FACHFORUM

Ein öffentliches Spektakel - Die Einläufe für den Sonnenkönig

Vom Storchenvogel zur Klistierspritze

Ernst-Albert Meyer

Das Klistier – der Einlauf – gehört zu den ältesten bekannten Arzneiformen. Die alten Ägypter sahen im heiligen Ibis – einem Storch ähnlichen Vogel – den Erfinder des Einlaufs. Sie glaubten zu sehen, wie der Ibis seinen langen, mit Wasser gefüllten Schnabel in den After steckte. Doch in Wahrheit führte der Vogel keine Darmspülung durch, sondern wollte nur sein Gefieder mit dem Sekret seiner Steißdrüse einfetten.


Schon im alten Ägypten beliebt!

Der Begriff „Klistier“ leitet sich aus dem Griechischen von „klysteer“ (Spüler) bzw. „klysterion“ (Reinigung) ab. Zu einem Klistier gehört eine Flüssigkeit, die mittels eines Klistiergerätes, z.B. einer Klistierspritze, in den Enddarm eingeleitet wird. Seit der Antike wurden Klistiere zwecks Stuhlentleerung sowie der Applikation von Arzneimitteln und auch Nährstoffen eingesetzt. Auf diese Weise wollte man Kranke ernähren, die keine Speisen mehr aufnehmen bzw. im Körper behalten konnten. Als Nährklistiere wurden einzeln oder als Mischungen Brühen, Weine, Schleime, Milch, Eidotter und püriertes Kapaunfleisch verwendet.

Bei Ausgrabungen im Pyramidenfeld von Gise fanden die Archäologen im Jahr 1926 eine türartige Steinplatte. Sie zeigt den altägyptischen Hofarzt Iry in verschiedenen Körperhaltungen. Ihm hatte der Pharao den Titel „Hüter des königlichen Darmausgangs“ verliehen. Denn schon 3000 Jahre vor Chr. war man in Ägypten der Meinung, dass Krankheiten durch Stauungen von Atemluft, Blut, Schleim und anderen Körpersäften sowie nicht zuletzt durch eine Darmverstopfung entstünden. Deshalb war der Hofartz Iry für einen geregelten Abgang der Ausscheidungen des Herrschers verantwortlich. Aber auch „Krankheitsdämonen“ verließen nach Meinung der alten Ägypter über den Darm den Körper, wobei ein Einlauf diesen Abgang beschleunigen würde. Als Einlaufflüssigkeit verwendete man laut dem Papyrus Ebers, einem Dokument der antiken ägyptischen Medizin, bei Verstopfung Ochsengalle, Öle oder wässrige Pflanzenauszüge. Sie wurden vom Arzt mittels eines an der Spitze abgeschnittenen Rinderhorns „in den After eingegossen“. Aber auch im alten Mesopotamien und Griechenland waren Einläufe sehr beliebt.

Die Säftelehre des Hippokrates

Nach dem berühmten griechischen Arzt Hippokrates von Kos (460 bis 377 vor Chr.) beruht Gesundheit auf einem Gleichgewicht der Körpersäfte, was besonders für die Verdauungsorgane wichtig war. Eine Obstipation wurde damals als Ausdruck für ein Ungleichgewicht der Körpersäfte gewertet. Deshalb sollte ein Einlauf die Verstopfung beseitigen und die überschüssigen, krankmachenden Körpersäfte entfernen. Die Einlaufflüssigkeiten bestanden im Wesentlichen aus Gemischen von Wein, Öl, Milch, Honig und Wasser, denen z.B. bestimmte Pflanzenauszüge zugesetzt waren. Die Lehre von den Körpersäften bestimmte bis ins 19. Jahrhundert die praktische Medizin. Deshalb waren Aderlass, Schröpfen und Klistieren Jahrhunderte lang die häufigsten Behandlungsmethoden in Prophylaxe und Therapie. Als man sich Mitte des 19. Jahrhunderts von der Säftelehre distanzierte, verloren auch die Darmreinigung und damit das Klistier an Bedeutung. Jedoch wurden Teile der Säftelehre in die sich entwickelnde Naturmedizin übernommen. So sind naturheilkundige Therapeuten oft der Meinung, dass es bei einer Verstopfung zur Selbstvergiftung des Organismus komme. Hierbei würden im Stuhl vorhandene giftige Stoffwechselprodukte über die Darmwand resorbiert und Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, unreine Haut u.a. auslösen. Deshalb empfiehlt die Naturmedizin häufig, bestimmte Kuren (z.B. Frühjahrskuren usw.) mit Einläufen bzw. Laxanzien zu beginnen.

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Abbildungen aus Bilz „Das neue Naturheilverfahren“ Leibzig 1894

Literatur
1 von Degenhardt, A.: Das Klistier. Orion, Flensburg 1995
2 Schrott, H.: Die Chronik der Medizin. Chronik Verlag, Dortmund 1993
3 Gaude, W.: Die Alte Apotheke. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1986
4 Karger-Decker, B.: Von Arzney bis Zipperlein. Edition q, Berlin 1992

Anschrift des Verfassers:
Ernst-Albert Meyer
Fachapotheker für Offizin-Pharmazie
Oldendorfer Str. 44
31840 Hessisch Oldendorf

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Naturheilpraxis 6/2012