Nerven

Jasmin statt Valium

Betörender Blütenduft ist zum Psychopharmakum avanciert

Martina Schneider

Seit ehedem betört der Duft von Jasminblüten die Sinne, eine Wirkung, die deutsche Forscher nun in den Rang „potentes Psychopharmakum“ gehoben haben. „Eine Nase Jasminduft“ statt Schlaftablette oder Stimmungsaufheller: Der molekulare Wirkmechanismus ist vergleichbar – beruhigend. Die Vorteile des Blütenduftes oder ätherischen Öles liegen auf der Hand: Die natürlichen Heilmittel machen nicht süchtig, sie müssen auch nicht immer wieder in der Dosis gesteigert werden, um Wirkung zu zeigen, und es sind keine schweren Nebenwirkungen zu befürchten.


Der Duft von Jasminblüten kann gleichwertiger Ersatz zu Barbituraten und Benzodiazepinen sein, hat das Bochumer und Düsseldorfer Forschungsteam um den Zellphysiologen Professor Hanns Hatt herausgefunden. „Statt Schlaftablette, Angstlöser oder Stimmungsaufheller könnte auch eine Nase Jasminduft aus Gardenia jasminoides helfen“, erklärt Hatt. Denn die Duftstoffe haben einen vergleichbaren molekularen Wirkmechanismus und können genauso stark wirken wie häufig verschriebene Barbiturate, Benzodiazepine oder Hypnotika 1.

Verhaltenstests mit Mäusen hätten die Qualitäten der Jasmindüfte als Beruhigungsmittel bestätigt. Gespritzt oder inhaliert, entfalteten die Duftstoffe beruhigende Wirkung: „In einem Plexiglaskäfig mit hoher Duftkonzentration stellten die Mäuse jede Aktivität ein.“

Maßgeblich für die Wirkung als „potentes Psychopharmakum“, erklärt Hatt, sind die beiden Duftmoleküle Vertacetal-coeur und die chemische Variante PI24513. Beide Stoffe binden ähnlich stark an GABA-Rezeptoren wie herkömmliche Sedativa. GABA-Rezeptoren sind Transmembranproteine in Nervenzellen, die spezifisch den Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA) binden. Es gibt noch einen weiteren pflanzlichen Stoff, der an den GABA-Rezeptoren angreift: die Valerensäure aus Baldrian, die den Schlaf fördert.

Um eine direkte Bindung an den Rezeptor zu erreichen, braucht man zwar hohe Konzentrationen des Jasminduftstoffes, doch schon in geringen Dosen ist er in der Lage, die Wirkung des körpereigenen GABA um das Fünffache zu verstärken. Wird der Duftstoff während einer Aromatherapie angewendet, wird er über Riechzellen und Lungen aufgenommen und ins Gehirn transportiert, wo er an die Rezeptoren bindet und die Wirkung des körpereigenen GABA verstärkt. Einen Praxistipp für Patienten, die nicht allergisch oder mit Kopfschmerzen auf Jasminum officinale reagieren, hat Hanns Hatt auch parat: Ein Jasminsträußchen im Schlafzimmer könne schon einmal nicht schaden. Die Konzentration in der Luft sei dann aber auch deutlich niedriger als im Mäuseexperiment. „Man kann sich Anwendungen in der angstlösenden, beruhigenden, erregungs- und aggressionsdämpfenden oder schlafanstoßenden Therapie vorstellen.“ Durch weitere Veränderungen der chemischen Struktur der beiden Duftmoleküle wollen die Forscher nun die Wirkung verstärken.

...

Um ein Kilogramm Essenz herzustellen, werden 1000 Kilogramm frische Blüten benötigt

1Olga A. Sergeeva, Hanns Hatt et. al: Fragrant dioxane derivatives identify b 1 subunit-containing GABAA receptors, Journal of Biological Chemistry 2010 285: 23985-23993

Literatur
Karin Kraft: Checkliste Phytotherapie, 2000, Thieme Verlag, Stuttgart, 2000
Eliane Zimmermann: Aromatherapie für Pflege- und Heilberufe, 5., aktualisierte Auflage 2011, Sonntag Verlag, Stuttgart 2011

Anschrift der Verfasserin:
Martina Schneider
Heilpraktikerin & Wingwave®-Coach
Am Sahrbach 3
53505 Kreuzberg/Ahr
www.naturheilpraxis-in-kreuzberg.de

weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis

Naturheilpraxis 12/2011