MEDIZINGESCHICHTE

Geist und Medizin im hohen Mittelalter

Von Hermann Speiser

Das „finstere“ Mittelalter galt lange Zeit als eine kulturelle Wüste, in der die wenigen Bewohner insgesamt recht finstere Vorstellungen von Gott und der Welt gehabt haben müssen. Es war sozusagen das Niemandsland zwischen dem untergehenden römischen Weltreich und der Befreiungen bringenden Renaissance. Wie gründlich hatte man sich doch geirrt! Im Gegenteil, das 12. Jahrhundert zeigt sich bei genauerem Hinsehen sogar als ein in jeder Beziehung sehr bewegtes Säkulum, mit Ausnahme der Medizin, die auf einem betrüblichen Tiefstand angelangt war. Da die Natur und die menschliche Gesellschaft kein Vakuum dulden, schob sich das volksmedizinische Dreigespann weise Frau, Hirt und Henker an ihre Stelle, wobei letzterer den chirurgischen Part übernahm.

Außerdem machte eine Klosterfrau aus dem Rheingau von sich reden, auf die wir gleich zu sprechen kommen. Das Studium an den berühmten Universitäten von Paris, Oxford, Bologna, Salamanca, oder Prag war im Übrigen hoch angesehen, eben bis auf die Medizin, die von mittelmäßigen Schulmeistern vorgetragen auch nur mittelmäßige Absolventen in die Welt entlassen konnten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass klerikale Kreise aus theologischen Gründen bremsend wirkten. Noch ein Jahrhundert zuvor hatte die medizinische Hochschule von Salerno Weltberühmtheit genossen (Konstantin von Afrika).

Glücklicherweise erwuchs dem hohen Mittelalter die hohe Frau, die es brauchte, die Äbtissin, Seherin und Heilerin Hildegard von Bingen.

Bevor wir weitergehen halten wir noch schnell fest, dass die Kirche im 14. Jahrhundert so weit ging, den Bannfluch über jede Frau zu schleudern, die es wagte zu heilen, ohne studiert zu haben, denn dann sei sie eine Hexe und des Todes schuldig. Dabei war den Frauen ja das akademische Studium untersagt, damals vielleicht gar nicht zu ihrem Nachteil.

Hildegard von Bingen (1098 – 1179)

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Anschrift des Verfassers:
Dipl. rer. pol. Hermann Speiser
Wilhelm Speiser-Weg 3
73033 Göppingen

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Naturheilpraxis 11/2010