Akupunktur/TCM

25 Jahre ChengDu University of TCM, die AGTCM und der Kongress

von Andreas Noll

Haben Sie sich eigentlich schon einmal die Frage gestellt, warum die AGTCM und mit ihr der Rothenburger TCM-Kongress eine so innige Zusammenarbeit mit der Chengdu University of TCM in Sichuan pflegt? Ist es, weil

• seit alters her Aussenseiter, Querulanten und Zauberer in der nebeligen gewaltigen Hochebene Sichuans (das Land „Shu“) eine Heimat fanden?
• diese gemütliche 14-Mio-Stadt weitgehend abseits der Touristen-Rennstrecke Beijing-Xian-Shanghai-Hongkong liegt
• das Klima so schön feucht und warm/kalt ist und daher der Selbsterfahrung zahlreicher Krankheitsmuster dienen kann?
• nur noch dort eigentlich die klassischen Teegärten zu stundenlanger Muße einladen

Das alles mag eine Rolle gespielt haben bei der Auswahl dieser TCM-Universität durch Gerd Ohmstede vor 24 Jahren. Auch damals schon blühte der Akupunkturtourismus, vor allem in Peking, Shanghai und Nanjing. Chengdu liegt weit im Landesinneren, Tibet ist benachbart, und so hat sich die Betonung des Klassischen hier weitaus länger gehalten. Prof. Manfred Porkert hat hier engste Kontakte gepflegt und seine wichtigsten Lehrbücher zusammen mit dortigen Professoren vorbereitet. Prof. Manfred Porkert (Sinologe aus München, einflussreicher Referent in Rothenburg 1979 bis 1994) hat immer auf die Besonderheit der Uni in Chengdu innerhalb Chinas hingewiesen. Die Randlage in China fernab von den Zentren Chinas bedingte, dass dort die Tradition der TCM in besonderer Weise gepflegt werden konnte. Mit wenig westmedizinischen Einflüssen unterrichteten dort Spezialisten in „Hintergrundtheorien“ wie der Stämme und Zweige-Theorie und dem Yijing. Die Ströme der Schnell-Studenten brandeten in Beiijng, Shanghai und Guangzhou und auch deshalb waren längere Studien in Chengdu finanzierbar. Die besondere Offenheit und Freundlichkeit der Kollegen aus Sichuan unterstützten die tiefgehende Ausbildung und die komplette beeindruckende kulturelle Erfahrung.
1988 machten drei Mitglieder der AGTCM (Friedlinde Adt, Siegrid Klain und Gerd Ohmstede) sich auf die Reise dorthin und versprachen wieder zukommen. Die Kombination aus frühmorgendlichem Qigong, morgendlicher Praxis in Ambulanz und auf den Stationen, sowie nachmittäglichem Theorieunterricht mit gemeinsamen (mit Dolmetschern und chinesischen Kollegen) Unternehmungen in die Umgebung am Wochenende, machten die Reise zu einer umfassenden Erfahrung, aus der sich herzliche Beziehungen entwickelten. Umso bemerkenswerter, als die Vorurteile und die damalige politische Situation auch persönliche Verschlossenheit und Starrheit ahnen ließen.

Soweit das Vorspiel. Seit 1990 entwickelte sich dann eine rege Reisetätigkeit gen Osten und umgekehrt gen Westen: die AGTCM führte Studienreisen durch – damals noch für die Teilnehmer ein wahrhaftiger Kulturschock. Noch gab es die post-maoistischen grünen und blauen „Ameisen“, zweierlei Währungen für Ausländer und Chinesen, und ein Telefonat mit den Liebsten in Deutschland war nur an zwei Stellen in Chengdu möglich: im mondänen Jinjiang-Hotel und im Telegrafenamt. Ihre Erinnerungen schreibt Mrs. Huang Qingxian, die damalige Leiterin des Waiban (=Auslandsabteilung der Uni) und heute noch täglich im Büro:

„Ich möchte zurückblicken zum 1. Oktober 1990, in jenem Jahr unser Nationalfeiertag.
Wir besuchten den Berg Emeishan. Am Fuß des Berges aßen wir zu Mittag in einem scheußlichen Restaurant. Die Kellner brachten uns wenig Essen und verlangten viel Geld. Ich war sehr verärgert darüber und hatte Streit mit ihnen.
Dann blieben wir in einem einfachen Hotel, ohne heißes Wasser, ohne Licht in den Gängen, ohne saubere Toiletten und ohne Weckdienst. Darüber hinaus ergoß sich um Mitternacht Wasser in mein Zimmer und durchnässte meine Schuhe. Erfreulicherweise blieb ich in der dunklen Nacht wach, zur Sicherheit der ganzen Gruppe. Aber meine ausländischen Gäste schliefen ebenfalls nicht gut.
Am nächsten Morgen brachen wir auf, um den Berg zu besteigen – zu Fuß. Damals gab es noch keine Seilbahn und keine Busse oder Autos für die Touristen. Meine lieben europäischen Kollegen beklagten nichts und waren fröhlich, voller Energie und Dynamik. Ich ließ mich von ihnen anstecken und wurde froher und leichter. Mit vielen Schweißtropfen im Gesicht erreichten Gerd und ich den Wan-nian-si (zehntausend Jahre) Tempel. Nach einer ersten Umrundung beschlossen wir die folgenden zwei Tage dort im Tempel zu bleiben und das Morgenläuten und Abendtrommeln zu genießen, natürlich auch die Ruhe und Stille. Wir reinigten unsere Lungen, klarten unseren Blick und fanden dort zurück zu entspannten Herzen ....“

Ein Jahr später war ich das erste Mal in Chengdu, in einer Reisegruppe, die von Herbert Vater, dem späteren Vorsitzenden der AGTCM begleitet wurde. Von da an verband mich eine enge Freundschaft vor allem mit Mrs. Huang, der Leiterin des Waiban des Hospitals Liuyi und Prof. Hu Lingxiang. Letztere kamen ab 1992 viele Jahre lang im Herbst nach Deutschland, um die SchülerInnen vor allem des Berliner ABZ Ost aus erster Hand in die authentische Praxis der TCM einzuführen. Eindrucksvoll ist die Liste der Professoren aus Chengdu, die seitdem auch auf dem Rothenburger Kongress waren.

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Naturheilpraxis 3/2013