SPEZIAL

Zur Signatur von Geranium robertianum Storchenschnabel (Ruprechtskraut)

Ingrid und Rudolf Rockstroh

Ich gehe davon aus, dass es eine durchgängige Idee gibt vom Feinstofflichen zum Grobstofflichen. Wenn ich eine Pflanze ansehe und sie beschreibe, wie ihr Erscheinungsbild ist und wie sie sich verhält, dann übertrage ich diese Formensprache, diese Bildsprache, auf die psychische Ebene des Menschen. Alle, die sich mit Pflanzensignaturen beschäftigen, erkennen die Möglichkeit, dass diese Pflanze dann zur Heilung des jeweiligen psycho-somatischen Erscheinungsbilds beitragen kann. Die Pflanze ist deshalb Heilpflanze, weil sie ihre ungewöhnliche, einseitige Ausprägung in sich selbst überwindet und so zum Vorbild des Unbewussten der Person, des Patienten, sein kann.


Dieses möchte ich mit Bildern von Geranium robertianum illustrieren. Eigentlich hatte ich den Samen einer ganz anderen Pflanze zum Keimen in die Erde gebracht. Da ich nicht wusste, wie die Keimblätter meiner „gewollten“ Pflanze aussahen, bestaunte ich zunächst den Wuchs der schneller wachsenden Pflanze. Offensichtlich hatte sich ein unbekannter Samen dazwischen gemogelt.
Signatur: Schnelle Entwicklung, schlanke, grazile, in die Länge gezogene, ungewöhnliche Form. Ich kannte bis dahin noch keine Keimblätter, die sich so hoch hinaus wagten. Unten sieht man noch die Keimblätter einer anderen Pflanze (wahrscheinlich die, die ich ursprünglich gesät hatte).

Ich entscheide mich dazu, die schnellerwüchsige Pflanze weiter fotografisch zu begleiten.
Der Stängel wuchs und wuchs. Die Pflanze sieht aus, als ob sie eine Palme werden wollte (eine ganze Reihe von „als-ob-Symptomen“ machen sich bemerkbar), aber der Stängel wirkt immer gebrechlicher. Ich befürchte, dass sie umfällt, dass sie die weiteren Blätter nicht tragen kann. Ich war gespannt, wie es weitergeht.
Signatur: Hoch hinaus wollen.
Die beiden Keimblätter (Abb. 2) sehen aus, als ob sie am Längenwachstum behindert wären. Jedes Blatt ist in zwei Teile geteilt. Es hat eine mittlere Ader, die aber nicht in die Länge wächst, sondern als ob sie das Wachstum staucht und das Blatt dadurch gezwungen ist, in die Breite zu wachsen, um sich zu entfalten. Als ob die Keimblätter sich selbst am Längenwachstum hindern wollten. Als ob sie sich in der Mitte des Blattes selbst einen Schlussstein gesetzt hätten.

Signatur: Erst extremes Längenwachstum, dann extremes Breitenwachstum. Von einem Extrem ins andere, Vereinigen von Extremen.

Der „Stängel“ übrigens, woraus sich die beiden langgestielten Keimblätter entwickeln, ist gar kein Stängel sondern das Hypokotyl. (Abb. 3)

Nach Schubert-Wagner (5) S. 161 ist das „Hypokotyl die Keimachse, die durch das obere Ende der Keimwurzel (den Wurzelhals) und die Ansatzstelle der Keimblätter begrenzt wird.“ Dieses Hypokotyl ist beim Storchenschnabel wie eine sehr fragile Nabelschnur zwischen Pflanze und Erde.
Signatur: Sehr dünne, fragile Verbindung zwischen Seele/Geist und Körper.

KLS (1), S. 9 beschreiben, dass die Keimblätter auch im Samen schon deutliche Stiele besitzen und, dass das Hypokotyl bereits im Samen enthalten ist.

KLS (1) S. 85: „ Nach Neger zeigen schon die Keimblätter bisweilen Neigung, mit ihren langen Stielen sich dem Substrat anzulegen, wenn nämlich die Streckung des Hypokotyls nicht ausreicht, sie an das Tageslicht zu heben“.

Geranium robertianum entwickelt sich also nicht immer so wie auf dem Bild. Es kann auch sein, dass es sich gleich flach auf den Boden legt.

KLS (1) S. 87: „Das Wurzelsystem von Geranium robertianum ist im Vergleich zu manchen anderen einjährigen Arten nur mäßig ausgebildet.“
Auf Abb. 4 sieht man die flachen Wurzeln. Auf Abb. 5 kann man den Übergang von der Wurzel zum Hypokotyl erkennen.

Signatur: Der Mensch ist nicht gut geerdet. Nach anthroposophischer und übrigens auch aristotelischer Lesart ist die Pflanze der umgekehrte Mensch, d.h. die Wurzel, das aufnehmende Organ entspricht dem Kopf. Danach wäre die Kopfregion schwach entwickelt.
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Zusammenfassung: die Pflanze als Vorbild unserer Seele, als Heilpflanze:

• Gegensätze in sich vereinen können
• Grenzen einfordern
• Pionier/in, Nischen nutzen
• sich selbst stabilisieren können
• Bei Behinderung äußerem Druck ausweichen und doch die eigene Individualität erhalten
• Sensibel, fragil und doch stark
• Mit seiner/ihrer dünnen Seele/Geist-Körper Verbindung leben können.

Ich träume davon, dass die Künste sich bald den Themen der wunderbaren Natur zuwenden, dass Malerei, Musik und die darstellenden Künste sich mit den von der Natur gegebenen Kunstwerken der
(Heil-)Pflanzen beschäftigen und sie als Themen und Heilmittel ihrer eigenen Biographie erleben können.

Fotos: © Ingrid Rockstroh

Literatur:
(1)KLS= Kirchner, Loew, Schröter, Lebensgeschichte der Blütenpflanzen Mitteleuropas, Verlag Eugen Ulmer, Verlag für Landwirtschaft und Naturwissenschaften, Stuttgart 1926
(2) Pelikan, Wilhelm Heilpflanzenkunde II, Philosophisch-Anthroposophischer Verlag
Goetheanum/Dornach (Schweiz)
(3)Schmeil, Pflanzenkunde, Quelle und Meyer, Heidelberg 1955
(4) Hegi, illustrierte Flora von Mitteleuropa Band IV 3. Teil, Carl Hanser Verlag, München 1964
(5) Schubert-Wagner, Pflanzennamen und botanische Fachwörter, Neumann Verlag 1967

Anschrift der Verfasser:
Ingrid und Rudolf Rockstroh
Heilpraktiker/in
Hauptstr. 55
79879 Wutach-Ewattingen
Tel.+Fax: 07709-257483
info@rockstroh-seminare.de
www.rockstroh-seminare.de

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Naturheilpraxis 10/2012