FACHFORUM

Von Grenzgebieten der Medizin

Hermann Speiser

Statt einer Einleitung lassen Sie uns zunächst einmal fragen, warum allemal so viel Gehässigkeit am Gelehrtenhimmel aufsteigt, wenn eine neue Tatsache sich verkündet, stets nämlich, wenn ihre gewohnten Theorien zu wackeln beginnen, was das letzte ist, was sie wünschen. Ihr hochmütiger Verstand gibt eben seine Denkgewohnheiten nur sehr ungern auf, und ein erzwungener Widerruf gar stürzt sie geradezu in Verzweiflung. Es gibt aber auch, zwar selten, andere Gründe für die Ablehnung einer neuen Tatsache. Der apollonische Goethe z.B. wollte die Entdeckung des tierischen Magnetismus durch Franz Anton Mesmer aus dem einfachen Grund nicht zur Kenntnis nehmen, weil er sich von den dunklen Seiten des Lebens nicht stören lassen wollte, sie inkommodierten ihn. Erst im Alter äußerte er sich verwundert über sich selbst, dass er sich so ablehnend verhalten hatte, wo doch dieses Phänomen seinen eigenen Intentionen recht nahe kam.


I. Teil: Die Seherin von Prevorst von Justinus Kerner

Mit der Entdeckung des tierischen oder Lebensmagnetismus glückte Mesmer eine weitere nichtmedikamentöse Heilweise neben der Homöopathie. Der Magnetiseur bestreicht mit seinen Händen den Körper des Kranken und schenkt ihm gewissermaßen etwas von seiner Lebenskraft. Kerner wandte diese Methode mit Erfolg bei der Seherin von Prevorst, Friedericke Hauffe, an. Dieselbe wurde 1801 als Tochter Friederike des prevorster Revierförsters am Rande von Württembergs anmutigster Wald- und Weingegend um die beiden burgenbewehrten Bergstädtchen Löwenstein und Weinsberg geboren.

Ihr geplagtes Schicksal hat Kerner in seinem berühmten und vielgeschmähten Buch „Die Seherin von Prevorst“ dokumentarisch festgehalten. Ihr Leben war in nichts vergleichbar mit unserem gewöhnlichen Alltagsleben, denn sie lebte meistens in der raum- und zeitlosen „Über-Welt“.

Wie kam es nun, dass Friedericke Hauffe mit dem Weinsberger Arzt Dr. Justinus Kerner überhaupt in Berührung kam? Er war, kurz gesagt, die letzte Hoffnung ihrer verzweifelten Familie, nachdem sich bereits mehrere Ärzte, Heilkundige und Unheilkundige an ihr versucht hatten mit dem Ergebnis, das es der armen Friedericke immer schlechter ging. Selbst der Exorzist versagte. So ergab es sich, dass Friedericke Hauffe ihre beiden letzten Lebensjahre in Weinsberg verbrachte, was dem regen Forschergeist Kerners entgegenkam, der die einzigartige Gelegenheit ergriff, sie trotz großer innerer Anteilnahme wissenschaftlich zu studieren.

„Ein Bild des Todes“ beschrieb er ihren Zustand, als sie ankam.
Ein Freund Kerners schrieb ihm etwas sehrInteressantes: „Wenn ich mit meinem Finger sie auf die Stirn zwischen den Augenbrauen berührte, sagte sie mir jedes Mal einen Spruch, der auf mich und meinen Seelenzustand Bezug hatte, beispielsweise: „So dich jemand irre machen will an deinem inneren Gefühl, so flehe um die Gnade an Gott.“ Friedericke Hauffe war nämlich sehr religiös und die Bibel fast ihre einzige Lektüre.

Nun kommen wir zu den so viel angefochtenen Geistererscheinungen der Seherin, die für sie völlig reale Wesenheiten waren. Diese kamen zu ihr ungerufen und machten sich gelegentlich mit Lärmen bemerkbar. Stühle bewegten sich, Türen wurden auf- und zugeschlagen oder Teller flogen durch die Luft. Für alle diese Seltsamkeiten gab es glaubwürdige Zeugen.

In Weinsberg befand sich Friedericke Hauffe oftmals in der eigenartigen Verfassung, dass ihr Geist sich völlig von ihrem Körper gelöst hatte und in der raum- und zeitlosen Welt schweifte, der Über-Welt. Man denke aber nicht, das wäre ein besonderes Vergnügen für sie gewesen, ganz und gar nicht. Das setzte ihr zu, und allein eine magnetische Behandlung vermochte ihr Linderung zu verschaffen.

Die magnetischen Striche mussten von einer kräftigen und integren Person vorgenommen werden, denn die Behandlung kostete selbige eigene Lebenskraft, welche die Kranke quasi absaugte wie andere eine Kraftnahrung zu sich nehmen. Sogar aus der Luft konnte sie Kraft saugen, wie tibetische Eremiten den Beweis lieferten.

Unleugbar befand sich die Seherin in ihrer somnambulen Verfassung in einem Zustand höchster innerer Wahrheit. Mit anderen Worten gesagt ging ihr mit dem Verschwinden der äußeren Welt die Fülle der inneren auf. Kerner schreibt dazu:

“Im reinsten, höchsten Grad des magnetischen Zustandes ist kein Schauen, Hören, Fühlen, es ist aus allen Dreien zusammengesetzt, mehr als alles Dreies, ein Empfinden unmittelbarer Gewissheit.“
Nie wollte die Seherin Menschen überzeugen, Geltungssucht oder Missionseifer waren ihr völlig fremd. Fast betrübt äußerte sie: „Leider ist mir nun einmal mein Leben so beschaffen, dass ich diese Geisterwelt sehe und sie mich sieht: An diesem Außernatürlichen nehme kein anderer Mensch teil: Keinem ist der Glaube an sie zuzumuten, denn nicht streitet das Gehirn des Menschen so leicht hinweg als dieses Geisterschauen.“

„Ich besuchte Friedericke Hauffe wohl dreitausendmal“ schreibt Kerner, „verweilte öfters stundenlang bei ihr, kannte alle ihre Umgebungen besser als sie selbst. Man konnte sich mit ihr über Alles, was nur die Menschen berührt, auf das angenehmste unterhalten.“

Aber vor der Tür schrie der ärztliche Pöbel wie zu allen Zeiten in solchen Fällen, dass sie eine abgefeimte Betrügerin sei und der einfältige Tölpel Kerner ihr auf den Leim gekrochen ist, zum Schaden des Ansehens der seriösen Ärzteschaft. Jeder Kommentar ist hier überflüssig.

Aus seinen scharfen Beobachtungen schloss Kerner, dass das überaus starke Gefühlsleben der Seherin sich ein neues Auge formte, „Das wie ein blaues Flämmchen leuchtet und Unsichtbares sichtbar macht.“ Wir meinen bereits in Tibet zu sein (siehe Teil II).

Ein Blick in Kerners Gästebuch spricht von einer hohen internationalen Wertschätzung des Arztes, von seiner Gastfreundschaft und Menschenliebe. Alle Stände sind dort vertreten von königlichen Besuchern bis zum Totengräber. Zeitlebens bildete er mit seinen Freunden Ludwig Uhland und Gustav Schwab das schwäbische Dichtertrio.
Wieder zurück zur Seherin. Bei ihren Reisen in die geistige Welt erlebte sie wirklich „Un-Sägliches“, nicht Wiedergebbares, das sich in unserer Umgangssprache nicht ausdrücken lässt, und wofür sie eine ganz eigene Sprache und Schrift erfand, die merkwürdig ans Arabische und Persische erinnert oder an noch ältere Sprachen. Kerner gelang es sogar, mit der Zeit etwas davon zu verstehen! Ein paar Beispiele: das Wort Elschddei gebrauchte sie für Gott und ähnelt dem Hebräischen für den Allmächtigen. Dalmachem klingt arabisch, Handacadi steht für Arzt.

Jedenfalls war es der Seherin gelungen, eine Verbindung mit der überirdischen geistigen Welt herzustellen, hat dafür aber einen hohen Preis bezahlt. Sie warnt deswegen auch eindrücklich vor den Gefahren, denen der Geist ausgesetzt wird beim Blick in die jenseitige Welt: „den diesseitigen Menschen muss die Seele regieren, sonst entsteht Chaos“.
Geistern zu begegnen hatte sie keinerlei Bedürfnis. „im Gegenteil, dieses unglückselige Schauen ist mir ganz zuwider, auch denke ich nie an sie, außer ich sehe sie oder man fragt mich über sie, welches mir aber immer leid ist, denn ich möchte von ihnen gar nicht sprechen ... ich kann ihnen aber gar nicht ausweichen. Nicht, dass sie immer vor mir ständen, sondern sie kommen zum Teil zu mir, wie die Menschen, die mich besuchen.“

Und die Menschen besuchten sie, da sie etwas von ihr wollten, ärztliche Hilfe nämlich. Sie musste jedoch Rücksicht auf ihre eigene schwache Gesundheit nehmen und konnte deswegen nicht allen Wünschen gerecht werden. Ihre Empfänglichkeit war so groß, dass sie allein schon bei der Annäherung des Kranken seine wahlanzeigenden Symptome erfühlte, die sein Heilmittel bestimmten. Sie brauchte keine langen Befragungen. Allerdings, und das war das Fatale, fing sie dabei die Symptome des Patienten selbst auf, was sie verständlicherweise kolossal schwächte.

Zur Illustration zwei ihrer Fälle
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II. Teil: Das dritte Auge
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Literatur
Die Zitate im I. Teil stammen aus dem Buch:
Kerner, Justinus. Die Seherin von Prevorst. Cottasche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen, 3. Aufl. 1838
Die Zitate im II. Teil stammen aus dem Buch:
Lobsang Rampa. Das dritte Auge. Piper München 1957, 13.-20.Tausend
Weitere Literatur:
Jung C.G./ Pauli W. Naturerklärung und Psyche. Rascher Zürich 1952
Speiser, Andreas. Die geistige Arbeit. Birckhäuser Basel 1955

Anschrift des Verfassers:
Dipl. rer. pol. Hermann Speiser
Wilhelm Speiser-Weg 3
D-73033 Göppingen

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Naturheilpraxis 10/2011