KOMMENTAR

Organspende – zwischen Leben und Tod

Ist ein Organspender unmittelbar vor der Organentnahme eine Leiche oder ein Sterbender ohne messbare Hirnfunktion? In dieser Frage liegen die Standpunkte in Medizin, Rechtswesen, Theologie und im Volksdenken oft weit auseinander. Schließlich leben 97% des Organismus zu diesem Zeitpunkt noch. Das deutsche Transplantationsgesetz hat diesen Konflikt nicht gelöst.

Eltern der selbstgegründeten Initiative (KAO), die ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben hatten, beschreiben ihre Empfindungen und Erlebnisse folgendermaßen:

„Erst nachdem unsere Kinder beerdigt waren, haben wir begriffen, wozu wir ja gesagt hatten. Wir haben begriffen, dass lebende Organe nicht von Menschen entnommen werden können, die so tot sind, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir haben unsere Entscheidung daher bitter bereut. Durch unsere Zustimmung waren unsere Kinder in ihrem Sterbeprozess, in dem sie unserer besonderen Liebe bedurften, ungeschützt alleingelassen und einer Organentnahme überantwortet, die uns hinterher wie das Ausschlachten eines Autowracks erschien.“

Einen Wendepunkt in der Geschichte der Transplantationsmedizin war im Jahr 1968 der „Report of the Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death“, in dem die Anerkennung des irreversiblen Komas als neue Definition des Todes befürwortet wird. Die bis dahin auch in der Medizin geltende Vorstellung, dass ein Mensch erst dann als tot galt, wenn sein Herz und die Atmung irreversibel zum Stillstand gekommen sind, wurde damit ausgehebelt.

Die Anwendung moderner Medizintechnik (künstliche Beatmung seit ca. 1952 und die externe Herzmassage) hatte zur Folge, dass Patienten einen Herz- oder Atemstillstand überleben konnten. 1959 beschrieben zwei französische Ärzte (Molaret und Goulon) erstmals den Zustand des irreversiblen Komas, bei dem das Gehirn durch Sauerstoffmangel irreversibel zerstört worden war und bezeichneten diesen Zustand als „Coma dépassé“.

Kritische Stimmen betonen immer wieder, dass die Überhebung der medizinischen Experten durch ihre rein naturwissenschaftliche Definition der Todes, nicht dem Menschen als Ganzheit entspricht. Über die Frage des tatsächlichen Körpertodes hinaus, bleibt das Problem der Körper-Seele-Geist-Verknüpfung und der Aspekt eines menschenwürdigen Sterbens unbeantwortet. Aufklärung heißt das große Zauberwort der Transplantationsbefürworter, Ängste sollen genommen werden. In einer Expertendiskussion des Norddeutschen Rundfunks Ende September zum Thema Organspende wurde deutlich, wohin der öffentliche Trend zielt. Selbst der kritisch orientierte Diskussionsteilnehmer, als Vertreter eines ethischen Standpunkts, spricht lediglich von besserer Aufklärung: „... was da wirklich einem Menschen bevorsteht ... was einen Menschen konkret erwartet, wenn er Spender sein wird.“ (Prof. Giovanni Maio, Uni Freiburg) Auf Anfrage des NDR habe ich an der Diskussion telefonisch teilgenommen und die Anmaßung der Medizin hervorgehoben, Auskunft über die zukünftigen Erlebnisse eines potentiellen Organspenders während der Sterbephase zu beschreiben. Aus den Berichten von Nahtod-Erlebnissen und ins Leben Zurückgeholten, die in großer Zahl vorliegen, wird erkenntlich, dass das Sterben ein komplexer, individueller Prozess ist, ein Umbruchphänomen der menschlichen Identität. Früher sagte man, das Sterben gehört zum Leben. Keiner der Experten war in der Lage den spirituellen Aspekt des Sterbens zu erörtern. Keiner konnte meine Fragen klären.
http://www.ndr.de/flash/mediathek/mediathek.html?stationid=ndrinfo

Entscheidend für das Verständnis des Sterbevorgangs ist ein ganzheitliches Menschenbild. Wird nach dem heute weit verbreiteten materiellen Weltbild der Mensch lediglich mit seinem Körper gleichgesetzt, ist der medizinisch-naturwissenschaftliche Gedanke der Organtransplantationen nur folgerichtig. Der Mensch als seelisch-geistiges Wesen unterliegt anderen Bedingungen als sein Körper. Was die Seele als höherer Wesensanteil der Persönlichkeit, während des Ablösens vom Leib erlebt, bleibt im medizinischen Sinn unberücksichtigt. Auch die Definition des Lebens ist im Zuge der medizinisch-technischen Entwicklung funktionalisiert worden.

In Wahrheit existieren jedoch in einem „hirntoten“ Patienten sehr viele Lebensvorgänge: das Herz schlägt (ohne Impulsgebung durch das Gehirn), das Blut zirkuliert in den Adern und erreicht fast alle Körperteile, die Sauerstoffanreicherung des Bluts in den Lungenbläschen funktioniert, Nahrung wird im Verdauungstrakt verwertet und die Nährstoffe werden aufgenommen, das Blut wird gereinigt, Abfallstoffe werden über Nieren und Darm ausgeschieden, das Immunsystem bekämpft eingedrungene Fremdkörper, das Rückenmark produziert neue Blutkörperchen und vermittelt verschiedene Muskelreflexe auf äußere Reize, Haare und Nägel wachsen, Wunden heilen. Wenn man es genau nimmt, bleibt trotz Ausfall der gesamten Gehirnfunktion der menschliche Körpers als Ganzes lebendig – abzüglich des Gehirns (Rainer Beckmann, Lebens-Forum).

Die traditionellen Todeszeichen wie Totenflecke, Totenstarre und „mit dem Leben nicht zu vereinbarende Verletzungen“ als frühe Veränderungen, sind von der Hirntod-Definition entwertet worden.

Der Stuttgarter Kardiologe Paolo Bavastro hatte eine hirntote, schwangere Frau 84 Tage betreut, und dann von einem gesunden Kind per Kaiserschnitt entbunden. Dieses Erlebnis veränderte seine Einstellung zur Organspende und zur Erklärung des Lebens. Er sagt dazu:

„Was diese Patientin von ihrer Umwelt erfahren hat auf der Ebene des Bewusstseins, das kann ich nicht sagen, das wissen wir nicht. Was wir wahrnehmen konnten, das war täglich, dass das Herz schlägt, dass die Temperatur des Körpers da ist, dass sie Ausscheidungen hatte, sowohl Urin als auch Stuhl, dass sie geschwitzt hat. Wir wissen aus der Literatur und aus der Biologie, dass diese Menschen Antikörper bilden können, also geimpft werden könnten, dass Frauen schwanger werden können, dass Männer Erektionen haben – das sind alles elementarste biologische Phänomene, die dazu führen, dass man täglich am Krankenbett erlebt, dass das ein lebendiger Mensch ist, schwerstkrank, aber eben lebendig!“

Organspende wird oft als „Akt der Nächstenliebe“ bezeichnet, und auch so beworben.
Doch ist es „Nächstenliebe“ aus Sicht des Empfängers, neues Leben auf Kosten eines sterbenden Menschen zu empfangen, der am Tiefpunkt seines Seins angelangt ist, und dem ein würdevolles Lebensende versagt ist?

„Das Wesen der Transplantationsmedizin: „DEIN Leid wird MEINE Freude“ – Wo ist da die „Nächstenliebe“, wenn das Leid eines Trauerfalles mir zur „Freude“ werden muss? – „Biomeditec Freude“ über den Tod eines anderen, unschuldigen Menschen – der mit MEINEM Schicksal und MEINER Krankheit überhaupt nichts zu tun hat?“
(Margot Höfle, KAO)

Klaus Binding
Brenneckenbrück 5a
38518 Gifhorn
E-Mail: klaus_binding@freenet.de

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Naturheilpraxis 11/2011