FACHFORUM

Augentrost (Euphrasia officinalis)

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

Von Margret Rupprecht

Gehe hin und du wirst sehen,
es ist nichts da.
Gehe nochmals hin, und du wirst sehen,
es ist nichts da.
Gehe ein drittes Mal hin, und du wirst sehen,
es ist noch immer nichts da.
Gehe ein viertes Mal hin, und du wirst sehen:
du bist nie da gewesen.

„Das Auge ist himmlischer Natur. Darum erhebt sich der Mensch über die Erde nur mit dem Auge; darum beginnt die Theorie mit dem Blick nach dem Himmel. Die ersten Philosophen waren Astronomen“, schreibt Ludwig Feuerbach und man kann wohl ergänzen, dass die maßgeblichen Vordenker in Philosophie und Spiritualität bis heute die Physiker sind. Bewusstsein und Wahrnehmung beginnen mit der Frage: Wer sind wir? Je intensiver ein Mensch für sich diese Frage beantworten kann, je stärker er sich seiner selbst bewusst wird, desto mehr schärft sich auch sein Blick für die Welt. Wir können Menschen und Dinge um uns herum nur im selben Maße wahrnehmen, wie wir uns selbst kennengelernt haben.

Die innere Ankunft im eigenen Leben ist wesentliche Voraussetzung für das Ankommen in der Welt. Zunächst ist Sehen ein physikalischer Vorgang. Das Auge ist eine Kamera, auf deren Hintergrund sich die äußere Welt abbildet. Doch dann ereignet sich ein Sprung: Das Abgebildete wird zum Erlebnis. Der Grad an Selbsterkenntnis und Lebenserfahrung entscheidet darüber, was wir wirklich sehen und was wir übersehen. Was und wie wir sehen, hängt nicht zuletzt von den subjektiven Nuancierungen des Gesehenen ab. Wer nicht auf der Stufe einer nur oberflächlichen Wahrnehmung stehen bleiben will, muss wachsen und sich entwickeln. Denn man kann nichts Neues sehen, wenn man es immer mit alten Augen sieht. Wer „ganz der Alte“ bleibt, kann seinen Blick nicht vertiefen.

Wie sehr Wachstum, Entwicklung und Präsenz des Selbst eine unabdingbare Voraussetzung für Wahrnehmung sind, zeigen die Zeilen des zeitgenössischen Dichters Gerald Dunkl:

Ein entwickelter, selbstbewusster und ganz im Augenblick präsenter Mensch sieht anders. Er verfällt nicht der Gefahr geistiger Blindheit, weil er nur das sieht, was er sehen möchte. Er sieht das, was ist.

Wie so oft ist es der Volksmund, der den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und psychischem Zustand plastisch zum Ausdruck bringt, z. B. in Worten und Redewendungen wie: liebäugeln, wenn Blicke töten können, mit den Augen messen, strahlender Blick, Liebe macht blind, Augen ausweinen, Vorsicht/Absicht/Ansicht/Zuversicht, Vorausschauen, Weltanschauung, Weitblick, inneres und geistiges Auge, Auge um Auge, böser Blick etc. Sogar das Körperteil, das am meisten die Individualität eines Menschen zum Ausdruck bringt, wird nach dem Sehorgan benannt: das Gesicht.

Verschließen wir die Augen, verschließen wir sie vor den Problemen der Außenwelt. Über die Augen regulieren wir Nähe und Distanz zu Menschen und Objekten und bestimmen den zwischenmenschlichen Kontakt. Gesundes Sehen und gesundes Leben hängen untrennbar zusammen, bedingen sich gegenseitig. Eine Heilpflanze, die diesen Prozess unterstützt und den Blick auf das Selbst und die Welt vertieft und klärt, ist Euphrasia, der Augentrost.

Signaturenlehre und Anthroposophische Medizin

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Euphrasia in der Medizingeschichte

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Pharmakologie und Indikationen

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Literatur
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Ruediger Dahlke: Krankheit als Symbol. Bertelsmann Verlag, München 2002
Volker Fintelmann: Intuitive Medizin – Anthroposophische Medizin in der Praxis. Hippokrates Verlag, Stuttgart 2007
Friedemann Garvelmann: Pflanzenheilkunde in der Humoralpathologie. Pflaum Verlag, München 2000
Roger und Hildegard Kalbermatten: Pflanzliche Urtinkturen. Wesen und Anwendung. AT Verlag, Baden und München 2005
Kluge: Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Sprache. Walter de Gruyter, Berlin 2002
Rudolf Klußmann: Psychosomatische Medizin. Springer Verlag, Berlin und Heidelberg 1998
Gerhard Madaus: Lehrbuch der Biologischen Heilmittel. Band 6. Mediamed Verlag, Ravensburg 1989
Hermann Menge: Langenscheidts Großwörterbuch Griechisch – Deutsch. Unter Berücksichtigung der Etymologie. Langenscheidt Verlag, Berlin und München 1979
Mannfried Pahlow: Das große Buch der Heilpflanzen. Gräfe und Unzer Verlag, München 1993
Wilhelm Pelikan: Heilpflanzenkunde II. Verlag am Goetheanum, Dornach 1999
Heinz-Hartmut Vogel: Wege der Heilmittelfindung. Menschenkunde und Heilmittelerkenntnis. Natur-Mensch-Medizin-VerlagsGmbH, Bad Boll 2000
Rita Traversier, Kaurt Studinger, Sieglinde Friedrich: Traditionelle chinesische Medizin mit westlichen Pflanzen. Sonntag Verlag, Stuttgart 2005
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phythotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathica. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003
Rudolf Fritz Weiß: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991
Max Wichtl (Hrsg.): Teedrogen und Phytopharmaka. Ein Handbuch für die Praxis auf wissenschaftlicher Grundlage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002

Korrespondenzadresse:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 08/2010