SPEZIAL

Mitochondrien-Fehlfunktion: Forschung – Diagnose – Therapie

Heinrich Schürg

Zu der Vielzahl von Multisystem-Erkrankungen, die mit einer Störung der mitochondrialen Atmungskette einhergehen, gehören auch neurometabolische Krankheitsbilder sowie neurodegenerative Leiden, zum Beispiel Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer oder Multiple Sklerose. Die medizinische Forschung befasst sich mit der Funktion der Mitochondrien nicht nur als Katalysatoren der Lebensenergie, sondern auch als Signalgeber im molekular-biologischen Steuer- und Alarmsystem. Vitalisierung dieser vielseitig begabten Zell-Organellen und Einflussnahme auf ihre Signalfunktionen sind Ziele innovativer Therapien.


Kraftwerke der Zellen

Seit John Ernest Walker, Paul Delos Boyer und Jens Christian Skou im Jahre 1997 gemeinsam für ihre Forschung am Adenosintriphosphat (ATP) mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden, sind in den führenden Wissenschaftsjournalen weitere faszinierende Details über Entstehung, Zusammenbau und Funktion der winzigen molekularen ATP-erzeugenden Zell-Generatoren veröffentlicht worden. Walker und Boyer hatten die Wirkung des Enzyms ATP-Synthase erforscht und erkannt, wie dieses zusammen mit einem Phosphatmolekül die Synthese des Moleküls ATP katalysiert, es der Zelle zur Verfügung stellt und im zellulären Stoffwechsel aus Glukose und Fettsäuren mit Hilfe von Sauerstoff Energie produziert.

Schon im Jahre 1931 hatte der deutsche Biochemiker, Arzt und Physiologe Otto Heinrich Warburg für die „Entdeckung der Natur und der Funktion des Atmungsferments“ den Nobelpreis für Medizin erhalten. Bei der Erforschung des „Atmungsferments“ befasste er sich eingehend mit dem Stoffwechsel der lebenden Zelle, in dem – wie wir heute besser verstehen – die Mitochondrien lebenswichtige Prozesse steuern.
Um eine Vorstellung der Bedeutung der ATP-Synthese zu gewinnen, mögen folgende Zahlen einen Eindruck vermitteln: Ein erwachsener Mensch verfügt über eine ATP-Produktion von etwa 70 Kilogramm innerhalb von 24 Stunden. Auf Grund dieser Leistung entsteht kein unkontrolliertes Wachstum bzw. keine unkontrollierte Gewichstzunahme, weil ATP in statu nascendi sofort umgesetzt wird.

Neben dem Citratzyklus und dem Zusammenwirken der Enzyme der Zell-Atmungskette sind u. a. ebenfalls die oxidative Phosphorylisation-Elektronen-Transportkette (ETC) und die Betaoxidation in die ATP-Synthese integriert. Die Zellatmung selbst umfasst die gleichen Reaktionen wie die Photosynthese, durch die – in umgekehrter Richtung – riesige Mengen an Kohlenhydraten und anderen Substanzen erzeugt werden, die dann im Rahmen der ATP-Synthese in „Bioenergie“ umgewandelt werden. Auch dieser Energieumwandlungsprozess wird durch Elektronen-/Protonenfluss (Membranspeicherung) und energieumwandelnde Proteine bestimmt.

Mitochondrien sind kornförmige Zellorganellen, die sich im Zytoplasma der eukaryotischen Zellen befinden, ein mitochondriales Netzwerk bilden und bis zu etwa der Hälfte des Zellvolumens einnehmen können. Da sie als „Kraftwerke“ der Zellen wirken, kann ihre Zahl in Zellen mit hohem Energiebedarf – wie zum Beispiel den Leberzellen – mehrere Tausend betragen. Die äußere umschließt komplett die innere Membran. Enzyme im Intermembran-Raum, die Nukleotiden, sind an der Phosphorylierung beteiligt. Beim Christae-Grundtyp ist die Oberfläche der inneren Membran, auf der Transmembranproteine wirken, durch Ausstülpungen, die in das innere der Organelle reichen, stark vergrößert. Im Innern befinden sich die Matrix und darin DNA, RNA und Vesikel zur Herstellung von Proteinen.

Aktuelle Forschung auf der Grundlage der Röntgenkristallographie bietet überraschende Einblicke in einzelne Abschnitte der oxidativen Energiegewinnung 1. Carola Hunte, Volker Zickermann und Ulrich Brandt, Wissenschaftler der Universitäten Freiburg und Frankfurt am Main, berichten über einen Mechanismus im „mitochondrialen Komplex I“, dem Anfangspunkt der Zellatmung, an dem Enzyme, bestehend aus mehr als 40 verschiedenen Proteinen, beteiligt sind.

Fünf „molekulare Maschinen“ bilden eine „Fertigungslinie“ im Nanobereich auf der inneren Mitochondrienmembran und arbeiten so synchron, als seien die Bewegungen ihrer Komponenten über ein Transmissionsgestänge gekoppelt. Setzt sich der „Generator“ in Bewegung, erzeugt er in Teilschritten, quasi getaktet, ein elektrisches Membranpotenzial. Wäre die Freigabe der Energie nicht auf diese Weise auf eine niedrige Übersetzung „heruntergeschaltet“, könnten unkontrollierte energiereiche und aggressive Reaktionen der an dem Vorgang beteiligten chemischen Komponenten entstehen. Ausgehend vom „mitochondrialen Komplex I“ erfolgt der Elektronentransport zu den Komplexen II, III und IV – ein in der Tat komplexes System, das weiter erforscht wird.

Einzelheiten der Signalgebung beim Bau und der Implementierung des zellularen Energiezentrums wurden von Wissenschaftlern des Instituts für Biochemie und Molekularbiologie und des Exzellenzclusters für biologische Signalstudien (bioss) der Universität Freiburg (Projektleiter Prof. Dr. Chris Meisinger) erforscht 2. Damit das System der oxidativen Energiegewinnung effizient funktionieren kann, müssen die Proteine auf der inneren Mitochondrienmembran nicht nur wie die Komponenten eines Generators mechanisch zusammengefügt, sondern anschließend auch auf einwandfreie Qualität und korrekten Zusammenbau überprüft werden.

Protein-Translokasen schleusen die „molekularen Maschinenteile“, die von Ribosomen nach den Bauplänen der DNA gefertigt und dreidimensional gefaltet wurden, zum Einbau auf die innere Membran der Organelle. Damit der Import zur richtigen Stelle zielgerichtet funktioniert, erhalten sie eine Signalsequenz, einen Aufkleber gewissermaßen, der sie zum Einbauort leitet. Dort sorgt eine „Insertionsmaschinerie“ für den korrekten Zusammenbau der nanoskaligen Komponenten. Danach wird die Signalsequenz durch ein Enzym gelöscht, aber zur Kontrolle durch ein anderes Enzym erneut aktiviert, d. h. diese Translokase ist für das „Qualitätsmanagement“ verantwortlich und kann eventuell erforderliche Reparaturen veranlassen.

Mitochondrien-Fehlfunktion

...

Diagnose und Therapie

...

Schutz-, Signal- und Alarmgeberfunktion

...

Anmerkungen
1 SCIENCE 23. July 2010, VOL 329, S. 448-451
2 Cell, Volume 139, Issue 2, 428-439, 16 October 2009
3“Deutsches Aerzteblatt”, 8.10.2010 www.aerzteblatt.de, Bezugnahme auf “Science Translational Medicine” (2010; 2: 52ra73
4 „Exome sequencing identifies ACAD9 mutations as a cause of complex I deficiency“, Tobias B. Haack et al.; Nature Genetics, doi:10.1038/ng.706
5 “PloS Medicine” (Bd. 5, Nr. 3, Artikel e51)
6 “Cell” 21.09.2007
7 “Cell” Onlineveröffentlichung doi: 10.1016/j.cell.2010.08.014, Timothy Johannssen et al.
8 Smith AD, Smith SM, de Jager CA, Whitbread P, Johnston C, et al. (2010) Homocysteine-Lowering by B Vitamins Slows the Rate of Accelerated Brain Atrophy in Mild Cognitive Impairment: A Randomized Controlled Trial. PLoS ONE 5(9): e12244. doi:10.1371/journal.pone.0012244
9 „Journal of Cell Biology“ Onlineveröffentlichung doi: 10.1083/jcb.201003122, Winstow A. et al.
10 http://www.drjacobsinstitut.de/ (19.05.2008)
11 s. a. „Ordinatio antihomotoxica et materia medica“, S. 565 ff. “G-Intermediäre Katalysatoren”, herausgegeben von der Wissenschaftlichen Abteilung der Firma Biologische Heilmittel Heel GmbH, Baden-Baden, 1995.
12 Wesentliche Komponenten/Empfehlungen von: biovis’ Diagnostik MVZ GmbH, 65555 Limburg, www.biovis.de
13 Wesentliche Komponenten/Empfehlungen von: biovis’ Diagnostik MVZ GmbH, 65555 Limburg, www.biovis.de
14 Aline Bender, Parvana Hajieva and Bernd Moosmann: „Adaptive antioxidant methionine accumulation in respiratory chain complexes explains the use of a deviant genetic code in mitochondria” in Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, October 28, 2008, Vol . 105 No. 43, 16496 – 16501.
15 “Circulating mitochondrial DAMPs cause inflammatory responses to injury”, Nature Vol 464, 104 – 107 March 2010.
16 “Heteroplasmic mitochondrial DNA mutations in normal and tumour cells” Yiping He et al, Nature. 2010 Mar 25; 464(7288): 610-4

Anschrift des Verfassers:
Heinrich Schürg
Hermann-Brill-Str. 28
65197 Wiesbaden

weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis

Naturheilpraxis 8/2011