Klassische Homöopathie

Ein Fall unkontrollierter Niedrigpotenzeinnahme von Arsenicum album D6 mit letalem Ausgang – kritisch hinterfragt

Susann Buchheim-Schmidt

Sicherlich kennen einige KollegInnen diesen Fall, der sich 1992 in Österreich ereignet hat und als „Arzneimittelprüfung mit tödlichem Ausgang“ in die homöopathische Literatur eingegangen ist. Dieser Artikel, veröffentlicht 2002 in der Zeitschrift für Klassische Homöopathie, wird seitdem häufig zitiert, im Rahmen der Diskussion um die angemessene Dosierung homöopathischer Arzneimittel angeführt und im Zusammenhang mit den 10:23 Aktionen der „Skeptiker“ erwähnt (22); (23).


2012, weitere 10 Jahre später, sollen einige Gedanken dazu geäußert und auf Unklarheiten hingewiesen werden, die beim Studieren des Originalartikels auffallend sind.
Durch die Tätigkeit der Autorin als Homöopathin und ihre Zusatzqualifikation als Fachpharmazeutin für Toxikologie erfährt dieser Beitrag einen besonderen Blickwinkel auf diesen nach wie vor spannenden Fall, der sehr viele Fragen aufwirft. Ein abschließendes Urteil, was die Todesursache der Patientin betrifft, kann hier nicht gegeben werden. Sehr wohl aber wird darauf hingewiesen, dass eine stoffliche Arsen-Vergiftung mit den im Artikel von Abermann und Reiter beschriebenen Parametern durchaus nicht ausgeschlossen werden kann.

Zunächst aber zu den Fakten im Originalartikel, die auszugsweise hier zitiert werden.

Die 32-jährige Patientin G.H. nahm über einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten, eventuell länger, Arsenicum album D6 3mal täglich 3 (5?) Globuli bis zu ihrem Tod ein:

„Bisher gesunde Patientin, keine chronische Krankheit; Beruf: Religionslehrerin (weder beruflich noch privat einer vermehrten Schwermetallbelastung ausgesetzt); von Seiten des Magen–Darmtraktes anfällig (z.B. bei Lebensmittelunverträglichkeit oder psychischer Belastung; manchmal auch obstipiert)
Bezug der Patientin zur Homöopathie:
• Beschäftigte sich seit 1980 mit der Homöopathie
• Ließ sich homöopathisch beraten von Frau Dr. L. (führende Homöopathin in Österreich)
• War in homöopathischer Behandlung bei Frau Dr. G.B.

15.8.92
Brechdurchfall nach Speiseeisgenuss –-> Hausarzt Dr. R. –-> Stuhlkultur o.B.
–-> Virale Gastroenteritis‘

17.8.92
Hausbesuch durch den Hausarzt Dr. R.: ´
Pat ist schwach, RR niedrig, Pat. ist ängstlich und ruhelos‘. Patientin fragt den Hausarzt, der eine homöopathische Ausbildung hat: ´Was halten Sie von der Einnahme von Arsenicum album?‘ (1:20)
Anmerkung: Vermutlich Start der Einnahme von Arsenicum album D6

„29.8.92
Fischdose gegessen, die die Tochter nur gekostet hat, weil sie „zu scharf“ sei – in der Nacht darauf heftiger Brechdurchfall der Tochter, einen Tag später
Bauchschmerzen und Übelkeit der Patientin.

Ab Ende 8‘92
Ars. D6, Verat. D? (Einnahme bis zum Tod der Patientin täglich 3x3 Globuli (laut Gatten der Pat.)“ (1: 20).

Arsenicum album war für beide Erkrankungssituationen sicherlich das passende Mittel, sowohl für den Brechdurchfall nach Speiseeisgenuss, als auch für die Magensymptome nach dem Verzehr der Fischkonserve. Alternativ hätte auch an Pulsatilla gedacht werden können
(s. Abb. 1: Repertorisation 1). Da die Patientin aber ängstlich und ruhelos war, ist Arsenicum der Vorzug zu geben.

„15.9.92
Sensibilitätsausfälle an Fingerspitzen und Beinen, Kälteüberempfindlichkeit, juckende trockene Haut ohne Hautausschlag, Schwellung der Augenlider; diskrete Zehenheberschwäche --> Stat. Aufnahme: Neurol. Abtlg. KH Lainz --> nach umfänglichen toxikologischen, virologischen, bakteriologischen, immunologischen Untersuchungen kommt man zu den unbefriedigenden Diagnosen: ´Z.n. gastrointestinaler Infektion, akute sensomotorische Polyneuropathie‘

Ab etwa 22.9.92
Ars D6, Kali-br D3, Colch D4, Verat D3, Dulc D4, Gels D30, Kali-bi D4 –
je 3x5 Globuli (laut Dr. P., Freund der Familie, Arzt im KH Lainz)“ (1: 21).

Anmerkung: Diskrepanzen herrschen über die genaue Menge der Globuli: 3x3 oder 3x5?

„23.9.92
Neuerlich wässrige Durchfälle und Erbrechen --> Transferierung an die Interne Abtlg des KH Lainz -->
Befunde:
• Gastroskopie: ´Erosive hämorrhagische Gastritis, in Abheilung begriffenes Magengeschwür‘
• Hb-Abfall von 13,1 auf 9,5 mg/dl
• Hochgradig erniedrigter Normotest --> Normalisierung nach Vit. K i.v.

30.9.92
Brechdurchfall besser, Verschlechterung der Lähmungssymptomatik (aufsteigende Lähmung) und der Sensibilitätsstörung (Hypästhesie strumpfförmig bis zum Oberschenkel beidseits sowie an der Beugeseite der Hände)-->

...

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Punkt 1:
...

Fazit:
...

Punkt 2:
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Fazit:
...

Punkt 3:
...

Der Artikel wird fortgesetzt.

Die Literaturangaben erfolgen am Schluss des Artikels

Anmerkungen
1 Anmerkung: Auf der Homepage der Praxisgemeinschaft von Dr. Abermann (http://www.hom-gmunden.com/pdf/artikel.pdf) ist der Fall in etwas geänderter Version nachzulesen, u.a. ist der Tod der Patientin dort auf den 28.10.92, 11 Uhr datiert.
2 Anmerkung: Welche Analysemethoden wurden zur Bestimmung angewendet? In der Literatur findet man verschiedene, stark voneinander abweichende Referenzbereiche für die Arsenkonzentration im Blut. Dieses Problem wird an späterer Stelle noch diskutiert werden.
3 Welche das sind wird an dieser Stelle nicht angegeben. Nach Auffassung der Autoren Leber und Niere, vgl. Zitat (1: 27) in dieser Abhandlung.
4 Mees-Bänder: Mehrere Millimeter breite Querstreifung an Finger- und Zehennägeln, wachsen mit dem Nagel nach vorn; u.a .Zeichen einer Arsen- oder Thalliumvergiftung.
5 Diskussionen gibt es immer wieder um die Herstellung nach Korsakoff („Einglasmethode“). Diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Adsorption von niedrigeren, noch im toxischen Bereich liegenden, Potenzen an die Glaswand, die dann später wieder abgelöst und in höher potenzierten Zubereitungen gefunden werden. Die Korsakoff-Potenzen stellen jedoch eine Sonderform der C-Potenzen dar und sind für unser Problem daher nicht relevant. Man kann nach der Korsakoff-Vorschrift keine D-Potenzen „lege artis“ herstellen, da beim Auskippen des Glases wesentlich weniger als nur 1/10 der Flüssigkeit an der Glaswand hängen bleibt und man sich damit im C-Potenzen-Bereich befinden würde!
6 Die Arsenaufnahme durch Wein ist in der heutigen Zeit und war es auch schon während der 1990er Jahre kaum von Bedeutung, da die früher gebräuchlichen arsenhaltigen Pflanzenschutzmittel wie z.B. Schweinfurter Grün in Deutschland und Europa obsolet und verboten sind. In der Literatur (Bekanntmachung des Umweltbundesamtes) gab es allerdings 2003 noch Hinweise auf erhöhte Gehalte in Importweinen, die aber für unser Problem von untergeordneter Bedeutung sein dürften. (16)
7 Bei Dumas finden sich allerdings keine Hinweis darauf, dass es sich bei dem verwendeten Gift tatsächlich um Arsenik handelte.
8 Es gibt nach HAB die Möglichkeit, Arsenicum album nach Vorschrift 6 über Verreibung aus der Ursubstanz zu potenzieren und erst später auf die Dilution überzugehen oder eine Lösung mit der Ausgangskonzentration D2 herzustellen und diese dann weiter zu potenzieren. Der Gehalt der Ausgangslösung D2 ist zu bestimmen (24). Selbst wenn die Globuli unbeabsichtigt mit einer D2 (Ausgangslösung von Arsentrioxid) imprägniert worden wären, wäre auf den Globuli umgerechnet eine um zwei Zehnerpotenzen niedrigere Konzentration zu finden. Das sind bei maximal 9g Globuli (s.o.) 9*10-4g Arsen, also 0,9mg über einen Zeitraum von 72 Tagen verteilt, also 0,0125mg pro Tag. Das wären immer noch weniger als die physiologische Tagesaufnahme von 0,05mg. Diese Annahme ist jedoch ein reines Rechenexempel.
9 Eliminationshalbwertszeiten von Arsen aus dem Blut (12):
Phase 1: über 90% des Arsens im Blut wird mit einer HWZ von 1-2 Stunden eliminiert.
Phase 2: innerhalb 3 Stunden bis 7 Tage HWZ: etwa 30 Stunden.
Phase 3: ein sehr geringer Anteil wird langsam eliminiert; HWZ: 200 Stunden.
10 Diese Dosis ist allerdings mit einer akuten Intoxikation, bei der tödliche Folgen zu erwarten sind, nicht zu vergleichen. Im Vergleich dazu beträgt die für Mäuse ermittelte mittlere letale Dosis von Arsen (verabreicht als Arsentrioxid) LD50: 26-39 mg As/kg KG, allerdings oral verabreicht (6).

Anschrift der Verfasserin:
Susann Buchheim-Schmidt
Apothekerin und Heilpraktikerin
Fachpharmazeutin für Toxikologie
Qualifizierte Homöopathin des BKHD
Praxis für Klassische Homöopathie in den Räumen der Hebammenpraxis „Die Oase“
Boppstraße 46
55118 Mainz
Tel.: (0 61 31) 6 69 29 73
susannbuchheim@web.de

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Naturheilpraxis 10/2012