deren Immunsystem geschwächt ist, wenn sie mit einer infizierten Person in Kontakt kommen. Damit gilt Lepra heute als die Krankheit der Armen! Die meisten Neuerkrankungen werden aus den ländlichen Gebieten Indiens, Brasiliens und Indonesiens gemeldet. Endemisch tritt der Aussatz in anderen Teilen Südostasiens, in China und im tropischen Afrika auf. Deshalb ist es besonders wichtig, Lepra durch einen höheren Lebensstandard und eine bessere Hygiene zurückzudrängen, so wie das in den Industrienationen erfolgt ist. Eine effektive Therapie der Lepra wurde erst mit der Einführung der antibiotisch wirkenden Sulfon-Verbindung Dapson im Jahr 1947 möglich. Heute kommt eine einjährige Kombinationstherapie bis zur Erregerfreiheit mit Dapson, Rifampicin und Clofazimin zum Einsatz. Rund 15 Millionen Leprakranke konnten bis jetzt mit dieser wirksamen Antibiotikatherapie geheilt werden. Die Arzneimittel zur Lepratherapie werden von der Pharmaindustrie kostenlos zur Verfügung gestellt und können direkt von der WHO bezogen werden.

Literatur:
(1) Schipperges, H.; Der Garten der Gesundheit, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1990
(2) Schmitz, R.: Geschichte der Pharmazie, Bd.1, Govi-Verlag, Pharmazeutischer Verlag, Eschborn 1998
(3) Jankrift, K. P.: Mit Gott und schwarzer Magie – Medizin im Mittelalter, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005
(4) Schott, H.: Die Chronik der Medizin, Chronik Verlag, Dortmund 1993

Anschrift des Verfassers:
Ernst-Albert Meyer
Fachapotheker für Offizin-Pharmazie
und Medizin-Journalist
Oldendorfer Str. 44
31840 Hessisch Oldendorf

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Naturheilpraxis 6/2013