FACHFORUM

Gelber Enzian – Gentiana lutea L.

Von der Signatur zur therapeutischen Anwendung

von Margret Rupprecht

„Jede große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt.“ Dieses volkstümliche Sprichwort beschreibt ein Phänomen, das nicht nur für geografische Expeditionen oder – im übertragenen Sinn – für die logistische Bewältigung von Großprojekten gültig ist. Der Satz gilt auch für ein so selbstverständliches Geschehen wie die Nahrungsverarbeitung im Verdauungstrakt.

Vor einigen Jahren gab es einen Schlager, der die Zeile enthielt: „Ich will alles, ich will alles, und zwar sofort….“. So verständlich dieser Wunsch ist, so unrealistisch ist er auch. Alles auf einmal zu wollen, ist Ausdruck kindlichen Ungestüms. Es funktioniert nicht. Mit zunehmendem Alter macht man in der Regel die Erfahrung, dass alles Große nur dann erreichbar ist, wenn man es kleinschrittig angeht, die kleinen Schritte schätzen lernt und ihren Wert erkennt.
Laotse hat es im 63. Spruch seines Tao Te King mit der ihm eigenen Einfachheit und Klarheit so beschrieben:

Unternimm Schweres, solang es leicht ist.
Meistere das Grosse, solang es klein ist.
Denn alles Schwere entspringt aus Leichtem,
alles Große wächst aus Kleinstem.
So das Kleine meisternd,
tut der Weise Großes ohne Großtun.

In diesem Sinne verlangt die Meisterung des „Großen“ zuvor einen Prozess der aufspaltenden Zerteilung. Es braucht die Analyse, die Auflösung, was letztlich nichts anderes ist als eine Zerlegung und Zergliederung einer Einheit in eine Vielheit, eines Ganzen in seine Teile und einer Mischung in ihre Elemente. Auch die Psychoanalyse arbeitet in dieser Weise: Wird ein Mensch von überfordernden Seeleninhalten überschwemmt, hilft ihm die Therapie, das große Problem in kleine, bewältigbare zu zerlegen und es – kleinschrittig – zu lösen.

Aus der Psychosomatik ist die enge Verzahnung von körperlichen und seelischen Symptomen bekannt. An sich ist die Aufspaltung des Menschen in Leib und Seele ein philosophisches Konstrukt, das in der Realität gar nicht vorhanden ist. Der Mensch ist ein Ich in Form einer psychophysischen Einheit, in der jede körperliche Regung die Seele und jede seelische Regung den Leib mit beeinflusst. Das Verschmolzensein von „leibseelischen“ Prozessen wird besonders deutlich, wenn man die Verdauungskraft eines Menschen hinsichtlich der Verarbeitung von Nahrung, aber auch von emotionalen Erlebnissen betrachtet. Wer bewegende Ereignisse oder starke innere Bilder nicht gut verkraftet, dem „liegen sie auf dem Magen“, wie der Volksmund sagt. Oft weisen solche Menschen auch eine organische Verdauungsschwäche auf, vor allem bei der Eiweißverdauung. Denn Eiweiß, vor allem Fleisch, enthält Informationen aus dem Tierreich, z. B. von Säugetieren, deren Erbinformation auf der organischen Ebene der des Menschen nicht ganz unähnlich ist. Fleischverdauung braucht ein stabiles Ich und eine kraftvolle Differenzierungsfähigkeit zwischen dem, was eigen, und dem, was fremd ist, um eine dem Menschen so „nahestehende“ Nahrung angemessen zu verdauen. Diesen Prozess unterstützt der Gelbe Enzian, der bereits in der Pflanzengestalt seine Fähigkeit zum Zerkleinern, Aufspalten und Differenzieren zum Ausdruck bringt. Er ist eine Verdauungshilfe par excellence, unterstützt die Aufspaltung dicker Brocken jeder Art – sei es ein Steak oder eine Kündigung – und fördert den Verdauungsprozess von allem, was man gerne geschluckt hat oder aber gegen den eigenen Willen schlucken musste.

Durch das bekannte Lied „Blau, blau, blau blüht der Enzian ... .“ wird die Pflanze meist mit den Enzian-Arten assoziiert, deren Blüten die im Pflanzenreich so seltene reinblaue Blütenfarbe aufweisen, weshalb sie zum Symbol der Treue wurden.

Für den arzneilichen Einsatz verwendet man jedoch die gelbblütige Art Gentiana lutea, die mit einer Größe von bis zu 1,4 m zu den stattlicheren Gebirgspflanzen gehört. Die Pflanze treibt im Frühjahr aus einem Blattschopfbüschel hohe, stielrunde Stängel mit drei bis zehn gelbblütigen und blattachselständigen, trugdoldigen Scheinquirlen aus. Gentiana lutea wird bis zu sechzig Jahre alt und blüht erst ab dem zehnten Jahr. Die Blütezeit ist Juli bis August.

Signaturenlehre und Anthroposophische Medizin

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Gentiana lutea in der Medizingeschichte

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Pharmakologie

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Gentiana lutea-Präparate in der Praxis

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Literatur:
Adamus Lonicerus: Kreuterbuch. Neudruck des Hendel Verlages zu Naunhof bei Leipzig, 1934
Marianne Beuchert: Symbolik der Pflanzen. Insel Verlag, Frankfurt 2004
Ursel Bühring: Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde. Sonntag Verlag in MVS, Stuttgart 2005
Theodor Dingermann, Dieter Loew: Phyto-Pharmakologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003
Leonart Fuchs: New Kreutterbuch. Gedruckt zu Basel bei Michael Isengrin, 1543
Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin 1998
Laotse: Tao Te King (in der Übertragung von K. O Schmidt). Drei Eichen Verlag, Hammelburg 1996
Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Band 6. Mediamed Verlag, Ravensburg 1989
Roger Kalbermatten: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. AT Verlag, Aarau 2002
Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden. Band 2. dtv, München 1979
Wilhelm Pelikan: Heilpflanzenkunde I, Verlag am Goetheanum, Dornach 1999
Heinz-Hartmut Vogel: Wege der Heilmittelfindung. Band 1. Natur-Mensch-Medizin Verlags GmbH, Bad Boll 1994
Hildebert Wagner, Markus Wiesenauer: Phytotherapie. Phytopharmaka und pflanzliche Homöopathika. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart 2003
Rudolf Fritz Weiß: Lehrbuch der Phytotherapie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991
Max Wichtl: Teedrogen und Phytopharmaka. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002

Korrespondenzadresse:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 07/2010