SPEZIAL

Zur Bedeutung nonverbaler Kommunikation für Diagnose und Therapie

Renate Droste

Zusammenfassung: In vielen Praxen beruht die Diagnostik in erster Linie auf verbalen Interaktionen. Demgegenüber haben kommunikations-, entwicklungspsychologische und neurobiologische Forschungen der letzten Jahre die Bedeutung impliziter nonverbaler Lernprozesse aufgezeigt. Frühere Erinnerungen sind danach in bleibenden Mustern organisiert und werden später implizit, also unbewusst in ähnlichen Situationen aktualisiert. Vor diesem Forschungshintergrund werden nonverbale Interaktionsprozesse aus phänomenologischer und entwicklungspsychologischer Sicht beschrieben und in ihrer Bedeutung für Diagnostik und Therapie aufgezeigt.


Einleitung

Die nonverbale Kommunikation ist eine ebenso zentrale wie verborgene Dimension der therapeutischen Beziehung. Sie vermittelt nicht nur wertvolle Informationen über das emotionale Erleben des Patienten, sondern gestaltet implizit Diagnose und Therapie wesentlich mit. Gerade die wichtigsten Kriterien des psychischen Befundes wie Stimmung, Ängstlichkeit, Erregung, affektive Spannung oder Antrieb werden vor allem durch Körpersprache erfasst – durch Mimik, Haltung, Gestik, Bewegung des Patienten – oder auch paraverbal durch Stimme, Betonung und Redefluss vermittelt. Diese nonverbalen Informationen werden unbewusst im Bruchteil eines Augenblicks interpretiert. Viele Diagnosen sehen und „spüren“ Heilpraktiker schon atmosphärisch, bevor sie den Patienten befragt oder untersucht haben.

Was für die Diagnostik gilt, hat noch mehr Bedeutung für die Therapie: Die Phänomene von Übertragung und Gegenübertragung lassen sich nicht als „innerpsychisch“ und voneinander getrennt begreifen; sie werden vielmehr leiblich empfunden, mimisch und gestisch ausgedrückt, und interagieren so fortwährend miteinander. Die nonverbale Kommunikation erzeugt die gemeinsame Atmosphäre der Beziehung; sie bildet ihren tragenden Grund.

In unseren Praxen beruht die Diagnostik in erster Linie auf der verbalen Exploration und auf Untersuchungsverfahren. Implizite, atmosphärische Vorgänge in der Beziehung werden weit- gehend ausgeblendet oder als innerpsychische Projektionen – von vielen Heilpraktikern „Bauchgefühl“ genannt – gedeutet. Demgegenüber haben sowohl die entwicklungspsychologischen als auch die neurobiologischen Forschungen der letzten Jahre gezeigt, welche Bedeutung die impliziten, nonverbal und leiblich vermittelten Lernprozesse in der frühen Kindheit, aber auch in späteren Lebensphasen haben.

Das Gespräch – Phänomenologie nonverbaler Kommunikation

Jede Interaktion ist von mehr oder minder ausgeprägten Emotionen begleitet, die dem Partner über die sehr subtile Ausdrucksmimik und –gestik fortlaufend übermittelt werden. Die meisten dieser Mikroreaktionen laufen aber viel zu schnell ab, um überhaupt bewusst wahrgenommen zu werden. Ob uns jemand sympathisch oder eher unsympathisch ist, hängt zu einem großen Teil von Vorgängen außerhalb unseres Bewusstseins ab, von der „Chemie“ zwischen den Beteiligten. Allein im Lauf einer einzigen Therapie-Sitzung tauschen wir mit einem Patient mehr als eine Million körperlicher Signale miteinander aus (Heller 1993). Während wir uns auf der bewussten Ebene mit den Inhalten des Gesprächs beschäftigen, wird der Verlauf der Interaktion maßgeblich durch diese Signale bestimmt. (Abb. 1)

Sobald wir mit einem anderen Menschen in Kontakt treten,
interagieren unsere Körper miteinander,
tasten sich fortwährend ab,
lösen subtile Empfindungen ineinander aus.

Wir geraten in eine Art Kräftefeld, in eine eigenständige Sphäre von Wechselwirkungen, die wir nicht oder jedenfalls nur sehr begrenzt steuern und kontrollieren können. Unsere Körper verstehen einander, ohne dass wir genau sagen könnten, wodurch und wie das geschieht.

Im Gespräch mit Patienten werden Intuition, Übertragung und Gegenübertragung leiblich empfunden, mimisch und gestisch

Entwicklungspsychologische Grundlagen

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Diagnostische Bedeutung nonverbaler Kommunikation

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Therapeutische Bedeutung nonverbaler Kommunikation

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Eine Sitzanordnung über Eck lässt erheblich mehr Nähe und Kontakt zu und wird deswegen von den meisten Psychotherapeuten genutzt. (Abb. 2)

Literatur:
Allwood, J. (2000): Cooperation and flexibility in multimodal communication. New York: Springer Verlag.
Ekman, P. (2010): Gefühle lesen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.
Fuchs, T. (2000): Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Görlitz, G. (2008): Körper und Gefühl in der Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Grawe, K. (22000): Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe.
Harrigan, J.A. & Rosenthal, R. (1986): Nonverbal aspects of empathy and rapport in physician-patient interaction. University Park, PA: Pennsylvania State University Press.
Heller, M. (1993): Unconscious communication. In: Maul, B. (Hrsg.): Body psychotherapy or the art of contact. Berlin: Maul, S. 155–179.
Heller, M. (1997): The doctor’s face: A mirror of his patient’s suicidal projects. Basel: Karger.
Laporte, C. de (2006): Homöopathie bei psychischen Erkrankungen. Stuttgart: Haug. LeDoux, D.J. (52010): Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. München: Deutscher Taschenbuchverlag.
Meltzoff, A. & Moore, M.K. (1989): Imitation in newborn infants: exploring the range of gestures imitated and the underlying mechanisms. In: Developmental Psychology 25, S. 954–962.
Molcho, S. (1983): Körpersprache. München: Mosaik.
Navarro, J. (2011): Menschen lesen. München: MVG.

Anschrift der Verfasserin:
Renate Droste
Schillerstr. 43
48155 Münster
E-Mail: kontakt@renatedroste.de

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Naturheilpraxis 1/2013