Klassische Homöopathie

Der praktische Aspekt von Anamnese und Dokumentation in der Homöopathie

Dr. med. Klaus Holzapfel

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Organon 2010 – 200 Jahre Grundlagen der Homöopathie“ fand am 7. Juli 2010 um 19 Uhr im Literaturhaus in Stuttgart die Veranstaltung „Anamnese und Dokumentation in der Homöopathie“ statt. Es sprachen Prof. Dr. Martin Dinges, Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung (siehe Blätter für klassische Homöopathie, NHP 11/2010) und Dr. Klaus Holzapfel, dessen Vortrag wir an dieser Stelle für sie veröffentlichen dürfen.

Schlüsselwörter: Anamnese, Dokumentation, Heilhindernisse, Arzneimittelbilder, Typisierung.


Zwei der wichtigsten Forderungen Hahnemanns zur Erhebung der Anamnese sind Unbefangenheit und gesunde Sinne. Das bedeutet, der Arzt lässt erst einmal den Patienten reden und nicht nur das, er lässt ihn auch ausreden.

Viele unserer Patienten sind dies gar nicht mehr gewohnt, und der Bericht des Patienten ist sehr schnell erschöpft. Ich erlebe bei solchen Patienten, die wiederholt zur Behandlung kommen, eine zunehmend genauere Berichterstattung.

Wichtig ist hierbei auch, dass die Ausdrücke des Patienten dokumentiert und dabei nicht verändert werden. Wir sollten nicht nur keine übereilte Krankheitsdiagnose stellen, sondern wir sollten auch keine voreiligen Rückschlüsse auf bestimmte Arzneien ziehen.

Wenn z.B. ein Patient in gebeugter Haltung das Zimmer betritt, mögen manche Homöopathen an die Arznei Sulphur denken. Das kann sehr schnell dazu führen, sich innerlich auf dieses Mittel festzulegen und während der Anamnese durch die Brille dieser Arznei zu schauen bzw. des Bildes, das man sich von dieser Arznei gemacht hat. Ein Arzneimittelbild sollte aber nur dazu dienen, sich einige Charakteristika einer Arznei einzuprägen, nicht aber dazu, die eigene Offenheit gegenüber dem Patienten zu verbauen.

Gerade das frühzeitige Einordnen des Patienten in ein vorgefasstes Bild verstellt den Blick für dessen Individuelles. Abgesehen davon, dass dieses eine Zeichen des Gebücktgehens nur eines von vielen und außerdem bei mehreren Arzneien zu finden ist – wir kennen die Heilkräfte der Mittel ja aus den Prüfungen an gesunden Personen, und mehrere der Arzneien haben Beschwerden hervorgerufen, bei denen der Prüfende gebeugt gehen muss –, ist es im Moment der Einordnung des Patienten mit der Unbefangenheit des Arztes vorbei.

Natürlich ist es wichtig, sich diese Auffälligkeit sofort zu notieren – im Organon im §84 heißt es ja nicht ohne Grund, der Arzt bemerkt durch seine Sinne, was verändert und ungewöhnlich am Kranken ist – doch die Einordnung in eine Diagnose oder die Zuordnung zu einer Arznei ist ein viel späterer Schritt der homöopathischen Behandlung

Natürlich ist es wichtig, sich diese Auffälligkeit sofort zu notieren – im Organon im §84 heißt es ja nicht ohne Grund, der Arzt bemerkt durch seine Sinne, was verändert und ungewöhnlich am Kranken ist – doch die Einordnung in eine Diagnose oder die Zuordnung zu einer Arznei ist ein viel späterer Schritt der homöopathischen Behandlung

Es geht also zunächst in der Aufnahme des vollständigen Krankheitsbildes um alle Veränderungen, die der Patient erfahren hat. Um aber eine homöopathische Arznei zu finden, muss das individuelle Krankheitsbild aufgezeichnet werden, im Gegensatz zur klinischen Medizin, wo es mehr um die Stellung einer Krankheitsdiagnose geht, die als solche behandelt wird. Die bei jedem Patienten vorliegenden individuellen, feineren Veränderungen interessieren den Schulmediziner nicht, solange sie nicht seine Diagnose ins Wanken bringen. Für den Homöopathen sind aber gerade die Feinheiten im konkreten Krankheitsbild oder –verlauf entscheidend für die Mittelwahl.

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Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Klaus Holzapfel
Alte Weinsteige 40
70180 Stuttgart

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Naturheilpraxis 3/2011