Klassische Homöopathie

Verbascum thapsus – Kleinblütige Königskerze

Marie-Therese Riester

Zusammenfassung: Eine akute Trigeminusneuralgie mit Otalgie wird vorgestellt und auf die homöopathische Wirkung der Königskerze/Verbascum thapsus eingegangen. Eine Patientin, 48 Jahre alt, rief am 17.05.2010 in meiner Praxis an. Sie habe Gesichtsschmerzen links. Es seien richtige Schmerzattacken, die linke Wange sei sehr empfindlich. Vielleicht habe sie sich bei einer Wanderung, es sei kalt und windig gewesen, erkältet. Ich verordnete einen Globulus Aconitum napellus C30 aus ihrer Hausapotheke, trocken per os einzunehmen.


Summary: This article presents an acute trigeminal neuralia with otalgia and deals with the healing homophathic effects of the common mullein/Verbascum thapsus.

Schlüsselwörter: Trigeminusneuralgie, Otalgie, Verbascum thapsus, Kleinblütige Königskerze

Keywords: trigeminal neuralgia, otalgia, verbascum thapsus, common mullein


Am 18.05.2010 erschien die Patientin in der Praxis. Es habe sich nicht viel verändert, nur dass noch Ohrenschmerzen hinzugekommen seien. Die Ohren- und Gesichtsschmerzen seien linksseitig, drückend, wie wenn das Kiefergelenk zusammengequetscht würde. Die Ohrenschmerzen würden sich beim Kauen verschlechtern, trotzdem müsse sie regelmäßig essen, weil es ihr in nüchternem Zustand noch schlechter ginge. Das linke Ohr sei wie verstopft, als ob etwas vor das Ohr gefallen wäre. Die linke Gesichtshälfte sei sehr berührungsempfindlich, Druck oder Liegen möge sie gar nicht. Ihre Stimmung sei niedergeschlagen.

Meine Repertorisation ergab folgendes Ergebnis: (Repertorium siehe Naturheilpraxis 7/2011)
Die Empfindung des Zusammenquetschens bzw. Zusammenkneifens findet sich hochwertig in den Arzneimittellehren unter Verbascum thapsus (Jahr 1997: 720; Mezger 1995: 1494; Phatak 2004: 647; Vermeulen 2000: 1746). Das Gefühl von Verstopftheit der Ohren, als ob ihm etwas vors Ohr gefallen wäre, kann man in der Arzneimittellehre von Phatak 2004: 648 nachlesen.

Ich verordnete einen Globulus Verbascum thapsus C30 per os.

Am 19.05.2010 berichtete die Patientin, dass die Schmerzen für circa zwei Stunden nach Einnahme sehr heftig gewesen seien. Danach sei eine stetige Besserung eingetreten. Sie habe gut geschlafen und heute sei alles in Ordnung. Ohren- und Gesichtsschmerzen seien verschwunden und die Stimmung sei wieder hergestellt.

Die Blüten der Königskerzen sammle ich seit Jahren, da sie der Kräuterteemischung eine herrlich goldgelbe Farbe verleihen.
„Die Wollblume (wegen der wolligen Staubblätter so bezeichnet) oder Königskerze war schon bei den Griechen beliebt als Hustenmittel. Das ist gar nicht so verwunderlich, denn die beiden großen Königskerzenarten, die uns die arzneilich genutzten Wollblumen liefern, sind in Mittel-, Ost- und Südeuropa, Kleinasien, Nordafrika und Äthiopien beheimatet. Und Pflanzen, die so stattlich aussehen, die über viele Wochen immer neue Blüten ausbilden, zogen natürlich die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Die Blüten wurden erfolgreich bei Erkältungskrankheiten, vor allem bei Husten, eingesetzt. Der Kaltauszug in Olivenöl, das sogenannte Königsöl, wurde als Wundöl geschätzt.

Bei uns war die Wollblume in alter Zeit zunächst nur eine Zauberpflanze, mit deren Hilfe man Blitz, Krankheit und durch böse Geister heraufbeschworene Gefahren abwenden wollte. Auch zum Fischfang in ‚verbotenen’ Gewässern wurde sie zur Zeit Karls des Großen missbraucht. Kocht man nämlich eine große Menge Königskerzenkraut mit Wasser aus und schüttet den Absud in Fischteiche, so entspannen die darin enthaltenen Saponine das Wasser so stark, dass es in die Kiemen der Fische gelangt, die dann in ihrem eigenen ‚Element’ ertrinken. Seit Hildegard von Bingen die ‚Wullena’, wie sie die Wollblume nannte, gegen Brust- und Lungenleiden pries, wurde sie auch bei uns ein geschätztes Hustenmittel.

Heute sind die Blüten der Wollblume ein wirksamer Bestandteil verschiedener Hustentee-Mischungen, vor allem jener, die zähen Schleim lösen und heraus befördern sollen. Sie werden bei Erkältungskrankheiten und Husten zur Reizlinderung und als Expektorationshilfe empfohlen.
Als Wirkstoffe gelten heute neben zahlreichen anderen Inhaltsstoffen vor allem der Schleim, die Saponine und die Flavonoide.

Die beiden arzneilich genutzten Wollblumenarten sind die Großblütige Königskerze (Verbascum thapsiforme) und die Gemeine Königskerze (Verbascum phlomoides), die in die botanische Familie der Braunwurzgewächse (Scrophulariaceae) eingereiht werden. Sie wachsen oft an Böschungen, Bahndämmen, steinigen Hängen, auf Ödland und können über zwei Meter hoch werden. An den langen, gelegentlich rispenartig verzweigten Blühstängeln sitzen dicht bei dicht, zu Büscheln von zwei bis fünf vereinigt, goldgelbe Blüten.

Will man die Königskerze in seinem Garten anpflanzen, muss man Platz haben, denn die Pflanzen können sehr groß werden. Der Anbau ist nicht schwer. Man besorgt sich zunächst Samen, die man im April oder im Mai in einem Gartenbeet aussät. Es bilden sich Blattrosetten aus, die man im Abstand von etwa zehn Zentimeter stehen lässt, um sie im Herbst an den Platz zu verpflanzen, an dem man sie haben möchte. Es muss eine sonnige, etwas windgeschützte Stelle sein. Besondere Anforderungen an den Boden stellen Königskerzen nicht, jeder Gartenboden ist ihnen recht.

Im nächsten Jahr bildet sich aus der Blattrosette der Blühstängel aus, der zu stattlicher Größe heranwächst. Nach der Blüte kann man die flachwurzelnden Pflanzen einfach ausreißen.
Wer erst einmal Königskerzen im Garten hat und eine Pflanze bis zur Samenreife stehen lässt, braucht sich um Nachwuchs nicht mehr zu sorgen. An allen möglichen Stellen findet er Blattrosetten, die er dann nur an die Stellen verpflanzen muss, an denen die Königskerzen erwünscht sind.

Geerntet werden die goldgelben Blüten nur bei schönem Wetter, wenn man einen auch optisch ansprechenden Tee erhalten will. Die günstigste Sammelzeit ist der späte Vormittag, wenn die Sonne den Morgentau abgetrocknet hat. Dann lassen sich die Blüten leicht pflücken. Es dürfen nämlich nur die Blütenkronen mit den daran sitzenden Staubgefäßen gesammelt werden. Ohne Aufschub müssen sie getrocknet werden, am besten im Backofen bei geöffneter Tür und einer Temperatur von 50°C. Wenn die Blüten gründlich getrocknet sind, müssen sie sofort in gut schließende Gefäße gegeben werden. Da sie außerordentlich feuchtigkeitsempfindlich sind (sie werden grau und unansehnlich), sollte man in das Aufbewahrungsgefäß ein Trockenmittel geben (gelben Kieselgur oder Blaugel aus der Apotheke) (Pahlow 1998: 216, 217).

Im Folgenden habe ich das dick Gedruckte über Verbascum thapsus aus den Arzneimittellehren von Jahr (1997), Mezger (1995), Vermeulen (2000) und Phatak (2004) herausgearbeitet.
Bereits Hahnemann hat diese Pflanze (der frisch ausgepresste Saft des Krautes zu Anfang des Blühens) geprüft. Die Arzneimittelprüfung Hahnemanns findet sich in Hahnemanns „Reiner Arzneimittellehre“ (Band 6), ebenso bei Allen und bei Hughes.

Jahr:

Allgemeines bis Gemüt
Reißen in verschiedenen Teilen; Gähnen; unüberwindlicher Schlaf; zu kurzer Schlaf, nur bis vier Uhr früh; Schauder, besonders Kälte; aufgeregte Phantasie; Luftigkeit.

Kopf und Sensorium
Gedächtnisschwäche; Zerstreutheit; Dummheit; Schwindelanfälle; Drücken im Kopfe; in den Schläfen; betäubendes Drücken in der Stirn; Zusammenkneipen; Stechen; Dröhnen.

Augen, Ohren, Nase
Als würde das Ohr hineingezogen; reißendes Stechen im linken Ohr beim Essen; Blüthchen; Taubhörigkeit.

Angesicht und Zähne
Gesichtsschmerzen: Drücken auf das Jochbein, besonders auf das linke; durch Aufdrücken verschlimmert und in öfteren Anfällen (am Tage, oder abends und früh, im Bette); Drücken am Gelenkhöcker, besonders links; Stechen; Zahnweh.

Mund bis Gastrisches
Zunge braun, an der Wurzel, früh, beim Aufstehen und vormittags; Geschmack fade; Hunger ohne Appetit; viel leeres Aufstoßen; Aufschwulken; gastrische Beschwerden.

Magen und Bauch
Leere; links; Bauchweh, als wären die Därme in der Nabelgegend am Bauchfelle angewachsen; Zusammenschnüren; Drücken auf den Nabel, wie von einem Steine; schneidendes Kneipen im Bauche; Auftreibung des Bauches; Gluckern; Knurren und Kollern.

Stuhl bis männliche Theile
Kein Stuhl; schafsmistartigen Kothes; öfterer Harndrang mit reichlichem häufigem Abgange; nächtliche Samenergießungen.

Luftröhre und Brust
Heiserkeit; Husten, besonders abends und nachts im Schlafe; hohl und tieftonig; Brustschmerz, äußerlich, Stechen.

Rücken, Kreuz
Stechen; linkes Schulterblatt.

Oberglieder
Linker Ellbogen; Stechen, besonders in der hohlen Hand; Verstauchungsschmerz; lähmiger Schmerz in linken Fingern.

Mezger:

Kopf und Gesicht
Trigeminusneuralgie.

Ohr
Ziehende Schmerzen im inneren Ohr,
Äußerlich als Tinktur (Mulleinöl) gegen Neuralgien und Ohrschmerzen.

Atmungsorgane
Laryngitis; Heiserkeit mit Bassstimme (Stiegele); hohler Husten mit heiserem, tiefem Klang wie mit einer Trompete (Nash).

Harnorgane
Enuresis; Husten mit Harninkontinenz.

Glieder, periphere Nerven
Neuralgien.

Vermeulen:

Charakteristika
Katarrh und periodische Prosopalgie; Krämpfe, Klemmen, Malmen, lähmende Schmerzen im Gesicht; einseitiges Schaudern.

Kopf
Wie von einer Kneifzange zerquetscht.

Nase
Schmerzhafter Schnupfen aus den Stirnhöhlen und heiße, brennende Tränen in großen Mengen.

Gesicht
Als würden die Teile mit Zangen zerquetscht.

Abdomen
Wie von einer Lanze durchbohrt.

Rektum
Sehr heftige Diarrhoe und Greifen; Stuhl wie Schafskot, spärlich, sehr hart, und unter großer Anstrengung entleert.

Harnwege
Blasenschwäche.

Larynx
Heiserkeit.

Untere Extremitäten
Linkes Fußgelenk sehr steif und mehr oder weniger Wundheit und Steifheit in den Gelenken der unteren Gliedmaßen.

Phatak:

Allgemeines
Krampfartig; wie gewaltsam gepackt und mit der Beißzange zusammengekniffen; lähmungsartig; ausgeprägte Wirkung auf die Nerven.

Atemwege
Heiserkeit.

Kent-Repertorium (Band 1-3):

Im Folgenden seien noch die Rubriken aus dem Kentschen Repertorium (ComRep ML 2008), in denen Verbascum dreiwertig eingetragen ist, aufgeführt: Verbascum thapsus ist nicht nur in der Phytotherapie als Tee und Schmerzöl ein wertvolles Arzneimittel. Auch für den klassischen Homöopathen lohnt es sich, dieses Arzneimittel zu studieren und sich als ausgezeichnetes Mittel bei Trigeminusneuralgie links als Alternativmittel zu Aconitum zu merken.

...

Literaturangaben
• Jahr, G.H.G.: Ausführliche Arzneimittellehre. Hamburg: Bernd von der Lieth, 1997.
• Kent, James T.: Kents Repertorium der homöopathischen Arzneimittel, in: Simbürger, F.: Computer-Repertorisationsprogramm ComRep ML, Version 9.5. Eching, 2008.
• Mezger, Julius: Gesichtete Homöopathische Arzneimittellehre. 11. Auflage Heidelberg: Haug, 1995.
• Pahlow, Mannfried: Heilpflanzen. 6. Auflage München: Gräfe und Unzer, 1998.
• Phatak, S. R.: Homöopathische Arzneimittellehre. 2. Auflage München: Elsevier, 2004.
• Vermeulen, Frans: Konkordanz der Materia Medica. Haarlem, Holland: Emryss bv Publishers, 2000.

Anschrift der Verfasserin
Marie-Therese Riester
Eibenweg 5
72488 Sigmaringen
07571/62487
Internet: www.MT-Naturheilpraxis.de.vu

weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis

Naturheilpraxis 7/2011