Akupunktur/TCM

Jetzt auch in Rothenburg – Clash der Kulturen!

Andreas Noll

Seit etwa zehn Jahren kann man sich unter diesem Begriff etwas vorstellen – das christliche Abendland, also Amerika und Europa, kollidierten mit dem klassischen Orient, dem islamisch-arabischen Raum, nebenbei aber auch noch mit den religiösen Vorstellungen von vielen hundert Millionen Menschen in Südasien.


Das Bemerkenswerte an diesem Zusammenprall, der nun die Weltpolitik bis hin zu den Fernsehserien beherrscht, ist die Unkenntnis und die vielfältigen wechselseitigen Mutmaßungen, die von beiden Seiten mit maximaler Emotionalität verbreitet werden. Wer bei uns kennt die Inhalte des Islam wirklich? Welcher Muslim kennt die Unterschiede zwischen einem aufgeklärten modernen Christentum und der Bibelgläubigkeit amerikanischer Fundamentalisten? Viel Platz für Populismus, dumpfen Fremdenhass und die Wiederbelebung uralter Vorurteile.

Im Osten nichts Neues

Vor einigen hundert Jahren fand Ähnliches statt: Das Abendland entdeckte China – und China entdeckte die westlichen Barbaren! Um 1600 herum kamen Jesuiten nach China – sie wollten natürlich missionieren und die „Heiden“ von der ihrer Ansicht nach allein selig machenden Wahrheit des Christentums überzeugen. Das stellte sich als nicht so einfach heraus, denn die Chinesen hatten ein bewährtes, stabiles Gesellschaftssystem. In dem auch Mönche wie die Jesuiten oder die Buddhisten nur geringes Ansehen genossen. Es war eine Gelehrtengesellschaft – Bücher und philosophisch-wissenschaftliche Dispute waren seit Jahrhunderten der Mainstream. Keine Heiligenverehrung oder religiöse Darstellungen wie im barocken Europa, sondern Bücher waren die Fundamente der Vorstellungen von Leben und Tod, Heil und Unheil. Hatten sich nun die Jesuiten zunächst als buddhistische Mönche „getarnt“, so schwenkten sie schnell um und lehrten Philosophie und die im Westen langsam aufstrebenden Naturwissenschaften in der Tracht der konfuzianischen Gelehrten. Selbstverständlichkeiten – für sie! – mussten geklärt werden, wie die Vorstellung eines sterblichen, vergänglichen Körpers und einer unsterblichen Seele. Die Vorstellung eines Schöpfer-Gottes kollidierte mit der des Dao, das Zölibat mit der Ahnenverehrung, für die Nachkommen unerlässlich waren. Kurzum, man musste sich anpassen, musste in den chinesischen Schriften nach Gemeinsamem suchen und behutsam das Trennende herausarbeiten. Das führte dann dazu, dass z.B. Shang Di kurzerhand zu „Gott“ erklärt wurde, die Chinesen von der Arche Noah stammend eigentlich schon seit Jahrtausenden eigentlich Ur-Christen sind. Die durchaus recht erfolgreichen Anpassungsbemühungen der Jesuiten gingen weiter und weiter, bis schließlich der Papst im fernen Rom im „Ritenstreit“ dem ein Ende bereitete. Andere katholische Orden und schließlich protestantische Missionen versuchten dann in den folgenden Jahrhunderten die „reine christliche Lehre“ zu verkünden, weitgehend erfolglos. Aber auch die andere Seite reagierte: Umfangreiche philosophische Auseinandersetzungen mit dem Christentum und den Vorstellungen griechisch-römischer Traditionen fanden auch auf chinesischer Seite statt. Auch mit Pamphleten und Hetztiraden ging man in chinesischen Publikationen gegen die Fremden vor. Der chinesische Kaiser verwies dann auch die Jesuiten des Landes.

Der „Clash der Kulturen“ war scheinbar beendet, aber die Dispute gingen nach dem Kontakt mit dem Fernen, Fremden weiter – erinnert sei an Leibnitz und Voltaire, die begeistert die fernöstliche „Aufklärung“ in Europa feierten. Der Handel brachte den Wandel, brachte Opiumkrieg, Kolonialisierung und den jämmerlichen Untergang des einst selbstbewussten chinesischen Kaiserreiches.

Zusammenprall der Medizinen – Missverständnisse en masse

Seit einigen Jahrzehnten haben wir nun in der nunmehr globalisierten Welt einen „Clash der Medizinen“. Die moderne westliche, aufgeklärte und rationale Medizin hat sich bewiesen, hat Infektionen und Seuchen reduzieren können und präsentiert sich als allein-Krankheiten-heilende-Wahrheit. Und sie lässt zeitgleich viele Menschen unzufrieden werden. Keine Menschlichkeit, keine Sittlichkeit, Grenzenlosigkeit, keine Wärme und keine Individualität. Heilkundliche Vorstellungen aus fernen Ländern, je ferner, desto besser, weil unbekannter, mehr in der „Grauzone“ der Erkenntnis, werden entdeckt, verbreitet und gefeiert. Dazu gehört auch die chinesische Medizin. Und da tauchen sie dann wieder auf, die alten Missverständnisse zwischen und das grundsätzliche Anderssein von Menschen, die sich in verschiedenen Kulturen, Geschichten, Klimata und Vorstellungen seit Jahrtausenden geformt haben.

Tibet, Menschenrechte, Nationalitätenpolitik- da kollidieren die Vorstellungen ganz offensichtlich. Dass zeitgenössische chinesische Philosophen sich mit Heidegger, Adorno und Habermas auseinandersetzen, kann als bekannt gelten. Dass Traditionelle Chinesische Mediziner sich aber mit den Unzulänglichkeiten der westlichen Medizin beschäftigen und darüber hinaus auch Konzepte westlicher Komplementärmedizin wie auch der westlichen Psychologie übernehmen, dürfte hiesigen Therapeuten weniger vertraut sein. Das DAO bedeutet eben ständigen Wandel, ermöglicht wird dieser vor allem durch lebendige Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der „anderen Seite“.

Wir als TCM-Therapeuten übernehmen etwas aus dem fernen Osten, mengen dabei häufig genug munter unsere einheimischen Vorstellungen dazu. Die chinesischen Mediziner übernehmen westliche Vorstellungen, vermischen sie aber völlig unkompliziert mit der alten chinesischen Heilkunde. So kann es gehen, und es funktioniert, zum Nutzen der Patienten.
Neugierde

Das Fremde und das Eigene – erst der Blick in die Ferne lässt uns die eigenen Besonderheiten und Fragwürdigkeiten erkennen!

Konkret: Dieses Jahr in Rothenburg
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Praxisrelevanz und Diskussion
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Naturheilpraxis 5/2011