SPEZIAL

Was hat der Dr. Zimpel mit Spagyrik zu tun?

Über alchemistische Pflanzenessenzen und eine Reihe ungelöster Fragen

Hans-Josef Fritschi

Spagyrik findet sich immer öfter auf Praxisschildern und in der Selbstdarstellung von naturheilkundlichen Therapeuten im Internet. Lange Zeit war sie eine kaum bekannte Heilmethode und fristete ein Schattendasein zwischen Phytotherapie und Homöopathie. Das ändert sich nun, langsam zwar, aber doch stetig. Dabei weiß kaum einer, was es mit Spagyrik genau auf sich hat. Das liegt daran, dass es die Spagyrik eigentlich gar nicht gibt. Sie stellt eher den Oberbegriff für eine alchemistische Medizin dar, als dass sie für sich genommen ein eigenständiges Verfahren ist. Wenn man also von und über Spagyrik redet, muss man zwangsläufig erklären, welche Methode der Spagyrik konkret gemeint ist, sonst gibt es schnell Verständigungsprobleme. Die spagyrischen Verfahren sind nämlich derart unterschiedlich, sowohl im theoretischen als auch im praktischen Ansatz, dass es schwer ist, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Doch es gibt diesen gemeinsamen Nenner, auch wenn er nicht allzu groß ist.


Löse und binde
Löse! Das erste Meisterstück.
Einmal mußt du beginnen!
Gib die Stunde, ihr Schluchzen und Glück,
Lächelnd von hinnen,
Tausche die Werte und Wesen
Zu immer neuer Gestalt,
Die Wolken lehren dich lesen,
Wie alles ins Formlose wallt.
Doch es ist gut so und weise.
Spiele die Welt dir vorbei!
Zerrinnt in den Händen dir leise
Jegliches, was es auch sei:
Löse! Sei tapfer und löse!
Raffe dich auf zum Beginn!
Das Edle, das Bunte, das Böse,
Alles gibt lächelnd dahin.
Was aus Verzicht und Verschwendung
Kostbarster Stunden gedeiht:
Die Bindung, die letzte Vollendung,
Der Stein, der DAS LEBEN verleiht
- – -
Es wird zueinander uns leiten
Und läßt keinen Abschied mehr zu.
All unsere Prüfungen gleiten
Endlich ins ewige Du.

Herbert Fritsche (1911 – 1960)

Solve et coagula

„Löse und binde!“ – das könnte eine Art „spagyrischer Imperativ“ sein, auf den sich alle spagyrischen Verfahren berufen. Der Name „Spagyrik“ leitet sich schließlich von dieser Idee ab: Spao: ich trenne, löse auf, Ageiro: ich füge zusammen, verbinde. Es geht somit darum, eine Substanz aufzulösen, zu bearbeiten und die dabei gewonnenen Fraktionen anschließend wieder zusammenzufügen, mit dem Ziel, dadurch die Heilkraft dieser Substanz zu erhöhen. Die Methoden, wie dies zu bewerkstelligen ist, entstammen dem Schatz der alten Alchemie. Soweit so gut. Viel mehr gibt der gemeinsame Nenner nicht her. Jedes Verfahren, das sich auf diese Grundlage beruft, darf sich zur Spagyrik zählen. So gesehen ist die Spagyrik eine große Familie, in der oft sehr unterschiedliche Charaktere zusammenleben. Und wie es in Familien so vorkommt, geht es auch in der Spagyrik-Familie mitunter recht hoch her. Gerade an der Frage, wer nun wohl die „richtige“, die „wahre“, die „echte“ Spagyrik mache, entzündet sich nicht selten Streit. Wenn alle auf dem sehr schmalen Podest des kleinsten gemeinsamen Nenners stehen, muss es zwangsweise Reibereien geben.

Im Kreise der altehrwürdigen und sehr traditionsbewussten Spagyriker, die ihre Arbeit in erster Linie darin sehen, spagyrische Arzneien streng nach alten Überlieferungen – beispielsweise des Paracelsus – nachzuarbeiten, haben andere Verfahren, wie sie z.B. zur Gewinnung einer „spagyrischen Essenz“ nach den Vorschriften des Homöopathischen Arzneibuches (HAB) führen, keinen allzu guten Ruf. Gemeint sind die „Zimpel-Mittel“, spagyrische Essenzen aus Heilpflanzen nach den HAB-Vorschriften 25 und 26. Man hat Mühe, dieser Form der Spagyrik den vollen Familienstatus zuzugestehen. Dafür gibt es einerseits historische Gründe, andererseits aber auch Unklarheiten und Ungereimtheiten, die mit der „Zimpel-Spagyrik“ selbst zusammenhängen. Manche davon sind angedichtet, andere hausgemacht. Um was geht es konkret?

Schwäbisches Schlitzohr als Spion?

Produzent der spagyrischen Essenzen, die nach dem Spagyriker Zimpel benannt sind, war seit den 1920er Jahren Apotheker Carl Müller (1868 – 1932) aus dem schwäbischen Göppingen (Abb. 1 siehe Naturheilpraxis 9/2011)). Er hatte die Produktion von Friedrich Mauch übernommen, der in der Zeit um 1870 direkt mit Zimpel zusammenarbeitete und auf dessen Anweisungen spagyrische Produkte herstellte. Müller war von der spagyrischen Idee überzeugt, gleichzeitig aber auch ein gewiefter Geschäftsmann, der es verstand, den Namen Zimpel wirtschaftlich auszunutzen. Er selbst verfasste Bücher über das „Heilsystem des Dr. Zimpel“ und sah sich als Weiterentwickler der Methode. Allerdings musste ihn etwas an der Herstellung der Zimpelmittel gestört haben. Ob er aus diesem Grund inkognito dem „spagyrischen Großmeister“ jener Zeit, Alexander von Bernus, einen Besuch abstattete und ihn wohl nach dessen Methode ausfragte, bleibt bloße Vermutung. Jedenfalls war der Baron von Bernus sehr erbost, als er im Nachhinein erfuhr, wer ihm hier die Aufwartung machte. Wollte er ihn ausspionieren? Alexander von Bernus hat später öfter über diese ungute Begegnung berichtet, und seither haben die „Bernus-Spagyriker“ den „Zimpel-Sapgyrikern“ gegenüber verständlicherweise gewisse Vorbehalte.

Dass die „Spionagethese“ nicht ganz von der Hand zu weisen ist, belegt die Tatsache, dass Carl Müller das Herstellungsverfahren für die Zimpelmittel änderte. Er beließ die Mittelnamen und den Namen Zimpel, stellte diese aber nun nach einer Methode her, die gar nicht von Zimpel, sondern wahrscheinlich von Johann Rudolf Glauber aus dem 17. Jahrhundert stammte. Aus Zimpel wurde Glauber, nur erfuhr dies kaum jemand – und selbst heute ist diese Tatsache nicht einmal allen Anhängern und Anwendern dieser Mittel bewusst.

Etikettenschwindel?

...

Musketier, Eisenbahner oder Arzt?

...

Kein wahrer Alchemist?

...

Erst Tinktur, dann Essenz?

...

Keine richtige Spagyrik?

...

Wo bleibt die alchemistische Geisteshaltung?

...

Homöopathie mit spagyrischen Mitteln?

...

Ist da wirklich nichts drin?

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Welche Idee?

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Literatur und Quellen:
Bauer, Jürgen C.: Spagyrik – die Grundlagen, auf www.alchy.de, 2009
Blessing, Bettina: Wege der homöopathischen Arzneimitteltherapie, Springer-Verlag, 2010
Fritschi, Hans-Josef: Die Kraft des Phönix – Heilen mit spagyrischen Pflanzenessenzen, BoD-Verlag, 2010
Helmstädter, Axel: Spagyrische Arzneimittel, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 1990
Junius, Manfred: Praktisches Handbuch der Pflanzen-Alchemie, Ansata-Verlag, 1982
Knapp, Natalie: Anders denken lernen – von Platon über Einstein zur Quantenphysik, Oneness-Center, 2008
Proeller, Christoph: Eine geistige Reise durch den Kosmos, Ersamus Grasser-Verlag, 2007
http://de.wikipedia.org/wiki/Spagyrik (Stand Juni 2011)

Anschrift des Verfassers:
Hans-Josef Fritschi
Karl-Bromberger-Str. 5
78183 Hüfingen

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Naturheilpraxis 9/2011