Phytotherapie

„Gibt’s da nicht auch was Pflanzliches?“

Uwe Schlutt

Phytotherapie, also die Heilkunst der Anwendung von Heilpflanzen (griech. phyton = Pflanze) erfreut sich großer Beliebtheit. Diese Therapieform, die den Menschen seit Zehntausenden von Jahren begleitet, genießt nach wie vor den Ruf, gut wirksam und zugleich arm an Nebenwirkungen zu sein.


Über sehr lange Zeiträume nutzte der Mensch die Pflanzen intuitiv und unter Verwedung tradierten Wissens. Im Laufe der Zeit wurde bezüglich der Anwendung von Heilpflanzen ein sehr großer Wissensschatz zusammengetragen. Das zeigt sich besonders in der nach wie vor anerkannten Bedeutung der angesehenen alten Werke über die Anwendung der Heilpflanzen. Die „alten Meister“ haben nicht nur die heilkräftigen Qualitäten der Heilpflanzen beschrieben, sondern auch ihr Vorkommen, ihre äußere Erscheinung und ihre Charakteristika, in denen sich die Eigenschaften der Pflanzen ausprägen und somit in vielen Fällen auch ablesen lassen.

Nachdem die Phytotherapie über Jahrtausende und Jahrzehntausende eine intuitive und Erfahrungsheilkunde war, begannen im 19. Jahrhundert die Bestrebungen, dieser Therapieform eine wissenschaftliche Basis zu geben. Friedrich Sertürner gelang es 1804, das Morphin aus dem Opium zu isolieren und damit den Wirkstoff zu benennen, der die Wirksamkeit dieser Schlafdroge ausmacht. Gerhard Madaus schrieb 1938 das „Lehrbuch der biologischen Heilmittel“, in dem die Inhaltsstoffe der Heilpflanzen, ihre Extraktionsmöglichkeiten, genaue Pflanzenbeschreibungen und eine Sammlung der Anwendungsmöglichkeiten aus verschiedenen Ländern enthalten sind.

Dieser Beginn der „rationalen Phytotherapie“ setzte sich in einer enormen Aufwändung von Zeit und Geld in den 1980er Jahren fort, womit die Phytotherapie endgültig auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden sollte. Ergebnis dieses Untersuchungsaufwandes war die Erstellung von Pflanzenmonographien, in denen – soweit möglich – die Inhaltsstoffe, Anwendungsgebiete und –formen, Ernte- und Zubereitungsvorschriften zusammengetragen sind.

Erstaunlich (besonders für all diejenigen, die sich mit der traditionellen Phytotherapie nicht genauer beschäftigt haben) ist nach wie vor, dass sich die Ergebnisse der wissenschaftlichen Sichtung vom alten Erfahrungswissen praktisch nicht unterscheiden! Aber wie sagte Carl Friedrich von Weizsäcker so treffend:

„Die Wissenschaft glaubt sich sehend, indem sie doppeltblind vorgeht“

Die heutigen wissenschaftlichen Pflanzenbeschreibungen zielen im Wesentlichen daraufhin, die Wirksamkeit der jeweiligen Anwendung sicherzustellen. Hier wird untersucht, welche Menge des jeweils wichtigen Inhaltsstoffes pro Tag oder pro Einzelgabe verabreicht werden muss. Unterschreitung dieser Wirkstoffmenge bei der Einnahme gilt dann als nicht wirksame Anwendung. Das hat dazu geführt, dass aus vielen über Jahre bewährten phytotherapeutischen Anwendungen einzelne Pflanzen aus der Rezeptur entfernt werden mussten, um die Zulassung des Medikaments nicht zu gefährden.

Übersehen wurde bei der wissenschaftlichen Sichtung allerdings die Tatsache, dass es gerade im phytotherapeutischen Bereich bei der Kombination mehrerer Pflanzen zu Synergismus-Effekten kommt, die die Wirksamkeit der eingesetzten Wirkstoffe um ein Vielfaches steigern oder die es erlauben, die Menge eines bestimmten eingesetzten Wirkstoffes zu verringern, ohne dass es zu einer Einbuße an Wirksamkeit kommt.

Anders als im Bereich der meisten chemisch definierten Medikamente ist beim Einsatz von phytotherapeutischen Produkten zu beobachten, dass es zu einer Potenzierung der Wirksamkeit bei gleichzeitiger Reduktion möglicher unerwünschter Wirkungen kommt. Das heißt: Durch die gekonnte Kombination mehrerer pflanzlicher Heilmittel kann ich auch bei relativ geringer Menge an Einzelwirkstoffen eine gute Wirksamkeit erzielen und gleichzeitig verhindern, dass es zu eventuell schädigenden Auswirkungen kommt.

Im Bereich der chemisch-pharmakologischen Wirkstoffe ist häufig ein völlig anderer Effekt zu beobachten: Dort führt die Kombination mehrerer Wirkstoffe in der Regel zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen. Kombiniere ich z. B. mehrere Schmerzmittel miteinander, so ist der Gewinn an Schmerzlinderung relativ gering, die Chance einer Organschädigung steigt hingegen rapide.

Für den Phytotherapeuten heißt das: Keine Angst vor Kombinationen!
Mit geschicktem Kombinieren lässt sich bereits mit wenigen Heilpflanzen eine große Bandbreite an Wirksamkeit erzielen.

Denn wer kennt das nicht aus der Praxis: Da hat man erprobtermaßen wirksame Teerezepturen zur Hand, rezeptiert diese dem Patienten und für ihn oder sie beginnt jetzt die Odyssee, dieses Teerezept zu vertretbarem Preis anfertigen zu lassen. Klar, jede Apotheke kann die einzelnen Bestandteile beim Großhändler bestellen, keine Frage. Nur: Was passiert mit den Anbruchmengen? Nicht jeder Apotheker ist bereit, diese auf Lager zu legen. Es gibt eben kein 30 g-Gebinde an z. B. Spitzwegerichblättern. Also wird die kleinste Menge (z. B. 100 g) bestellt, der Rest dem Patienten mitgegeben. Dieser bezahlt also beispielsweise 70 g Spitzwegerichblätter, die er oder sie eigentlich nicht benötigt. Das verteuert eine Teemischung erheblich und fördert die Compliance des Patienten nicht wirklich ...

Ein möglicher Ausweg aus dieser Problematik besteht eben darin, sich bei den Rezepturen auf eine begrenzte Zahl von Heilpflanzen zu beschränken.

Möglich wird das dadurch, dass viele Heilpflanzen ein recht breites Wirkungsspektrum besitzen und für mehrere Indikationen Anwendung finden können. Zudem bietet das geschickte Kombinieren von einigen Pflanzen in einer Rezeptur die Möglichkeit, dem Gesamtrezept die eine oder andere Wirkrichtung zu verleihen.

Dem eingefleischten Phytotherapeuten blutet dabei ein wenig das Herz, denn es ist ja oft genau diese enorme Vielfalt an Heilpflanzen, die die Phytotherapie zu so einer grandiosen Heilweise macht. Und jetzt diese Beschränkung? Und dann kommt die Überlegung zum Tragen, dass es immer noch weit besser ist, eine etwas eingeschränkte Rezeptur auch wirklich in die Anwendung zu bekommen als eine eher theoretische, schwierig umsetzbare Rezepturidee ungenutzt in einer Schublade des Patienten verschwinden zu sehen.

Die Idee, einen überschaubaren phytotherapeutischen Rezepturschatz zusammenzustellen und somit die Heilpflanzenanwendung für Viele gut zugänglich zu machen, kam mir in den Sinn, als ich mich mit der Schüßler’schen Biochemie beschäftigte und deren Überschaubarkeit als eine ihrer großen Vorzüge betonte. zwölf Hauptmittel, die eine enorme Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten haben. Da müsste es doch möglich sein, auch zwölf Pflanzen auszuwählen, die jeweils sozusagen „Tausendsassa-Qualitäten“ haben und zu einer Hausapotheke kombiniert werden können. Von diesen Pflanzen sollte man dann jeweils mindestens 100 g in der Hausapotheke vorrätig halten, so dass im Bedarfsfall ein schneller Zugriff möglich ist.

Bei einigen Pflanzen bietet sich dann auch die Chance, bei entsprechender Sachkenntnis zur entsprechenden Jahreszeit in die Natur zu gehen und sich die Heilpflanzen selbst zu sammeln und zu trocknen, um einen Vorrat anzulegen.

Und dann begann die Qual der Wahl.

Wie soll man sich in diesem großen Schatz an phytotherapeutischen Helfern auf einige heilkräftige Pflanzen beschränken? Der Ausweg liegt in der Kombination verschiedener Heilkräuter in einer Rezeptur. Dieser Weg scheint zunehmend „aus der Mode“ zu kommen, weil es schwierig ist, die Wirksamkeit dieser Kombinationen pharmakologisch über verabreichte Mindestmengen an Wirkstoffen usw. hieb- und stichfest zu beweisen. Die Synergismen der einzelnen Bestandteile sind natürlich nicht mit Untersuchungen oder Studien zu belegen – und das scheint in der heutigen Medizinwelt ja weitaus wichtiger zu sein als das, was sich erfahren und beobachten lässt bei der Anwendung der Zubereitungen. Leider. So kann man auch mit einem kleinen Repertoire an Heilpflanzen eine große Bandbreite an Wirkrichtungen erzielen, insbesondere indem die Rezepturen dann nicht stur zu gleichen Teilen mischt, sondern über die kreative Anwendung verschiedener Mengen der Heilkräuter die Wirkrichtung einer Rezeptur steuert.

Ach ja – da ich die Schüßler’sche Biochemie bereits erwähnt habe: Hier bietet sich natürlich die Möglichkeit, passende Schüßlermittel in den Tee zu geben und so eine phytotherapeutische Rezeptur noch genauer auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten auszurichten. Die vielfach geäußerte Ansicht, eine solche Kombination beeinträchtige die Wirksamkeit der Anwendung der Schüßler’schen Biochemie, lässt sich in der täglichen Praxis nicht bestätigen.

Sicherlich gibt es für die diversen Krankheiten ausgefeiltere Rezepturen, als sie aus diesen zwölf Hausapotheken-Pflanzen zusammengestellt werden können. Hier bietet sich aber die Chance, frühzeitig bei sich abzeichnenden Störungen der Gesundheit tätig zu werden. Das ist die große Chance, denn gerade im Beginn einer Erkrankung können sanfte Impulse einen sehr guten Beitrag zur Wiedererlangung der Gesundheit zu leisten.

Weiter unten sind 18 Rezepturvorschläge aufgeführt, die aus den zwölf vorgestellten Heilpflanzen gefertigt werden können. Die Rezepturen sind so aufgeführt, dass sich Mischungen von jeweils 100 g ergeben. Natürlich muss nicht immer diese Menge gefertigt werden. Die Grammangaben können auch als Angabe von Mischungsteilen verstanden werden, nach denen die Tees dann zu geringeren Mengen als 100 g zusammengestellt werden.

Die Tees werden dann in aller Regel zubereitet, indem 1 bis 2 Teelöffel der Pflanzenmischung mit einer großen Tasse kochenden Wassers übergossen werden, nach einer Zeit von 5 bis 10 Minuten, in der der Tee abgedeckt ziehen kann, wird abgegossen. Über den Tag verteilt 3 Tassen trinken. Die Tees sollten nach Möglichkeit ungesüßt getrunken werden, sollte es nicht anders gehen, bitte höchstens etwas Honig oder Stevia zugeben, auf keinen Fall Zucker oder gar künstlichen Süßstoff.

Im Folgenden eine kurze Beschreibung der zwölf phytotherapeutischen Helfer für die „grüne Hausapotheke“:

Gänsefingerkraut

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Echte Goldrute

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Lavendel

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Löwenzahn

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Melisse (Syn.: Zitronenmelisse)

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Ringelblume

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Spitzwegerich

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Süßholz

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Thymian

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Wiesenkönigin

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Wasserdost

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Weißdorn

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Rezepturvorschläge aus der phytotherapeutischen Hausapotheke

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Anschrift des Verfassers:
Uwe Schlutt
Heilpraktiker
PhytAro
Heilpflanzenschule Dortmund
www.phytaro.de

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Naturheilpraxis 03/2012