FACHFORUM

Reizdarm

Ein Leitfaden für Diagnose und Therapie Teil I

Michael Martin

Der Reizdarm, Synonym für Reizdarmsyndrom (RDS) und Colon irritabile, gehört in die Gruppe der funktionellen Magen-Darmerkrankungen und wird den „somatoformen Erkrankungen“ – früher auch als psychogene Störung, vegetative Dystonie, Konversionshysterie u.a. bezeichnet – zugeordnet. In der Gastroenterologie zählt das RDS zu den am häufigsten gestellten Diagnosen, die letztlich mittels anamnestischer Daten sowie den Ergebnissen apparativer Untersuchungsverfahren, die den Ausschluss organischer Erkrankungen ermöglichen, gestellt wird. Hierbei beschränkt sich die konventionelle Diagnostik üblicherweise auf Untersuchungen, die schwerwiegende Erkrankungen wie die CED (Colitis ulcerosa, bzw. Morbus Crohn), Divertikulitiden, Zöliakie oder Karzinome des Darmes berücksichtigen1. Seit Anfang der 90er Jahre finden auch die als ROM-Kriterien bezeichneten anamnestischen Diagnosehilfen Anwendung (Tab. 1). Die Erfüllung dieser Kriterien gilt solange als Indikator für ein Reizdarmsyndrom, so lange keine Warnsymptome, die nicht zum RDS gehören, auftreten.


Es werden im Wesentlichen zwei Haupttypen des Syndroms unterschieden, die entweder als obstipationsbetont, spastisch imponieren oder bei überwiegend dünnen Stühlen als durchfallsbetonter Typ beschrieben werden. In typischer Weise treten die Beschwerden nach dem Aufstehen bzw. in den Morgenstunden auf, aber auch während oder direkt nach einer Mahlzeit. In der Nacht sind die Patienten meist beschwerdefrei (Tab. 1).

Das Symptombild des Reizdarms

Im Laufe des Lebens dürften circa 20 bis 30% der Bevölkerung unter einer der Varianten des Reizdarmsyndromes leiden, wobei das weibliche Geschlecht mit etwa zwei Dritteln überwiegt. Die Erstmanifestation liegt im frühen Erwachsenenalter2. Charakteristisch für den Reizdarm sind neben den oben genannten Auffälligkeiten das Symptomen-Trias Bauchschmerz, Stuhlunregelmäßigkeiten und Blähungen. Gelegentlich zeigen sich zusätzlich Übelkeit und Erbrechen. Diese Beschwerden treten chronisch oder chronisch-rezidivierend auf. Die Schmerzen, die als bohrend, stechend oder krampfartig beschrieben werden, können sich im gesamten Abdominalbereich bemerkbar machen und sind in vielen Fällen so heftig, dass sie die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Viele Patienten beklagen Schmerzen im Bereich Unterbauch entsprechend dem Verlauf des Sigmas, was sich bei der Palpation in diesem Bereich als Druckschmerzhaftigkeit oder zumindest höhere Empfindlichkeit zeigt.

Häufig geben die Patienten an, dass nach dem Stuhlgang das Gefühl einer unvollständigen Darmentleerung zurückbleibt. Der Enddarm sowie der Analbereich können lokalisiert schmerzhaft sein. Bezüglich der Stuhlunregelmäßigkeiten wird über Obstipation, Diarrhoe oder einen Wechsel zwischen beiden geklagt. In Stresssituationen treten die Symptome verstärkt auf, so dass man nicht selten von einer ausgeprägten psychischen Komponente ausgeht.

Der Begriff Colon irritabile, der häufig als Synonym für den Reizdarm genutzt wird, erweckt den Anschein, als handele es sich um ein auf das Colon beschränktes Geschehen. Tatsächlich hat man es aber mit einer umfassenden, sowohl vom Dickdarm als auch vom Dünndarm ausgehenden Funktionsstörung zu tun. Wesentliches pathophysiologisches Merkmal des Reizdarms ist die gestörte Darmmotilität.

Vorschnelle Diagnose Reizdarm?

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Standard-Diagnostik Reizdarm

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Erweiterte Diagnostik in der komplementärmedizinischen Praxis

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Kohlenhydratintoleranzen und –unverträglichkeiten

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1. Laktoseintoleranz

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2. Fruktoseintoleranz, bzw. –unverträglichkeit

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Tabelle siehe Naturheilpraxis 3/2012

Literaturangaben
1 Martin, Michael (Hrsg.); Gastroenterologische Aspekte in der Naturheilkunde, Ralf Reglin Verlag Köln, 2000
2 Bob, Alexander und Konstantin; Innere Medizin, MLP Duale Reihe, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 2001
3 Collins, St. M.; Irritable bowel syndrome could be an inflammatory disorder, Eur. J. Gastr.&Hep. 6 (1995) 278-281
4 Ledochowski M. et al. Kohlenhydratmalabsorptionssyndrome. Ernährungsmedizin. Hrsg. Widhalm K., Diallo-Ginstl E., Wien: ÖÄK-Verlag 2000
5 Berges W., Enck P. Lactose-Malabsorption in der Maske des „irritablen Darms“. DMW 1990; 115: 196-197
6 Jäger L., Wüthrich B. Nahrungsmittelallergien und –intoleranzen. 2. Auflage; München, Jena: Urban & Fischer 2002
7 Neumeister B. et al. Klinikleitfaden Labordiagnostik. 3. Auflage; München, Jena: Urban & Fischer 2003
8 Sitzmann F. C. Pädiatrie Duale Reihe. 2. Auflage; Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag 2002
9 Hüppe D. et al. Lactoseintoleranz bei chronisch-entzündlicher Darmerkrankung. DMW 1992; 117(41): 1550-1555
10 Ledochowski M. et al. Fructose malabsorption is associated with decreased plasma tryptophan. Scan J Gastroenterol 2001; 36(4): 367-371
11 Ledochowski M. et al. Carbohydrat malabsorption syndroms and early signs of mental depression in females. Digest Dis Sci 2000; 45(7): 1255-1259
12 Varea V. et al. Malabsorption of carbohydrates and depression in children and adolescents. J Ped Gastroent Nutr 2005; 40(5): 561-565
13 Wächtershäuser A., Stein J. M. Ernährungsfaktoren und Ernährungstherapie beim Reizdarmsyndrom - was ist valide? Zeitschrift für Gastroenterologie, Thieme Verlag, Band XLVI Seite 279-291, 2008
14 Skoog S. M., Bharucha A. E., Diatery fructose and gastrointestinal symptoms: a review. Am J Gastroenterology 2004; 99: 2046-2050

Anschrift des Verfassers:
Michael Martin
Ganzimmun Diagnostics AG
Hans-Böckler-Str. 109
55128 Mainz

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