FACHFORUM

Hirtentäschel

(Capsella bursa-pastoris) Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Margret Rupprecht

Heilpflanzen haben bisweilen mehr als nur eine therapeutische Wirkung beim Kranken. Ihre Gestalt kann den Betrachter zum Nachdenken anregen und ihm wertvolle neue Einsichten vermitteln. Dies gilt auch für das Hirtentäschel. Seine Signatur steht in enger Verbindung mit dem Thema „Verlust der Lebenskraft“. Für Frauen, die allmonatlich unter einer zu starken Regelblutung leiden, führt der regelmäßige Verlust von Saft und Kraft zu einem chronischen Energiedefizit auf somatischer und psychischer Ebene. Hypermenorrhoe ist eine Form von Verausgabung, die im Laufe der Zeit und in nicht wenigen Fällen eine Eisenmangelanämie nach sich zieht.


Zu starke Menstruationsblutungen haben ihre Ursache in einem Östrogenmangel während der ersten Zyklushälfte. In der Folge kann sich im Uterus keine ausreichend dicke Schleimhaut aufbauen. Wird die schwache Schleimhaut während der Periodenblutung abgestoßen, sind überdurchschnittlich lange Blutungen die Folge. Was der weibliche Körper nur mühsam aufgebaut hat, scheint er ebenso mühsam wieder abgeben zu müssen. Interessant ist die Tatsache, dass ein inneres „Zuwenig“ im Bereich der Hormone zu einem äußeren „Zuviel“ in Form einer überdurchschnittlich starken Blutung führt. Da scheint ein Mensch sehr viel herzugeben, obwohl in seinem Inneren alles andere als Fülle herrscht. Der Östrogenmangel ist ein deutlicher Hinweis, dass die Frau ihre weiblichen Energiequellen nicht in genügender Weise auffüllen kann, um einen ausreichend hohen Hormonspiegel und damit eine Blutungslänge zu erreichen, die „der Regel gerecht“ ist. Eine gesunde Blutung ist kräftig, aber kurz. Je länger die Blutungsdauer, desto größer ist der dahinterstehende Schwächezustand. Das trifft oft Frauen, die sehr hilfsbereit sind und sich aufopfernd für Familie oder Beruf einsetzen. Doch wer seine eigenen Energiequellen nicht regelmäßig und ausreichend auffüllt, bedarf irgendwann selber der Hilfe. Die Schwäche im Rahmen einer Eisenmangelanämie spricht eine deutliche Sprache. Gelingt es einer Patientin mit Hypermenorrhoe, sich auch im übertragenen Sinne erst selbst zu nähren, bevor sie andere nährt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sich Blutungsintensität und –dauer normalisieren. Dieser Prozess wird von Capsella bursa-pastoris auf der somatischen und auf der seelischen Ebene gleichermaßen wirkungsvoll unterstützt.

Signaturenlehre und Anthroposophische Medizin

Die Betrachtung der äußeren Gestalt weist zunächst ein Rätsel auf. Die etwa 40 cm hohe Pflanze mit ihren schmallänglichen, grundständigen Laubblättern macht einen derart unscheinbaren Eindruck, dass man sich fragt, ob sie überhaupt irgendeine Botschaft enthält.
Das Wesen des Hirtentäschels erschließt sich bei der Betrachtung seiner Fruchtschoten. Um nicht zu sagen: Ihre äußere Form löst einen regelrechten Aha-Effekt aus: Die Schoten stehen fast in einem 90-Grad-Winkel vom Stängel ab und weisen eine außergewöhnliche Form auf. Sie ähneln einer Pfeilspitze. Einen Pfeil schießt man normalerweise von innen nach außen, von sich selbst weg und hin zu einem Punkt in der Peripherie. Beim Hirtentäschel ist die Zielrichtung genau umgekehrt. Die breite Seite des Pfeiles weist nach außen, die Spitze hingegen nach innen auf den Stängel und damit auf das Zentrum hin.

So wie in der Elektrotechnik eine Antenne elektromagnetische Strahlung empfangen oder aussenden kann, finden sich in der Natur antennenartige Pflanzenauswüchse in Form von Dornen, stielartigen Blattformen oder Haaren, die eine besondere Art von Energie aufzunehmen oder abzugeben scheinen. Da die Breitseite der Schoten nach außen und die Spitze nach innen gerichtet ist, entsteht der Eindruck, die Pflanze würde Energie von außen nach innen ziehen und sich damit energetisch aufladen. Der Fluss der Kräfte strömt – in der Signatur – zur Pflanze hin und nicht von ihr weg. Hirtentäschel scheint sorgsam darauf bedacht zu sein, die eigene Kraft zu bewahren, sie immer wieder aufzufüllen und damit einen Verlust von Energie zu verhindern. Wenn man bedenkt, dass im Organismus das Blut als Energieträger schlechthin betrachtet werden kann, macht die Pflanzensignatur auf einer tieferen Weise deutlich, warum Capsella bursapastoris bei allen Formen von Blutungen so große Erfolge verzeichnet. Blutverlust ist Verlust an Lebenskraft. Hirtentäschel wirkt diesem Energieverlust entgegen, indem es den Menschen energetisch auflädt und ihn dabei unterstützt, sein Eigenes zu bewahren. Darin liegt eine psychophysische Stärkung, die den Betroffenen wieder in die Lage versetzt, kraftvoll zu handeln – im eigenen Interesse und im Interesse der Menschen, mit denen er lebt. Ein Mensch, der im wörtlichen und im übertragenen Sinne ausblutet, praktiziert eine ungesunde Form der Hingabe, die niemandem hilft. Die Körpersymptome sind dabei oft Spiegel eines entsprechenden Verhaltens. Wer seine Lebenskraft bei sich behält, verfügt über eine reiche Quelle an Energie, die er mit Anderen teilen kann.

Wie viel das Hirtentäschel mit dem Thema der Verausgabung zu tun hat, beschreibt auch der Heilpflanzenforscher Wilhelm Pelikan: Da ist zum Einen das Ausbreitungsverhalten über die ganze Erde bis hoch ins Gebirge und in Polarregionen. Das Hirtentäschel ergießt (?) sich auch in unwirtliche Gebiete. Es schont und schützt sich nicht einmal vor kargen, mageren oder trockenen Standorten. Zum Zweiten zeigt es ein auffälliges Verhalten der Fruchtbildung: Die Hirtentäschelsamen keimen sehr schnell: Während der ganzen Vegetationsperiode lässt sich beobachten, wie die Pflanze gleichzeitig üppig blüht, Samen ausbildet, Samen abwirft und unter den von ihr ausgestreuten Samen schon neue Pflanzen empor sprießen, während die Mutterpflanze noch blüht und weitere Samen bildet.
Eine einzige Pflanze kann zwischen fünfzehn- und sechzigtausend Samen hervorbringen. Sie verströmt sich geradezu, dabei ist sie eigentlich eher zart von Gestalt.
Wenn Frauen dazu neigen, sich auf Kosten ihrer eigenen Kraft zu sehr zu verschwenden und zu verausgaben, wofür die Hypermenorrhoe das körpersprachliche Indiz ist, kann das arzneilich aufbereitete Capsella bursa-pastoris im Sinne des Simile-Prinzips diese Tendenz umkehren und die Patientin dabei unterstützen, mit ihrem Blut und mit ihren Kräften besser zu haushalten.

Blutungen – Verlust an Lebenskraft
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Capsella bursa-pastoris im Einsatz bei Kindern
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Geschichte und Pharmakologie
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Literatur
Schramm, H.: Heilmittel der Anthroposophischen Medizin. Elsevier bei Urban & Fischer Verlag, München 2009
Pelikan, W.: Heilpflanzenkunde. Band 1,
Verlag am Goetheanum. Dornach 1988
Kalbermatten, R.: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. Die Gestalt als Schlüssel zur Heilkraft der Pflanzen. AT Verlag,
Aarau (Schweiz) 2002
Wichtl, M. (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002
Madaus, G.: Lehrbuch der biologischen
Heilmittel. Band 4. Mediamed Verlag, Ravensburg 1988
HUNNIUS: Pharmazeutisches Wörterbuch. 8. Auflage, neu bearbeitet und erweitert von Artur Burger und Helmut Wachter. Walter de Gruyter. Berlin und New York 1998
Fröhlich, W. D.: Wörterbuch Psychologie. dtv, München 2002
Weiß. R. F.: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991
Dahlke, R.: Krankheit als Symbol. C. Bertelsmann Verlag, München 2002

Anschrift der Verfasserin:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin
Hohensalzaer Straße 6a
81929 München


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Naturheilpraxis 5/2011