Rothenburg o.d. Tauber, 14. Mai 2010: Viele Menschen  und das gilt für Therapeuten ebenso wie für Patienten  schätzen die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), weil sie eine ganzheitliche Medizin ist und eine individuelle Behandlung ermöglicht, die nicht nur die Körperfunktionen betrachtet, sondern auch psychologische, emotionale und soziale Aspekte einschließt. Jetzt hat die chinesische Gesellschaft der International Organization for Standardization (ISO) eine weltweite Normierung der TCM beantragt und damit die Frage in den Raum gestellt, ob und ggf. wie die TCM weltweit normierbar ist. Die AGTCM, Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V., nahm am 14. Mai 2010 auf ihrem diesjährigen TCM Kongress Rothenburg (11.-16.05.2010) ausführlich Stellung zu diesem Antrag.
Zum Hintergrund
Bereits im Februar 2009 hatte die chinesische Standardisierungsorganisation, die Standardization Administration of China (SAC), bei der Internationalen Standardization Organisation (ISO) einen vorläufigen Antrag auf die weltweite Normierung der TCM eingereicht. Die ISO hat weltweit 161 Mitglieder, wobei jedes Land durch eine Organisation vertreten wird; in Deutschland ist es das Deutsche Institut für Normung (DIN) in Berlin. Ende 2009 wurde der chinesische Antrag durch eine Mehrheit von 14 zu 5 Stimmen der beteiligten ISO-Länderorganisationen angenommen, auch durch Länder allerdings, in denen TCM kaum praktiziert wird wie Kamerun und Ghana. Damit wurde der weltweite Normierungsprozess der TCM unwiderruflich angestoßen, der voraussichtlich auch auf deutsche TCM-Therapeuten und TCM-Ausbildungsstätten weit reichende Auswirkungen haben wird.
Zum ISO-Normierungsprozess
Nach der grundsätzlichen Annahme des weltweiten Normierungsprozesses für TCM wurde innerhalb der ISO das TCM Technical Committee (TC) gebildet, das den Prozess steuert und die Normierung am Ende erstellt. Dazu werden in allen Ländern so genannte Spiegel-Komitees gebildet, in denen alle interessierten Organisationen an der Normierung mitarbeiten können. In einem Abstimmungsprozess, der meist mehrere Jahre dauert, werden von allen beteiligten ISO-Länderorganisationen Normierungen vorgeschlagen und diskutiert. Standards, die am Ende eine Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten, werden gültig für alle Organisationen, die danach eine so genannte ISO-Zertifizierung erhalten möchten. Sowohl die Mitarbeit im Normierungsprozess als auch die Erlangung der ISO-Zertifizierung sind kostenpflichtig und mit Gebühren an die ISO bzw. das DIN verbunden.
Die Inhalte der TCM-Normierung
Die Bereiche, in denen die TCM normiert werden soll, sind sehr grundlegend und umfassend. Dazu gehören zum Beispiel: TCM-Terminologie, Qualitätskontrolle und Testmethoden für chinesische Kräuter, TCM-Diagnose und Behandlung, TCM-Ausbildung, Sicherheit bei TCM-Dienstleistungen, Leistungserbringung und Qualitätskontrolle in der TCM, Qualitätsstandards für Arbeitsgeräte und Apparaturen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre will das TCM Technical Committee die folgenden Bereiche normiert haben: Terminologie der TCM, Terminologie der chinesischen Kräuterheilkunde, Nomenklatur und Ortsbestimmung der Akupunkturpunkte, Nomenklatur und Ortsbestimmung der Ohr-Akupunkturpunkte, Standardanwendungen für Moxibustion, Standardanwendungen für Kopfakupunktur und Standards für Akupunkturnadeln. Wie die inhaltliche Ausgestaltung der Standards im einzelnen aussehen soll, ist bisher nicht festgelegt, sondern wird im Laufe des Normierungsprozesses von den beteiligten Technical Committees der Länder definiert. Ohne Zweifel wird sie aber weit reichende Folgen auch für die Anwendung und Ausbildung der TCM in Deutschland haben.
Die Position der AGTCM
Um es direkt vorweg zu sagen: Auch die AGTCM und andere TCM-Organisationen in Deutschland bemühen sich seit Jahren um die Festlegung von Qualitätsstandards in Ausbildung und Anwendung der TCM. So hat die AGTCM für ihre sechs Kooperationsschulen längst Qualitätskriterien für die TCM-Ausbildung definiert. Eine weltweite Normierung im Sinne der ISO sieht die AGTCM jedoch kritisch. Die TCM wurde über Jahrtausende in China entwickelt und bot immer eine natürlich gewachsene Vielfalt an Therapie- und Diagnosemöglichkeiten. Und gerade das ermöglicht die individuelle Anpassung von Diagnostik und Therapie an jeden Patienten  eine der großen Stärken der TCM. „Eine internationale Normierung“, befürchtet Nils von Below, Erster Vorsitzender der AGTCM, „würde die kulturellen Unterschiede in der Anwendung der TCM nivellieren. Eine ISO-Norm würde die jeweiligen kulturellen Prägungen der Patienten und Therapeuten nicht mehr berücksichtigen. Damit ginge der einzigartige Charakter der TCM als individuell ausgerichtete Medizin verloren  und zwar eindeutig auf Kosten der Patienten und ihrer Behandelbarkeit.“
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Quelle: AGTCM
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Naturheilpraxis 07/2010