Der Kopf

Über sprechende Augen – Zur Phänomenologie der Blickrichtung

Josef Karl

Diesen Aufsatz widme ich Herrn Dr. med. Emilio Ratti, der als Missionsarzt im Kongo eine Krankenstation mit aufgebaut hat und einen Teil des Jahres dort praktiziert und operiert. Ansonsten ist er Subprior des Franziskanerklosters Chiavari bei Genua / Italien und Präsident der „ASSIRI“, die er gemeinsam mit Luise Stricker (Laces / Latsch, Bezirk Bozen) leitet. Mit ihm durfte ich das Buch „Iridologie“ dreisprachig (Italienisch, Englisch und Deutsch) schreiben.


Künstler (Dichter, Maler, Bildhauer) – dies ist uns längst bekannt – wissen bewusst und unbewusst viel über die Phänomenologie dessen, was sie schaffen. Sie vermögen auf das Verblüffenste das Innerste des Menschen nach außen zu transformieren, sei es in Worten oder im Bild einer Skulptur. In der bildenden Kunst wird ihnen dies am meisten gelingen, sei es die Beschreibung oder Abbildung des Gesichts – und hier wiederum jenes Teils, das am „sprechendsten“ ist, das Organ Auge. Sind sie wirkliche Künstler, so sind sie Magier, Menschen mit jener Begabung, die über das Reale hinausgeht und das Transzendente ins Bild rückt. Das Vordergründige kann sich in das Wesenhafte verwandeln.
Hier offenbart sich dann, dass Augen sprechen können, Fragen stellen und Antworten geben. Sie können leuchten, strahlen, blitzen, sich verdunkeln, auch Lügen, Skepsis und Neid zeigen, Zorn, Wut oder Einverständnis, aufleuchten in Zuneigung und Liebe.

II.

Der heute nahezu vergessene Dichter Friedrich Rückert (1788 – 1866) drückt es so aus:

„Die seltne Sprachgewandtheit nicht
Besitzt mein Lieb, das junge,
Das mit den Augen fert‘ger spricht
Als andre mit der Zunge.
O welch ein reicher Wörterschatz
In diesem offnen Briefe!
Da ist ein Blick ein ganzer Satz
Von unerforschter Tiefe.“

Die Augen als Wahrnehmungs- und Erkenntnisinstrument, aber auch als Kommunikationsorgan: J. W. v. Goethe hat sich sein Leben lang intensiv damit beschäftigt. Wer würde nicht seinen Satz: „Und wär’ das Aug’ nicht sonnenhaft...“ kennen! Jedoch nicht nur in zahlreichen Versen gibt er kund, dass er um das Aufnehmende und Wiedergebende der Augen weiß. Seine Farbenlehre, mit der er durch das Einbrechen der Naturwissenschaft und ihres Vertreters Isaac Newton nicht glücklich werden konnte, ist trotzdem auch heute noch lesenswert. In den „Vorstudien“ schreibt er:

„Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub, aber das Auge vernimmt und spricht. In ihm spiegelt sich von außen die Welt, von innen der Mensch.“ Und in einem Gedicht „April“ beginnt der Augenmensch Goethe so: „Augen, sagt mir, sagt, was sagt ihr?...“

Augen tauchen also, das ahnen wir nun, in die Innenwelt eines anderen Menschen ein. Das kann in diesem Maße nicht das Ohr, das stumm ist, auch nicht der Mund, der taub ist – aber das Auge vernimmt und spricht. Augen, wird ja auch gesagt, seien „Fenster der Seele“. Und dann hören wir noch den Satz des Prof. Valentin Braitenberg, der sagt, „das Hirn ist in der Seele“.

Das ist das eine. Und dann gleich das andere: “Die Netzhaut ist ein Teil des Gehirns. Sie wird zwar früh in der Entwicklung von ihm abgesondert, bleibt jedoch durch ein Faserbündel – den Sehnerv – mit ihm verbunden. Es ist und bleibt also so, dass die Begegnungsstelle zwischen innen und außen das Auge ist.“

Nun zur Deutung der Blickrichtung.

Vorgestellt werden die Augenbilder einer Rechtshänderin: bei linkshändigen Personen gilt das Ganze umgekehrt.

Die bisherigen Untersuchungsergebnisse:

Der Blick nach oben dürfte vielschichtig interpretierbar sein: Bei Madonnenstatuen bzw. Bildern des 18. und 19. Jahrhundertes findet er sich als ein verzückter Blick zum Himmel; er wurde „Madonnenblick“ genannt, auch bei anderen Heiligen immer wieder auffällig. Wir kennen ihn heute mehr aus dem Fernsehen in anderer Deutung: Völlig verzweifelte Frauen, die ganz unmittelbar unter dem Eindruck einer maßlosen Katastrophe oder eines essentiellen Verlusts einer nächsten Person, stehen. Auf alttestamentarischen Darstellungen sehen wir den verzweifelten Hiob, wie er die Augen nach oben gerichtet hat, Gott verzagt fragt, warum er ihm so unermessliche Prüfungen auferlegt.

Auch der Blick nach unten ist mindestens zweifach zu sehen: Versenkung, Meditation, ganz in sich gehend, ruhend. Oder: niedergeschlagen, große Traurigkeit, Hilflosigkeit, stille Verzweiflung.

Die Deutung der Blickrichtung wird hier bei Rechtshändern dargestellt. Bei linkshändigen Personen gilt das Ganze umgekehrt.

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Anschrift des Verfassers:
Josef Karl, Heilpraktiker
Alpenstr. 25
82377 Penzberg


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Naturheilpraxis 8/2011