FACHFORUM

Q-Potenzen

Ein Leitfaden für Diagnose und Therapie Teil I

Klaus Binding

Am Ende seiner Suche nach der Vollendung der homöopathischen Heilkunst entwickelte Samuel Hahnemann in seiner Pariser Zeit ein neues Potenzierverfahren. Beschrieben hat er das neue Verfahren in der 6. Auflage des Organon, die durch merkwürdige Umstände erst im Jahr 1921 erschien. Es dauerte erstaunlicherweise mehr als zwanzig Jahre, bis die neue Arzneimittel-Herstellung im Organon überhaupt entdeckt wurde. Alle Homöopathen weltweit hatten auf die 6. Auflage voller Neugier und Spannung gewartet – gründlich gelesen hatte sie wohl vorerst niemand. Sogar Dr. Richard Haehl, Hahnemanns Biograph und Herausgeber der letzten Auflage, hat die große Neuerung beim Potenzieren nicht bemerkt. Er verweist in seiner Vorrede zur 6. Auflage zwar auf die Erweiterung des § 270 im Hinblick auf die Möglichkeit der täglichen Einnahme der Arznei bei chronischen Krankheiten, übersieht aber, dass die bis dahin gebrauchten C-Potenzen durch neue Potenzen ersetzt worden waren.


Hahnemanns Lieblingsschüler v. Bönninghausen wusste bereits von den neuen Potenzen, denn er beschreibt zwei Fälle aus Hahnemanns Praxis, in denen Q-Potenzen benutzt wurden. In einer anderen Arbeit berichtet er bereits über die neuen Potenzen: „…. sind neue, in der nächsten Ausgabe des Organon zu beschreibende Dynamisationen angewendet, deren eigenthümliche Anfertigung mir bekannt ist und die, weniger Zeit und Mühe kostend, im Wesentlichen unsere jetzigen Hoch- und Höchstpotenzen darstellt, aber zufolge gegebenen Ehrenwortes zur Zeit von mir noch nicht veröffentlicht werden darf.“

Der Schweizer Homöopath Rudolf Flury behauptet, als Erster auf Hahnemanns neues Verfahren gestoßen zu sein. Wahrscheinlicher ist jedoch nach Dr. Künzlis Aussage, dass Pierre Schmidt vor Flury die Neuerungen bei seiner Übersetzung des Organon ins Französische entdeckt hatte; er hatte Flury darauf aufmerksam gemacht. Dieser war der Erste, der 1950 der Öffentlichkeit das neue Potenzierungsprinzip vorstellte, nachdem er bereits 1948 und 1949 in Fachvorträgen darüber berichtet hatte. Flury war es auch, der die falsche Bezeichnung LM-Potenz prägte: L= römisch 50, M = römisch 1000, heißt aber 950. Q ist das Kürzel für Quinquagintamille, lat. für 50.000.

Nach Hahnemanns neuem Verfahren wird bei jeder Potenzstufe die Ausgangssubstanz um 50.000 verkleinert. Im Gegensatz zu den C-Potenzen, bei denen zur Dynamisierung bei jedem Verdünnungsschritt erst 10-mal, später nur noch 2-mal geschüttelt wurde, erhöhte Hahnemann die Zahl der Schüttelschläge bei den Q-Potenzen auf 100 pro Verdünnungsschritt. Er war sicher, aufgrund des höheren Verdünnungsgrades stärker dynamisieren zu können, ohne unerwünschte zu heftige Reaktionen zu riskieren.

Nach langer und genauer Beobachtung war Hahnemann mit der Genesungszeit in chronischen Fällen nicht mehr zufrieden. Er konnte zwar mit Centesimalpotenzen Heilungen bewirken, aber der Weg dorthin entsprach nicht seiner Anforderung nach dem kürzesten Weg dorthin:

„ .... bei etwas chronischen Krankheiten hingegen, vollendet zwar auch bei langsam fortgehender Besserung, zuweilen eine Gabe treffend gewählter, homöopathischer Arznei die Hülfe, die dieses Mittel in solchem Falle seiner Natur nach auszurichten im Stande ist, in einem Zeitraume von 40, 50, 60, 100 Tagen. Aber theils ist dies sehr selten der Fall, theils muss dem Arzte, so wie dem Kranken viel daran liegen, dass, wäre es möglich, dieser Zeitraum bis zur Hälfte, zum Viertel, ja noch mehr abgekürzt und so weit schnellere Heilung erlangt werden könnte“
(§ 246, Organon).

Es ging Hahnemann darum, die homöopathische Kur abzukürzen. Er beabsichtigte, die Arznei öfter zu wiederholen, ohne Verschlimmerungen zu provozieren. Dafür bedurfte es Arzneien, die sanfter wirkten, aber trotzdem nicht an Arzneikraft verloren. Das Resultat nach jahrzehntelangem Suchen war die Q-Potenz, die durch deutlich höhere Verdünnung bei gleichzeitiger Erhöhung der Schüttelschläge auch bei täglicher Einnahme sanft und ohne nachteilige Reaktionen wirkte. Hahnemann betrachtete die Q-Potenz als die ideale homöopathische Dynamisierung. Einige Jahre vor seinem Tod zeigte sich Hahnemann zufrieden mit dem Ergebnis seines jahrelangen Ringens:

„ ... seit den letzten 4, 5 Jahren aber, durch mein, seitdem abgeändertes, neues, vervollkommtes Verfahren, sind alle diese Schwierigkeiten völlig gehoben…“

...

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Klaus Binding
Brenneckenbrück 5a
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Naturheilpraxis 3/2012