Meinung

Wissenswertes, Kritisches, Neues

Von Josef Karl

I.

Sie fahren im Zug, einen großen Hunger für den Speisewagen wollen Sie nicht haben und so kaufen Sie beim vorbeiziehenden kleinen Wagen einen Saft und ein Sandwich mit Käse. Das ist nichts besonderes, Käsesemmeln schmecken immer so ziemlich gleich. Anschließend lesen Sie, mehr aus Langeweile, die „Inhaltsangabe“ – und wundern sich doch, dass Sie das nahezu alles gar nicht geschmeckt oder gerochen haben:

Sandwich mit Käse
Zutaten: Spezialbrot 58 % (Weizenmehl, Wasser, Haferflocken 14 %, Rapsöl, Hefe, Kochsalz jodiert, Magermilchpulver, Molkenpulver, Traubenzucker, Weizenkleber, Butter, Mehlbehandlungsmittel: Ascorbinsäure), Tilsiter vollfett 35 % (Halbhartkäse aus Rohmilch), Brotaufstrich (Rapsöl, Wasser, Senf, Palmöl, Kochsalz, Emulgator: E 471, Gemüsebouillon (mit Lactose), Zwiebeln, Weinessig (mit Antioxidationsmittel: E 224), Zucker, Zitronensaft).
Ja, die zwei E-Nummern, hofft man, werden so schlimm schon nicht sein (224 – Kaliumdisulfit, 471 – Mono- und Triglyceride von Speisefetten) und das jodierte Kochsalz soll uns ja sowieso im Binnenland fehlen. Nur haben wir uns vielleicht, weil sie so zahlreich angeboten werden, unter „Nahrungsergänzungsmittel“ etwas anderes vorgestellt! Ein kleines Lehrstück, wie schnell man sich täuschen kann.

II.

Der Mensch und die Umwelt: Wunsch und Unmöglichkeit.

Der Mensch möchte meistens alles: Er kann offensichtlich schwer einsehen, dass dies in den vielen Fällen nicht geht, ja geradezu grotesk widersprüchlich ist. Ein Beispiel: Was haben sich Umweltschützer um die Verhinderung der dritten Start- und Landebahn am Frankfurter Flughafen vor Jahren bemüht, diese zu verhindern. Prominente Demonstranten - wie damals unter anderen noch Heinrich Böll und viele andere - engagierten sich in großer Entschlossenheit, dass es den Anwohnern und der Umwelt nicht zumutbar sein kann, immer mehr Land zuzubetonieren, immer größere Mengen Abgase in die Luft zu schleudern. Und im Dezember 2007 fliegen 10.000 „Umweltpolitiker“ nach Bali(!), um in endlosen Diskussionen über längst Bekanntes zu reden, zu reden, schöne Tage zu genießen (zumindest für einen großen Teil). Oder glaubt denn wirklich noch ein realistischer Kenner von Konferenzen, dass alle diejenigen, die (wie im Fernsehen selbst auf der Abschlusskonferenz zu sehen zur Hälfte im großen Plenarsaal gar nicht anwesend waren) alle irgendwo im stillen Kämmerlein saßen und arbeiteten?

Und jetzt die „Süddeutsche Zeitung“: Der frühere Ministerpräsident Roland Koch verkündete ein Nachtflugverbot – allerdings, so die „SZ“, – werde man „einige wenige Ausnahmen“ zulassen. Da lachen bekanntlich die Hühner, denn selbst der Dümmste weiß heute, was Politikersprache konkret bedeutet: „Einige wenige Ausnahmen“ ist eine Floskel wie ein ausgeleiertes Gummiband (wie wir aus unzähligen Parallelvorgängen wissen). Die Ausnahmen ufern bekanntlich schnell aus. Haben sich vor Ausbau der dritten Startbahn (die es eigentlich nicht braucht) tausende von Anwohnern monatelang umsonst gewehrt, so wäre es eine der seltenen Ausnahmen, wenn es diesmal anders wäre. Meistens setzen Politiker mehr oder weniger ihre Vorhaben kompromisslos durch. (Erinnern Sie sich, werte Leser/innen, sicher noch an die Bilder, wie auf unwürdige Weise die Protestierenden „abtransportiert“ wurden? (War es in Mutlangen seinerzeit anders?)

Die Nachtruhe, ein hohes Gut für die Gesundheit des Menschen, zu stören aus wirtschaftlichen Gründen – ob das ein verantwortungsvolles Handeln ist? Sicher nicht.

Im Jahr 2011 soll sie in Betrieb gehen, die vierte Bahn. Dann sollen die Flugbewegungen von derzeit 490.000 im Jahr auf 700.000 im Jahr 2020 steigen! Bekannt ist, dass Flugzeuge eine der größten Emission an Treibhausgasen produzieren; und auf was setzt man: Auf Steigerung der Maßlosigkeit! Muss jeder nach Australien, Kanada, Thailand, Neuseeland, Südafrika ohne triftigen Grund? Kann keiner mehr zu Hause bleiben – oder zumindest in Europa Urlaub machen? Muss man innerhalb Deutschland überhaupt fliegen? Natürlich schafft das neue Arbeitsplätze – dieses Todschlagargument wenden wir bei der Herstellung von Panzern und Kanonen auch an (die Rüstungsindustrie argumentiert unvermindert damit). Den Preis sollten wir allmählich kennen. Haben wir eigentlich schon die Zukunft überdacht – begreifen wir gar nichts?

Arbeit zu haben ist eines der wichtigsten Lebensgrundlagen, das ist doch von keinem vernünftigen Menschen bestritten. Doch nicht Arbeit, die die Menschen krank macht.

Nochmal an den Anfang: „Kaum jemand kann alles haben“. Und wahrscheinlich wird eine „gesunde“ Zukunft so aussehen, wenn wir menschenwürdig leben wollen, dass Arbeit und Gesundheit Partner und nicht Gegner sind.

III.

Wir müssen uns in Deutschland damit abfinden, dass wir die führende Rolle, die wir einmal in der Medizin innehatten, nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht mehr erreicht haben. Auf manchen Gebieten sind wir sogar rückständig und provinziell.

Wesentliche Fortschrittsimpulse kommen aus den USA und den angelsächsischen Ländern. (Wohin, das dürfte vielen nicht mehr bewusst sein, die jüdische deutsch-österreichische Intelligenz unter dem Naziregime emigrierte – falls sie es konnte).

Ein Sektor der Medizin, der bei uns zwiespältig praktiziert wird, worüber sich andere Länder sogar wundern, ist der zögerliche Einsatz von Morphium bei Schmerzen hochgradiger Art, die kaum Aussicht auf Besserung haben, zum Beispiel bei Krebspatienten im Endstadium. Dass Morphine süchtig machen, wissen alle. Hier geht es jedoch um Abwägung und weniger um heroische Appelle, unerträgliche Schmerzen zu ertragen. Dies ist in meinem Weltbild unmenschlich - und widerspricht auch dem hippokratischem Eid.

Nun gibt es eine neue Nachricht und man möchte das vom Bundesgesundheitsinstitut her ändern.

Dies hört sich auf Anhieb sehr positiv an – ist es jedoch noch lange nicht. Die Bundesopiumstellle prüft jeden Antrag eigens: Es muss nachgewiesen werden, dass „alle verfügbaren Therapien keine Wirkung erzielt haben und es kein anderes zugelassenes Arzneimittel gibt, um die Beschwerden zu behandeln“. Wird der Antrag vom Arzt und Patienten befürwortet, kann – auf ein Jahr befristet – standardisierter Cannabisextrakt in der Apotheke gekauft werden; für sichere Verwahrung muss gesorgt werden. Über die Kosten für den Monatsbedarf gibt es noch keine genauen Summen – sie betragen jedoch nur einen Bruchteil für jene von Dronabinol. Jedoch: Bürokratie dauert. Naturgemäß dürfen keine Illusionen über die Schattenseiten dieser Therapie entstehen: Das Abhängigkeitspotential ist vorhanden und damit auch die Gefahr, dass zu einem nicht genau definierbaren Zeitpunkt eine Psychose entsteht. Wissenschaftliche Studien gibt es noch wenige. Aber immerhin könnte es ein erster Schritt sein.

Trotz dieser neuen Möglichkeit, die Droge zur Therapie einzusetzen, bleibt Cannabis auch künftig verboten; Kranke, die sich auf eigene Faust die Mittel besorgen, sind davon nicht ausgenommen und werden bestraft. In den Ministerien sollte auch ein Blick in die Bibel geworfen werden: Genau heißt es da als christliche Pflicht: „Schmerzen zu lindern“, wenn aber die amtlicherseits aufgebauten Hindernisse so groß sind wie heute immer noch – stirbt der Patient vorher in Qualen und Schmerzen. Und wir gründen weiter Vereine für Humanität und humanes Sterben, die kaum jemandem nützen.

IV.

Schneereiche Winter werden bei älteren Menschen häufig zu Katastrophen für die Lendenwirbelsäule und die Herzkranzgefäße. Jedes Jahr steigen in den nach einem starken Schneefall während der Nacht beide Schäden stark an. Geht es noch relativ gut aus, kommt der Mann schief und schmerzverzehrt ins Haus zurück. Und bald in unsere Praxen. Im Unglücksfall hat er einen Prolaps, dort wo er am häufigsten auftritt, zwischen Kreuzbein und LWS IV/V. Dann lehnt er gekrümmt am Gartenzaun, geh- und stehunfähig, häufig ein Fall für‘s Krankenhaus, wenn nicht gar für eine anschließende Operation. So drastisch erlebe ich das auf dem Land, weniger in Großstädten. Warum? Der Hauseigentümer ist ab 7 Uhr morgens dafür verantwortlich, dass der Gehweg in voller Länge seines Grundstücks zur Straße eis- und schneefrei ist.

Wenn er es weiß – viele wissen es gar nicht und führen jahrelang Prozesse bei Unfällen auf ungeräumten, verschneiten und vereisten Gehwegen. Da rennt einer oft aus der Bettwärme ohne Vortraining hinaus – und eine Schneeschaufel nassen Schnees hat bekanntlich ihr Gewicht - und wenn man sie dann in einer „elegenten“ Hub-Drehbewegung wegwuchtet . Ich habe da viel erlebt.

Dann die zweite Großgefahr: Der Herzinfarkt.
Wie vorher ist die Kombination von Kälte und Anstrengung „Gift“. (Sportler machen – wenn sie vernünftig sind – ein intensives Aufwärmtraining!) Ältere Männer gehen ebenfalls meistens ohne jedes Training zum Schneeschaufeln hinaus. Ein dramatisches Beispiel (von nicht wenigen!): Der übergewichtige, stark rauchende, knapp 50-jährige Nachbar rennt hinaus und kommt nicht mehr herein. Die Frau schaut besorgt nach ihm: Er schleppte sich noch in den Vorgarten mit einem Herzinfarkt, der trotz sofortigen Rettungsmaßnahmen und Krankenhauseinweisung nicht mehr zu reaktivieren war. Ein tragischer Fall. Auch die kalte Luft wirkt noch negativ mit: unbedingt zumindest einen Schal um den Mund binden.
Bandscheibenoperierte und Herzkranke, HKG-Kranke mit Beipässen oder Stents müssen wir, koste es was es wolle, sowieso von dieser Arbeit abhalten!

V.

Kolleginnen und Kollegen, es kann und darf uns die Politik nicht gleichgültig sein unabhängig von jeglicher Parteipolitik ob es der Mehrzahl unserer Patienten finanziell einigermaßen gut geht oder eher nicht. Die augenblickliche Finanzsituation ist nicht günstig, manche Praxen gehen in der Frequenz der Besuche zurück; Anfänger tun sich schwer. Selbst wenn das Honorar „anständig“ ist, die Rezepte sind oft teuer und halten nicht lange vor. Häufig höre ich: „Ich würde gerne in die Praxis kommen, weil es nötig wäre – aber die Rezepte ... Nun, das wird in der nächsten Zeit nicht besser werden, da sind wir uns wohl im Klaren. (Die Editorials von Chefredakteur K.F. Liebau sprechen jeden Monat wichtige Punkte an, man muss sie lesen.)

Was beunruhigt ist unsere soziale Unausgeglichenheit: Die „Kleinen“ (sie sind wohl die Mehrheit im Land) tun sich immer schwerer, das Notwendige zu bezahlen. Jeden Tag in den Medien lesen wir vom Sparen. Gut: jedoch wo und von was?

Ein Land, das jahrelang für die Erhöhung des Kinder- und Elterngeldes kämpft, erfährt dieser Tage – ich dachte ich höre und lese nicht recht, dass 300 Euro dafür gestrichen werden und, das schlägt dem Fass den Boden aus, nicht bei den Millionärsmüttern wird gekürzt. Irgendwann dachten wir an eine annähernde soziale Gerechtigkeit, kritisierten Länder, wo es nur Arme und Reiche gibt. Und jetzt haben wir die beklagten Verhältnisse selbst.

Und das Schlimmste wohl:
Das Volk von 80 Mill. Bürgern nimmt alles hin. Ich kann’s schwer glauben. Kein Aufstand, keine Revolution. Dies ist vielleicht unser Elend: „Für Politik interessiere ich mich nicht!“

Josef Karl

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Naturheilpraxis 11/2010