SPEZIAL

Mitochondriopathie:

Ein neues Erklärungsmodell aus dem Denkgefängnis der Zellularpathologie oder mögliche Brücke zur Humoralpathologie?

Heinrich Schürg

Omnis cellula e cellula ... „Jede Zelle geht aus einer Zelle hervor“. Mit diesem Diktum – eine Neuformulierung des von William Harvey (1578–1657), dem Entdecker des Blutkreislaufs, formulierten Satzes Omne vivum ex ovo ... „alles Leben entsteht aus einem Ei“ – zertrümmerte Rudolf Virchow 1855 ex cathedra die Jahrtausende alte Humoralpathologie. „Wo eine Zelle ist“, so Virchow, „da muß eine frühere Zelle gewesen sein, genau wie ein Tier stets aus einem Tier und eine Pflanze stets aus einer Pflanze hervorgeht.“


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Von Virchows „Omnis cellula e cellula“ zur Mitochondriopathie

Der Begriff der Zelle wurde von dem englischen Universalgelehrten Robert Hooke erstmals 1663 im Zuge seiner Forschungen mit einem Auflichtmikroskop für die von ihm entdeckten Hohlräume von Flaschenkork verwendet. Marcello Malpighi (1628-1694) übernahm seinen Zellbegriff und übertrug ihn auf den Aufbau von Pflanzen. Mehr als ein Jahrhundert später, zwischen 1800 und vor der epochalen Formulierung des neuen medizinischen Fundamentalismus von Virchow, folgte eine Reihe bahnbrechender Erkenntnisse innerhalb der Zellbiologie. Man entdeckte den Zellkern, die Zellmembran und das Zellplasma von Pflanzen und formulierte grundlegende Aussagen zur Analogie von pflanzlichen und tierischen Zellen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Wirkmacht dieser Entdeckungen glaubte Virchow mit dem rigiden Anspruch des deutschen Militärarztes, die alte Säftelehre über Bord werfen zu können. Mit der systematischen Ausgrenzung der Humoralpathologie aus dem offiziellen Kanon der „modernen“ Medizin wurde die neue, fundamentalistische Ära der Zellularpathologie eingeläutet. Ivan Illich hat in seinem Buch, Nemesis der Medizin, alles Erforderliche und Kritische dazu gesagt.

Durch die einseitige Fokussierung auf die Zelle und ihre Bestandteile nahm eine Entwicklung ihren Lauf, die den nahezu vollständig ausgeblendeten Extrazellularraum, die Matrix oder den Pischinger Raum zum explizit erklärten „Niemandsland der Medizin“ (Dr. med. A. Riedl) machte. Noch heute lernen Mediziner das Bindegewebe in erster Linie als Stützgewebe kennen, und nicht als eines der wichtigsten Stoffwechselorgane. Doch gerade wegen dieses radikalen Reduktionismus auf die Zelle mit seinem Postulat, letzte biologische Einheit des Lebens zu sein, brachte ihre Erforschung schnelle Fortschritte zumindest im Hinblick auf ihre biochemisch gesteuerten Abläufe und ihren organisatorischen Aufbau. Dazu gehörten auch die Erkenntnisse über die sog. „kleinen Organe“ oder Organellen, wie sie im Zytoplasma der eukaryotischen Zelle entdeckt wurden. Neben Golgi-Apparat, Endoplasmatischem Retikulum, Vakuolen, Lysosomen und Peroxisomen galt den Mitochondrien als besondere Form semiautonomer Organellen die größte Aufmerksamkeit. Aufgrund der Fähigkeit von Mitochondrien, den Organismus von Tieren über die ATP-Produktion (Adenosintriphosphat) mit Energie zu versorgen und nicht zuletzt unter dem Eindruck cartesianisch-mechanistischer Denkmuster, hat man sie in Analogie zu Dampfmaschinen zunächst als die „Kraftwerke“ von Zellen angesehen. Eine einzige Zelle kann fast eine Milliarde ATP-Moleküle enthalten. Produziert wird ATP jedoch in der Matrix, d.h. dem Innenraum der Mitochondrien. Die Anzahl der ATP-produzierenden Mitochondrien in den Zellen schwankt. Sie können jedoch bis zu 50% des Zellvolumens ausmachen. Wie die Zellen sind auch die Mitochondrien als Organellen innerhalb der Matrix eigenständig teilungsfähig. Diese selbständige Mitosefähigkeit versetzt sie in die Lage, bei Bedarf und abhängig von der Aktivität des Organismus, neue Mitochondrien zu produzieren oder, falls Reserven vorhanden sind, inaktive wieder zuzuschalten.

Unter dem Eindruck des neuen Weltbildes des Informationszeitalters begann sich allmählich auch das Bild von den Mitochondrien zu wandeln: vom „Kraftwerk“ des Maschinenzeitalters wurden sie zusätzlich zum „Signalgeber“ im Informationszeitalter. Wie wir heute wissen, dient das von den Mitochondrien produzierte ATP nicht nur der Energiebereitstellung, sondern hat als Neurotransmitter weitreichende Signalfunktion für die gesamte Steuerung unseres Organismus.

Mit der erweiterten Erkenntnislage begann man auch diverse Funktionsstörungen von Mitochondrien zu realisieren. Die Zellularpathologie erschien plötzlich im neuen Kleid unter dem Namen Mitochondriopathie. Alternative Ausdrücke wie mitochondriale Zytopathie oder Mitochondriozytopathie unterstreichen diesen Tatbestand. Ihr allgemeines Merkmal: die von der mitochondrialen Funktionsstörung ausgehende Störung der Zelleistung und Zellsteuerung. Aufgrund der außerordentlichen Bedeutung von Mitochondrien sah man sich in der Lage, ein gewisses Universalmodell für Multisystemerkrankungen zu postulieren. Damit befinden wir uns aber, soviel sei als Kritik an diesem Ansatz schon einmal vorne weggenommen, inmitten des Pardigmas der Zellularpathologie. Die entscheidende Frage, die hier zu stellen ist, betrifft die Chance, die uns dieser durchaus vielversprechende Rekurs auf die so bedeutsamen Organellen als Bestandteil der Matrix der Zelle bietet: nämlich über die Grenzen der Enge des Virchowschen zellulären Lebensbegriffs hinweg, quasi über den Umweg der Zellmatrix wieder in den Verbund von Extrazellulärer Matrix und Zelle hinauszugreifen, wie es die Humoralpathologie macht. Ein Tatbestand, den Enderlein mit gezieltem Blick auf eben diese Mitochondrien und die Blutflora bereits 1933 in seinem berühmten Aufsatz über das Ende der Herrschaft der Zelle als letzte biologische Einheit vehement gefordert hat. Letztlich böte dies auch eine Chance zur Versöhnung zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde. Das hat, auch das sei hier schon vorweggenommen, Hans-Heinrich Reckeweg bereits in den 1950er Jahren in seiner Homotoxikologie gefordert und auch realisiert. Meines Erachtens ist sein Ansatz ebenso wie der von Enderlein in der Unterscheidung zwischen humoraler, zellulärer und Matrixphase damals schon erheblich weiter gefaßt als die eher modische Mitochondriopathie heute, wenngleich detailreiche Erkenntnisse aus den Stoffwechselprozessen der Organellen hinzugekommen sind. Die grundlegenden Bausteine des mitochondrialen Stoffwechselgeschehens sind in beiden therapeutischen Konzepten längst berücksichtigt. Wir entdecken scheinbar nur deshalb immer wieder das „Mittelmeer“ , weil wir es versäumen, die Geschichte unserer eigenen Fachbereiche – vor allem die der Querdenkern und „Ketzern“ – zur Kenntnis zu nehmen.

Die Mitochondriopathie aus der Sicht der Schulmedizin

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Mitochondriopathie und Cellsymbiosetheorie nach Kremer

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Therapieansätze in der Mitochondriopathie

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Das Ende der Herrschaft der Zelle als letzte biologische Einheit – Enderleins früher Vorstoß in eine Quantenbiologie

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Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Heinz Reinwald
dr.reinwald healthcare gmbh+co kg
Am Baumgarten 6
90602 Deligenporten
Tel. (0 9180) 18 65 18
E-Mail: mail@drreinwald.de


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Naturheilpraxis 8/2011