Entgiftung

Denkanstösse zur Entgiftung

Matthias Engel

Entgiften, Entschlackung, Entsäuerung, Aus- und Ableitung, Detoxification, Säftereinigung, Umstimmungs- oder Regulationstherapie, wie auch immer es bezeichnet wird, zu keinem anderen Thema haben sich in den letzen Jahren und Monaten wohl mehr Publikationen verkauft als zu diesem. Dass die Begriffe in Fachkreisen teils synonym teils konträr benutzt werden, scheint hierbei keine wesentliche Rolle zu spielen. Und es ist auch nicht Anliegen dieses Beitrages, eine eindeutige Differenzierung und Definition vorzulegen. Vielmehr werden Denkanstöße zu dieser Therapievariante gegeben, um einerseits bekannte Behandlungsschemata zu hinterfragen und anderseits die Kreativität des Therapeuten herauszufordern. Im Weiteren, wird im Bewusstein keinen geeigneteren Begriff gefunden zu haben, jener der Entgiftung in Anlehnung an die von Josef Karl gleichnamigen benannten Entgiftungsventile, verwendet.


Derzeit sind die verschiedensten Methoden, Mittel sowie Geräte zur Entgiftung auf dem Markt, die sich im Gros wohl eher durch die Nachfrage als durch deren Wirksamkeit rechtfertigen lassen. Gleich zu Beginn möchte ich die der Erfahrung des Autors nach beste Entgiftungstherapie nennen. Sie kennen diese ohnehin. Aus der täglichen Praxis ist natürlich bekannt, wie schwierig deren Umsetzung ist und das wir als Therapeuten nicht selten genug gezwungen sind, auf die später im Text folgenden Methoden zurückgreifen zu müssen. Entgiftung ist gesunde Lebensweise. Eine gesunde Lebensweise ist die beste Entgiftungsmaßnahme für den Organismus.

Das klingt so banal und ist doch eine Sisyphusarbeit im Praxisalltag. Denn niemandem ist der Mensch so treu wie seinen Gewohnheiten. Alte Gewohnheiten zu vermeiden ist natürlich weitaus schwieriger als nebenher vier Wochen lang 3-mal täglich 15 Tropfen einzunehmen. Dementsprechend ergibt sich auch der bereits zu Beginn beschriebene Boom nach schnellen Entgiftungsmethoden, deren Wirkung, wenn überhaupt, oft nicht wesentlich länger anhält als deren Anwendungszeit und somit langfristig nie dem ureigensten Ideal der Naturheilkunde entspricht: dem Menschen unter Beachtung der Kausalität seiner Erkrankung zu einer gesunden Lebensweise zu verhelfen. Gerade dieses Hinführen bzw. Begleiten (Therapeut = griechisch Gefährte) zu einer gesunden Lebensweise sollte in den meisten Fällen die Basistherapie jeder Erkrankung darstellen. Es ist quasi die „Mutter aller Therapien“. Allein dadurch würde sich die Anwendung anderer Therapiemethoden vielmals erübrigen. Das andere Methoden trotzdem notwendig sind, liegt unter anderem daran, dass das Führen einer gesunden Lebensweise zu allen Zeiten schwierig war, heutzutage durch die „toxische Gesamtsituation“ (Eichholtz) unter Umständen schwieriger als je zuvor. In all diesen Fällen muss die therapeutische Formel wie folgt erweitert werden:

Entgiftung = gesunde Lebensweise + optimale Funktionalität.

Beide Summanden beziehen sich auf die Trinität von Körper, Geist und Seele und respektieren den Menschen als bio-psycho-soziales Konstrukt (Engel, 1977). Es gilt dementsprechend den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit zu behandeln und nicht nur auf vordergründige Symptome zu beschränken, gemäß dem Motto, „Wer zu dicht vor dem Mosaik steht, erkennt nur Teile davon“. Entgiftung findet auf allen Ebenen statt. Eine rein physische Entgiftung ohne das Miteinbeziehen von Psyche und Umfeld des Patienten kommt einer Lehrbuchrezeptierung gleich und widerspricht der Individualität des Einzelnen.

„Was der Darm nicht heilt,
das heilt die Leber,
was die Leber nicht heilt,
das heilt die Niere,
was die Niere nicht heilt,
das heilt die Lunge,
was die Lunge nicht heilt,
das heilt die Haut,
was die Haut nicht heilt,
das führt zum Tod.“

Die Entgiftung als Therapieform geht auf die alten Humoralpathologen zurück. Zu jeder Zeit wurde dabei über die von Josef Karl benannten Entgiftungsventile ausgeleitet. Diese fanden bereits bei den Chinesen Beachtung, wie aus den folgenden vielzitierten Versen, erkennbar ist.

Sehen wir uns im Weiteren die einzelnen Ventile etwas genauer an, dem Zitat analog beginnend mit dem Darm. Dieser wird etwas weiter gefasst als er anatomisch deklariert wird. Nämlich den gesamten Verdauungstrakt begonnen in Mundhöhle über Pankreas, Magen, Leber, bis zum After umfassend. Speziell die Leber als Stoffwechsellabor und Entgiftungszentrale unseres Körpers muss bei jeder Entgiftungstherapie mit behandelt werden. Einfach ausgedrückt, werden im Verdauungstrakt zum einen Stoffe resorbierfähig gemacht und anschließend aufgenommen und zum anderen Stoffwechselendprodukte bzw. unverdauliche Substanzen ausgeschieden. Bevor nun die Ausscheidungsfunktion über bestimmte Methoden forciert wird – dies gilt ebenso für alle anderen Entgiftungsventile – sollte zuerst geprüft werden, was zugeführt wird. Werden permanent schädliche Substanzen zugeführt, können die Ventile noch so gut funktionieren, irgendwann werden ihre Ressourcen erschöpft sein. Hier ist die Umstellung der Ernährung ratsam, wobei sich in der Praxis verschiedene Ernährungslehren bewährt haben. Anschließend gilt es mittels Labor zu prüfen, ob ausreichend Enzyme produziert werden, um die Nahrung resorbierfähig zu machen. Bei Insuffizienzen in diesem Bereich stellen Phytotherapeutika eine gute Hilfe dar. Als letzter Schritt muss die Analyse der Permeabilität des Darms erfolgen. Das immer häufiger anzutreffende Leaky- Gut- Syndrom behindert vielmals den Behandlungsfortschritt. Der Einsatz sogenannter Darmsanierungsprogramme ist hier zu empfehlen. Allerdings sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Vorgehensweise, ohne die gezielte Umstellung der Ernährung, eine Therapie ohne Fundament ist. Die Nieren, oft als Filterstation bezeichnet, leiten Schadstoffe über den Urin ab. Ein erster Entgiftungsschritt für dieses Ventil ist die Zufuhr von ausreichend Flüssigkeit in Form von qualitativ hochwertigem Wasser. 30 ml / kg Körpergewicht stellen sicherlich einen guten Richtwert dar. Ebenso ist bei medikamentös eingestellten Patienten, aufgrund der nephrotoxischen Nebenwirkung vieler Medikamente, eine Optimierung der Dosierung bzw. Medikamentenauswahl notwendig. Bewährte komplementäre Behandlungsmethoden sind die Phytotherapie, Segmenttherapie sowie die Fußreflexzonenmassage. Eine fasst vergessene aber recht wirkungsvolle Therapie ist die Wacholderbeerkur nach Kneipp.

Für das nächste Entgiftungsventil, die Lunge, ist die beste Maßnahme eine gute Atmung. Und es wäre eine Impertinenz, an dieser Stelle nicht auf das leider vergriffene Standardwerk „Atemheilkunst“ von Johannes Ludwig Schmitt zu verweisen. Allein der Atmung täglich einige Minuten Aufmerksamkeit zu schenken, sie bewusst zu spüren und gezielt zu forcieren, vollbringt manches Wunder. Oft nehmen die Patienten so erst einmal ihre distressinduzierte Flachatmung wahr. Bei diesem Vorgehen ist weiterhin auf einen freien Nasen- und Rachenraum ebenso wie auf eine Deblockierung der Wirbel- und Rippengelenke zu achten. Die Nasenreflextherapie und Osteopathie stellen dafür adäquate Methoden dar. Das primäre Ziel besteht allerdings darin, den Patient peu à peu die Umsetzung einer gesunden Grundatmung zu verinnerlichen.
Das letzte Entgiftungsventil, wie aus dem obigen Zitat ablesbar, ist die Haut. Ihre Gesamtoberfläche von zirka 2 m2 ist im Gegensatz zu den anderen Ventilen mit über 100 m2 verschwindend gering. Jedoch werden für kein anderes Organ derart viele Produkte auf dem Markt angeboten. Wobei doch der dosierte Einsatz der altbewährten Luft- und Lichtkur der Heilkundigen des letzten Jahrhunderts viele der neuartigen Präparate mehr als nur ersetzen würde. Eine erste entgiftende Maßnahme ist dementsprechend das regelmäßige Spazieren gehen. So kann die belebende Wirkung eines kühlen Windes während des Winterspazierganges getrost als Kosmetikum Nummer 1 bezeichnet werden. Nicht zuletzt ist die Hydrotherapie, als wesentliche Säule der Kneippschen Therapie, eine wichtige Maßnahme zur Erhaltung der Hautfunktionalität.

Neben den genannten Entgiftungsventilen darf ein Organsystem nicht unerwähnt bleiben. Die Rede ist von nichts Geringerem als dem Lymphsystem. Aufgrund dessen, dass dieses wichtige Entgiftungssystem in der extrazellulären Matrix entspringt, welche zu Recht als Müllhalde des Körpers bezeichnet wird, ist es prädestiniert die Entgiftung zu unterstützen.

An erster Stelle der wirkungsvollen Methoden zur Aktivierung des Lymphsystem steht die Bewegung. Denn hier wird über die Haut- sowie Gelenkpumpen und die verstärkte Atmung ein gezielter Reiz gesetzt. Vor allem sei die Bewegung im Wasser (Schwimmen, Aqua-Jogging, etc.) erwähnt, wo aufgrund des Wasserdrucks eine natürliche Lymphdrainage stattfindet. Die Manuelle Lymphdrainage nach Vodder stellt die Therapie par excellence für das Lymphsystem dar, aber auch Trockenbürsten und Atemgymnastik sind empfehlenswert. Die Signifikanz des Lymphsystems und der Matrix soll anhand eines Zitates von Ollivièro aufgezeigt werden. „Der Mensch ist ein Amphibium. Selbst der schönste weibliche Körper ist nur ein Aquarium mit 50 Litern lauwarmen Meerwasser, worin Billionen von Zellen leben und kämpfen, um zu überleben!“

Den Rahmen dieses Beitrages sprengend, aber deswegen nicht weniger wichtig, als vielmehr am meisten zu beachten, und eines eigenen Beitrages wert, ist das Herz-Kreislauf-System und die damit verbundene Durchblutung. Sie ist bei jeder Art der Behandlung und somit auch bei der Entgiftung zu beachten und mit sinnvoll ausgewählten manuellen, apparativen oder medikamentösen Mitteln zu forcieren.

Eine detaillierte Auflistung der sich allein im deutschlandweiten Handel befindlichen „Entgiftungsgeräte und –mittel“ würde ganze Enzyklopädien füllen. Aus diesem Grund wird eine kleine unspezifische Auswahl aufgeführt. Die genannten, in der Praxis bewährten Mittel, sind individuell zu prüfen und anzupassen. Sie sind weder als gut noch schlecht zu klassifizieren, weil erst der Therapeut in seiner diagnostisch abgesicherten Wahl des Mittels, jenem dessen Wert verleiht.

Nieren: Nierentonikum (Nestmann), Cosmochema Nieren-Elixier ST
(Cosmochema)
Lymphe: Lymphdiaral Tropfen
(Pascoe), Lymphomyosot (Heel), Infi- Myosotis-Injektion (Infirmarius), Milzimmunosyx (Syxyl), Grindelia Kplx. (Nestmann)
Darm/ Leber: Cilantris- Essenz
(Nestmann), Herbanest (Nestmann), Leber-Galle-Tee Infirmarius
(Teemischung Nr. 1, Infirmarius)
Haut: Sarsapsor D2 (Bürger), Haut- und Blutreinigungstee Infirmarius
(Teemischung Nr. 4, Infirmarius)
Entgiftungssets: Heel-Kit (Heel),
Phönix Entgiftungskur, Drei-Punkt-Therapie (Pascoe) Multiplasan Entschlackungskur, Drei-Säulen-Therapie (Truw)

Nachdem die einzelnen Entgiftungsventile näher beschrieben wurden, werden anhand eines Fragenkatalogs, der als Richtlinie für den Therapeut genutzt werden kann, wichtige Aspekte der Entgiftungstherapie verdeutlicht.

1. Wer soll entgiften?

Oft wird an dieser Stelle gefragt: „Wer soll entgiftet werden?“. Dieser sprachliche Fauxpas inkludiert bereits das therapeutische Missverständnis, weil die Person selbst entgiften muss, und wir als Therapeuten nur einen Reiz setzen, welcher die Selbstheilungskräfte aktiviert. Unabdingbar ist hierbei, dass sich der Therapeut erst einmal Klarheit verschafft, ob sich die Person überhaupt in einer physisch- psychischen Lage befindet, also ausreichend Kapazitäten besitzt, die eine Entgiftung ermöglicht. So würde bei starker Kachexie, um nur eine Kontraindikation zu nennen, eine zu stark wirkende Entgiftung möglicherweise mehr schaden als helfen. Neben den körperlichen Kapazitäten wurden bereits an anderer Stelle die psychischen angesprochen. Ist das volitive Vermögen des Patienten stark genug ausgeprägt aktiv mitzuarbeiten. Ein Zitat des Hippokrates möge es nun abschließend verdeutlichen: „Bevor du den Kranken hilfst, prüfe zuvor, ob der Patient bereit ist, sich der Ursachen seiner Erkrankung fernerhin zu enthalten“. Es ist notwendig sich über die Persönlichkeit und Lebensweise des Patienten ein Bild zu machen, weil auch emotionale Traumen für Funktionsstörungen auf der Organebene ursächlich verantwortlich sein können (Psychosomatik). Das Erstellen eines ganzheitlichen Befundes ist deshalb für eine gezielte und sinnvolle Entgiftungstherapie unabdingbar.

2. Warum und wozu soll die Person entgiften?

Dieser Frage erfordert zum einen eine klare Zielsetzung und zum anderen die Begründung meiner Therapiewahl.

Eine eindeutige Zieldefinition muss hierbei mindestens aus den Punkten Inhalt, Ausmaß und Zeit bestehen. Weiterhin ist dieser Punkt beim Hinterfragen der eigenen Tätigkeit sehr hilfreich und für den Patienten ist es wichtig, zu wissen, was erreicht werden soll.

3. Was sind geeignetere Therapien?

Hier muss geklärt werden, ob die Entgiftung tatsächlich primär indiziert ist. In den meisten Fällen ist sie das und zwar aufgrund dessen, dass sie eine wie bereits mehrfach erwähnte Basistherapie darstellt. Allerdings, um es einmal an einem überzogenen Beispiel zu verdeutlichen, sind bei einer akuten Appendizitis andere Maßnahmen einzuleiten. Die Antwort zu dieser Frage ergibt sich meist aus denen der Fragen eins und zwei.

4. Wie und wann?

Hier wird nun der Therapieplan konkretisiert. Dieser ist aber nicht als in Stein gemeißelt anzusehen, sondern flexibel den individuellen Adaptationsreaktionen des Patienten anzupassen. Ebenso sind Erstreaktionen einzukalkulieren. In der Praxis hat sich zur Erhöhung der Compliance das Besprechen des Therapieplanes mit dem Patienten bewährt. Schließlich geht es im Zuge der Eigenverantwortung immerhin um dessen Gesundheit.

5. Welche Mittel und Methoden sind indiziert?

Aus dem unter Frage 5. erarbeiteten Therapieplan ergeben sich nun zu repertorisierenden bzw. sinnvoll auszuwählenden Mittel und Methoden. Hierbei sollte sich der Therapeut genug Spielraum zum eventuell notwendigen Wechsel der Mittel einräumen.

Erst wenn dieser Fragenkatalog beantwortet ist, sollte eine Entgiftungstherapie begonnen werden. Dieses schrittweise Vorgehen nimmt keine zusätzliche Zeit in Anspruch, da sich die Antworten bereits aus der Anamnese und der Therapiewahl gezielt ableiten lassen und somit ganz im Gegenteil zu der therapeutischen „Schrotflintentechnik“ noch Zeit eingespart wird.
Aber auch die in diesem Artikel in Worte und Schrift gefassten Gedanken sind letztlich nur eine Stufe auf dem Weg zum Nächstbesseren. Sie sollten daher nicht als Nonplusultra angesehen werden, sondern vielmehr als Vorlage dienen, welche bearbeitet, verändert und angepasst sowie möglicherweise korrigiert werden kann. Denn jeder Patient fordert aufs Neue die therapeutische Kreativität heraus, deren Grundlagen die Intuition und das Wissen bilden. In diesem Sinne muss man stets beachten: Es irrt der Mensch, solange er lebt – doch im selben Irrtum verharrt nur der Tor.


Literatur
Fischer-Reska, H.: Die Entsäuerungs-Revolution. Südwest Verlag 2006
Harnisch, G.: Selbstheilung durch Entgiftung. Verlag Lorber & Turm2004
Karl, J.: Neue Therapiekonzepte für die Praxis der Naturheilkunde. Pflaum Verlag München 1995
Lebedewa, T.: Reinigung. Driediger Verlag Taschenbuch 2008
Pischinger, A: Das System der Grundregulation. Haug Verlag Heidelberg 11/2009
Ploss, O.: Moderne Praxis bewährter Regulationstherapien. Haug Verlag 2007
Schmitt, J.L./Richter, F.: Atemheilkunst. Humata 1986
Worlitschek, M.: Praxis des Säure-Basen-Haushaltes. Haug Verlag Heidelberg 6/2008

Anschrift des Verfassers:
Matthias Engel, B.A.
Heilpraktiker
Interdisziplinäres Transferzentrum
für Sport und Gesundheit des
Sportinstitutes der Universität Würzburg
Kontakt:
Naturheil- und Gesundheitszentrum
Asbacher Str. 17c

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Naturheilpraxis 10/2011