Haut

Brennessel Urtica urens und dioica

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Der Name steht für eine Erfahrung: In der Bezeichnung „Brennnessel“ ist jenes Erlebnis sprachlich festgehalten, das einen Menschen von Kindheit an begleitet, wenn er mit dieser Pflanze in Kontakt kommt: eine mit Rötung, Quaddeln und Juckreiz auftretende Hautveränderung, die so charakteristisch ist, dass ein mit ähnlichen Beschwerden einhergehendes dermatologisches Krankheitsbild, Urtikaria (Nesselsucht), nach den Symptomen des Brennnesselkontaktes benannt wurde. Das Wort brennen leitet sich etymologisch vom indogermanischen jernowm – erwärmen ab. Die galenischen Humoralpathologen der Antike und des Mittelalters sprachen der Pflanze ein heißes und trockenes „Temperament“ dritten Grades zu und damit eine der höchsten Wärmequalitäten, die eine Heilpflanze überhaupt besitzen kann.


Das Wesen der Brennnessel ist Wärme und Aggression. Wer mit den feinen Brennhärchen der Pflanze in Kontakt gerät, bekommt den aggressiven Charakter der Pflanze leibhaftig zu spüren. Und dieser ist eine durchaus kostbare Qualität.

Aggression ist in unserer Kultur ein negativ besetztes Wort, mit dem man feindseliges Verhalten gegenüber Personen oder Gegenständen assoziiert. Man versteht darunter die Neigung einer Person, sich in ablehnenden oder oppositionellen Einstellungen zu ergehen. Als Äußerungsweisen von Aggression gelten Schlagen, Treten, Beißen, Drangsalieren und Herabsetzen. Aggression hat es schwer in unserer Kultur. Dabei hat das Wort bei genauerer Betrachtung eine völlig harmlose Bedeutung. Vom lateinischen aggredi abgeleitet, heißt es in seiner ursprünglichen Bedeutung Herangehen an etwas und bezeichnet damit eine freundliche Form des Zugangs zu einem Thema.

Es gibt auch liebevolle und belebende Formen der Aggression. Zum Beispiel den Gott Amor, der seine Pfeife auf die Liebenden abschießt. Niccolo Macchiavelli pflegte einmal zu sagen „Das Glück ist mehr auf der Seite des Angreifers als auf der desjenigen, der sich verteidigt.“ Das Herangehen an die Dinge ist stets auch Zeichen von Lebenslust und Lebenskraft. In der Symbolik haben Pfeil und Pfeilspitze, mit denen die Brennnesselhärchen durchaus verglichen werden können, nicht nur eine phallische Bedeutung, sondern gelten auch als Licht-Symbole, die mit den Strahlen der Sonne und den Pfeilen des Lichtgottes Apollon in Verbindung gebracht werden. Das, was angreift, kann auch erkenntnisfördernd wirken. Aggression, die nicht zerstört, ist belebend und eine Herausforderung für Wachstum und Weiterentwicklung. Oder, wie Goethe es ausdrückt: „Die besten Freunde, die wir haben, sie kommen nur mit Schmerzen an. Und was sie uns für Weh getan, ist fast so groß als ihre Gaben.“ Er wird beim Schreiben dieser Zeilen nicht an eine Heilpflanze gedacht haben, wenn auch dieser Vierzeiler durchaus für die Brennnessel gültig ist. Ihr aggressives Potential macht sie zu einer überaus heilkräftigen und wirksamen Pflanze.

Signaturenlehre und Anthroposophische Medizin

...

Geschichte

...

Pharmakologie

...

Literatur
Udo Becker: Lexikon der Symbole. Herder Verlag, Freiburg 1999
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Grundlagen – Anwendung – Therapie. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Werner D. Fröhlich: Wörterbuch Psychologie. dtv, München 2002
Hunnius. Pharmazeutisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin 1998
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag, Aarau 2002
Kluge: Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache. De Gruyter, 24. Auflage, Berlin 2002
Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Mediamed Verlag, Band 11, Ravensburg 1990
Heinz Nicolai: Goethes Gedichte in zeitlicher Folge. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999
Wilhelm Pelikan: Heilpflanzenkunde III. Verlag am Goetheanum, Dornach 1999
Henning Schramm: Heilmittel der Anthroposophischen Medizin. Elsevier bei Urban & Fischer, München 2009
Wolf-Dieter Storl: Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor. AT Verlag, Aarau 2004
Heinz-Hartmut Vogel: Wege der Heilmittelfindung. Band 2. Natur – Mensch – Medizin Verlags GmbH, Bad Boll 2000
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002

Anschrift der Verfasserin:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München

weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis

Naturheilpraxis 7/2012