Politik

Heilpraktiker als „ernsthafte und gute Partner der Gesundheitspolitik in Bayern“

Über die Eröffnung der 81. Tagung für Naturheilkunde in München

Dr. Christian UIlmann

Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München, Christian Ude
Die Münchner Stadträtin Lydia Dietrich (Bündnis 90/Die Grünen)
CSU-Landtagsabgeordneter Joachim Unterländer
Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im bayerischen Landtag, Kathrin Sonnenholzner
Professor Dr. Michael Piazolo als Vertreter der Freien Wähler in bayerischen Landtag
Dr. Beatrix Heilig in Vertretung des bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit

Im Laufe ihres Lebens erkranken jeder zweite Mann und jede dritte Frau an Krebs; allein in Bayern wird die Krankheit bei etwa 57’000 Menschen jedes Jahr neu diagnostiziert, und alljährlich sterben 30’000 Menschen daran. Damit steht Krebs unter den Todesursachen in Deutschland – nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen – an zweiter Stelle und ist „eine der großen Herausforderungen an unser Gesundheitswesen“. Mit diesen Feststellungen führte Dr. Beatrix Heilig in Vertretung des bayerischen Staatsministers für Umwelt und Gesundheit, Dr. Marcel Huber, das Auditorium zur Eröffnung der 81. Tagung für Naturheilkunde am 17. November 2012 ein und bestätigte dem Heilpraktikerverband Bayern als Veranstalter, unter dem Tagungsmotto „Krebs – was leisten wir Heilpraktiker?“ ein „hochaktuelles und sehr vielschichtiges Thema aufgegriffen“ zu haben. Zuvor hatte Ursula Hilpert-Mühlig, aus dem Vorstand des Heilpraktikerverbandes Bayern und in Personalunion auch erste Vizepräsidentin des FDH-Bundesverbandes, in ihrem Einführungsreferat eine kompakte Übersicht über die Gesamtproblematik aus der Sicht der Heilpraktiker vermittelt und dabei jeder Konfrontation mit der konventionellen Schulmedizin die Spitze genommen, ohne die jeweils autonomen Positionen der unterschiedlichen Medizin-Konzeptionen zu verwischen (Wortlaut des Referats von Ursula Hilpert-Mühlig obenstehend).

Hilpert-Mühlig hatte festgestellt, dass jede Krebserkrankung von onkologischen Fachmedizinern gründlich abgeklärt und entsprechend behandelt werden müsse. Aber das reiche nicht aus. Und besonders deren griffige Formulierung, dass Krebspatienten nicht damit zufrieden seien, „ihren Körper zur Kontrolle und Wartung in einem anonymen Maschinenpark abzugeben“ hat dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München, Christian Ude, „sehr gut gefallen“, und er betonte das starke Bedürfnis der Menschen, „in medizinischer Hinsicht nicht auf ein einzelnes erkranktes Organ reduziert, sondern als ganzheitliches Wesen wahrgenommen“ zu werden. Am Ende seiner 19-jährigen Amtszeit hatte Ude zum ersten Mal die zentrale Fachfortbildungsveranstaltung des Heilpraktikerverbandes Bayern und die Leistungen der Heilpraktiker/innen durch seine persönliche Anwesenheit gewürdigt und betont, „dass wir uns nicht in eine überflüssige Frontstellung jagen müssen“. Die „Grenzziehung zwischen Wissenschaftsmedizin und Komplementärmedizin ist tatsächlich durchlässig und fließend geworden“, stellte der Oberbürgermeister fest. Es gebe sehr wohl Fälle, in denen es „zur Computertomographie eben keine Alternative gibt“. Aber es gebe „auf der anderen Seite auch eine nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte lange Erfahrung, dass mit Apparaten nicht alles aufgeklärt und schon gar nicht geheilt oder gelindert werden kann, was Menschen zu schaffen macht“. Und so „sollten wir nie in den Tonfall geraten, das eine gegen das andere auszuspielen, sondern überall nach dem richtigen Ansatz zu suchen“.

Das führte Ude – wie auch die Repräsentanten der anderen im bayerischen Landtag vertretenen Parteien – zu dem Schluss, von der Gleichwertigkeit der beiden Methoden auszugehen, „die aber nicht Gleichartigkeit bedeuten könne“.

Die Kehrseite der konventionellen Krebstherapien in der „klassischen Schulmedizin“ hatte als Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen, die Münchner Stadträtin und examinierte Krankenschwester Lydia Dietrich, kurz und prägnant hervorgehoben. Es sei „überhaupt keine Frage“, dass chirurgische Behandlung, Strahlentherapie und auch Chemotherapie durchaus wichtig sind“, aber „die Anforderungen der Ganzheitlichkeit nicht erfüllen“ können. Und aus der Sicht der Schulmedizin „wissen wir auch, dass diese klassische konventionellen Therapie für Patientinnen und Patienten außerordentlich kräftezehrend ist und außerordentlich schwierig und außerordentlich energieraubend, und auch oft in die Verzweiflung hineinstürzt“. Wegen der gleichzeitig laufenden Bundesdelegiertenkonferenz ihrer Partei in Hannover, an der fast alle Landtagsabgeordneten der Grünen teilnahmen, war Lydia Dietrich kurzfristig eingesprungen, die Einschätzung der Grünen-Partei zu übermitteln. Und ihre Erfahrungen in der Behandlung von Tumorpatienten als „aus der Schulmedizin kommende Krankenschwester“ erwiesen sich dabei als bemerkenswert konstruktiv. Sie hatte mit ihren Ausführungen aufgezeigt, dass nicht nur die Primärerkrankungen komplementär (das heißt ergänzend zur konventionellen Therapie) zu behandeln seien, sondern auch die außerordentlich belastenden Nebenwirkungen der schulmedizinischen Eingriffe.

Trotz solcher Einsicht in ein geregeltes Nebeneinander bedürfe es „immer wieder des Kampfes, um den Stellenwert der Heilpraktiker und der Naturheilkunde im Gesundheitswesen auch zur Geltung zu bringen“, wie der CSU-Landtagsabgeordnete Joachim Unterländer als Vertreter der größten Fraktion im bayerischen Parlament betonte. Nach vorübergehender Abwesenheit, die durch eine Aufgabenverlagerung Unterländers im Landtag von der Gesundheits- zur Sozialpolitik bedingt war, freute er sich, „wieder einmal die Grüße seiner Fraktion, „besonders des Vorsitzenden und der Riege der Gesundheitspolitiker“ übermitteln zu können. Obwohl Unterländer als bekennender „Nicht-Mediziner“ kein abschließendes Urteil über „bestimmte Maßnahmen in der Krebsbehandlung“ abgeben wollte, stellte er „in den vergangenen Jahrzehnten im therapeutischen Bereich eine wirklich erfreuliche Entwicklung (fest), was die Chancen zur Bekämpfung einer der letzten Seuchen der Menschheit anbelangt“, bei der „mit ergänzenden Maßnahmen eine wirksame Therapie erfolgreich gestaltet werden“ könne.

Unterländer versuchte, den Bogen über die enge Krebsproblematik hinaus weiter zu spannen und forderte „für den gesamten gesundheitspolitischen Bereich . . . einen stärkeren ganzheitlichen Ansatz, der in der Gesundheitsversorgung eine Rolle spielen muss“. Um dieses Ziel zu erreichen, würdigte er die „sehr nachdrückliche und konstruktive wie kreative Art des Verbandes, insbesondere in Person Ihrer Vorsitzenden Ursula Hilpert-Mühlig und Ingo Kuhlmann, die Interessen der Heilpraktiker zu vertreten. Und unter anhaltendem Beifall des Auditoriums stellte er fest: „Sie sind ernsthafte und gute Partner der Gesundheitspolitik in Bayern“.

Als Vertreterin ihrer Fraktion stellte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD im bayerischen Landtag, Kathrin Sonnenholzner, fest, dass die Diagnose Krebs „natürlich eine existenzielle Bedrohung nicht nur für den Patienten, sondern auch für sein gesamtes Umfeld“ ist. „Und deshalb braucht es auch eine ganzheitliche Betrachtungsweise, eine ganzheitliche Diagnose und eine ganzheitliche Therapie. Und da spielt selbstverständlich auch die Heilpraktikerschaft eine wesentliche Rolle.“ Indessen habe sich auch die Schulmedizin inzwischen auf den Weg gemacht und vieles entdeckt“, zum Beispiel werde jetzt im Rahmen der Therapie auch Bewegung und Sport empfohlen, und das sei „ja vergleichsweise neu, das war noch vor 15 Jahren absolut verpönt“, obwohl das „auch schon immer der gesunde Menschenverstand gesagt“ habe. „Aber manchmal braucht’s halt ein bisschen länger, und so spielen Sie da eine tatsächlich große und entscheidende Rolle neben den schulmedizinischen Methoden“.

In den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellte die Ärztin Kathrin Sonnenholzner indes „im Moment tatsächlich nicht nur Befürchtungen, sondern schon Probleme, dass bei der Arzneimitteltherapie nicht das Interesse der Patienten und auch nicht die Forschung im Vordergrund stehen, sondern wirtschaftliche Interessen derer, die Medikamente verkaufen wollen“. Es müsste hingegen „die Lebensqualität der Patienten im Vordergrund stehen“. Und unter anhaltendem Beifall meinte sie: „Drei Monate Lebensverlängerung bei miserabler Lebensqualität durch Medikamenten-Nebenwirkungen, das kann es nicht sein und da müssen auch wir von der Politik und von der Schulmedizin ganz deutlich aufpassen, dass das nicht weiter so passieren darf“. Spätestens da war der Fokus auf diesen wichtigen Aspekt der Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität selbst bei Krebserkrankungen im Spät- und Endstadium gelegt, der auch in den anderen Referaten immer wieder betont wurde, etwa in der Hospiz- und Palliativversorgung, der „ein Schwerpunkt der Gesundheits- und Sozialpolitik in Bayern“ sei, wie zuvor schon Joachim Unterländer erwähnt hatte.

Wirtschaftliche Interessen und Vorgaben bestimmten indes auch in ganz anderer Weise die Behandlung von Krebspatienten, die „Ärzten teilweise therapeutische Maßnahmen nicht mehr ermöglichen“, wie Unterländer bemängelte. Er sprach damit „ein erhebliches Defizit unseres Gesundheitswesens“ an, das zum Ausschluss bestimmter, vor allem komplementärmedizinischer, gleichsam hilfreicher Mittel und Behandlungsmethoden aus den Erstattungen der gesetzlichen Krankenkassen an, und er meinte: „Aus meiner Sicht dürfen wirtschaftliche Vorgaben Therapien nicht verschütten oder zunichte machen. Dies würde dem Dienst am Menschen durch die Medizin und auch die Naturheilkunde und durch Sie, liebe Heilpraktiker, widersprechen.“ Ganz analog hatte auch Lydia Dietrich auf das Problem der Kostenübernahme hingewiesen: „Die meisten Kassen bezahlen die Behandlung nicht, und das schränkt natürlich den Personenkreis ein, die Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker aufsuchen, weil sie sich das nicht leisten können.“

Der Ausschluss von Heilpraktiker-Leistungen und –Verordnungen aus den Erstattungen der gesetzlichen Krankenkassen wurde – ungeachtet von deren Indikationen und integrativen Verbesserungen konventioneller Therapien – auch von den anderen Referenten explizit betont. In diesem Sinne meinte der Oberbürgermeister. „Wer heilt hat recht“ – so meinte Ude – treffe „in sehr vielen Fällen“ auch auf die Naturheilkunde zu. „Und diese Chance muss sie haben, muss sie eingeräumt bekommen, auch mit einer angemessenen Dotierung“. Und last but not least hatte auch Professor Dr. Michael Piazolo als Vertreter der Freien Wähler in bayerischen Landtag betont: „Der Mensch ist das Entscheidende, der Mensch steht im Mittelpunkt, die ganzheitliche Betrachtungsweise. Und dafür stehen Sie als Verband, dafür stehen Sie als Einzelne; aber das lässt sich auch immer nur dann verwirklichen, wenn man da die entsprechende finanzielle Unterstützung be-kommt, die ich Ihnen wünsche und für die ich mich – und insbesondere meine zuständigen Fraktionskollegen – sich auch einsetzen.

Piazolo forderte, dass die viel beschworene Gleichwertigkeit der Behandlungsmethoden bei Krebs „auch in das Bewusstsein der Menschen, ins Bewusstsein der Kranken gebracht werden“ müsse. Und da wurde er angesichts einer Plakataktion zur Krebserkrankung, die „mit Schreckensbildern“ arbeite, nachdenklich und ohne sich ein abschließendes Urteil zu eigen machen zu wollen „unsicher“. Bei aller Notwendigkeit der Aufklärung meinte Piazolo, damit könnten auch „Ängste geweckt“ und somit unerwünschte Folgen hervorgerufen werden.

Piazolo sprach auch den außerordentlich wichtigen Aspekt der Krebsprävention an, bei dem die Überlegungen bestechend sind: Wenn Krebs verhindert werden kann, erspart man vielen Menschen großes Leid und braucht die Krankheiten nicht behandeln und somit vermeidet man auch den ganzen materiellen Aufwand mit den komplizierten Fragen, wer die Kosten dafür letztlich bezahlen soll.

Bei der Krebsprävention ist – darauf hatte auch Ursula Hilpert-Mühlig in ihrem Eröffnungsreferat hingewiesen – vor allem der Staat gefordert und deren Erfolge seien vor allem statistisch-epidemiologisch nachweisbar. Und aus dem Referat von Beatrix Heilig konnte man erschließen, dass sich der Staat diesen Verpflichtungen gar nicht entziehen will. Zwar hatte die Referentin auch betont, dass „jeder Gesunde durch die Änderung der Lebensstilfaktoren eigenverantwortlich selbst die Möglichkeit (habe), der Krebsentstehung präventiv entgegenzuwirken“. Indes seien – so Beatrix Heilig – „diese Erkenntnisse in der Bevölkerung bislang noch viel zu wenig bekannt“, und so plane das bayerische Gesundheitsministerium „im Rahmen der Gesundheitsinitiative ‘Gesund Leben Bayern’ Krebsprävention als Jahresthema 2013 aufzugreifen . . . und dieses Thema unter dem Motto ‘dem Krebs davonlaufen’ mit vielen Partnern ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.“

Bei aller Gebotenheit solcher Aufklärungsarbeit kann ein Appell an einen angemessenen Lebensstil und damit an das persönliche Verhalten nur einen Teilbereich abdecken. Dazu gehört auch der Schutz am Arbeitsplatz vor krebserregenden Stoffen oder das Verbot von krebserregenden Stoffen in Gegenständen des täglichen Bedarfs oder in Spielzeugen für Kinder, die Reinhaltung von Gewässern oder die Verminderung von Feinstaub in der Atmosphäre, wie Ursula Hilpert-Mühlig ausgeführt hatte.

Und ein wesentlicher Aspekt der Prävention ging im Laufe der anregenden Diskussion ziemlich unter, wurde aber von Joachim Unterländer erwähnt. Dieser meinte: „Als Heilpraktiker können Sie wesentliche Bausteine in der Prävention leisten, deren Stellenwert in unserem gesamten Gesundheitswesen immer noch erheblich verbessert werden muss. Auch hier gilt für den täglichen Lebensablauf von Menschen: Ohne Heilpraktiker und den Naturheilkunde-Bereich ist diese Prävention, die auch Krebs vermeiden hilft, nicht zu leisten.“ Damit war implizit ausgedrückt, dass präventiv-gesunde Lebensführung wie Bewegung, angemessene Ernährung, Stressvermeidung oder ein Tagesablauf gemäß den natürlichen Biorhythmen bei manchen Menschen Krebs vermeiden hilft, bei anderen einen Herzinfarkt oder Schlaganfall und bei vielen anderen Diabetes oder Gicht und Arthrose. Aber im Sinne einer Krebsprävention muss das kein Nachteil sein.

Letztlich verdienen noch die Informationen erwähnt zu werden, mit denen Oberbürgermeister Ude dem Auditorium München als „Pionierstadt der Naturheilkunde“ präsentierte, wo unter anderem der Arzt Lorenz Gleich Mitte des 19. Jahrhunderts die Begriffe „Naturheilkunde“, „Naturheilverfahren“ und „Naturheilsystem“ prägte. Durch die zahlreichen Wasserheilanstalten in München und den Trend zu Wassertrink-Kuren sahen sich damals – wie Ude mit einem Zitat aus der zeitgenössischen Presse belegte – die Bierbrauer in ihrer Existenz bedroht.
Zum Amüsement des Auditorium las Ude vor: „In München ist man hinter eine neue, sehr gefährliche Verschwörung gekommen. Ein öffentlicher Aufruf fordert in den stärksten Ausdrücken zu einem allgemeinen Wassertrinker-Verein auf. Da nun der bairische Geist hauptsächlich auf Bier und Branntwein beruht, könnte das Wasser leicht den ganzen Staat untergraben, fände das beim Volke Eingang, so wären unsere Brauereien zu Grunde gerichtet, und würde der auf das Bier fundierte bairische Nationalgeist so verwaist dastehen, wie der spanische Nationalgeist ohne Stiergefechte. Der Himmel gebe, dass diese alle Bräuer gefährdende entsetzliche Verschwörung beizeiten unterdrückt und Bier und Ruhe im Lande erhalten wird.“

Dr. Christian Ullmann


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Naturheilpraxis 12/2012