INFEKTIONEN

Chronisch rezidivierende Infekte – ein circulus vitiosus

von Matthias Mertler

Einleitung:
Obwohl auch von schulmedizinischer Seite seit Jahren offiziell ein „sparsamerer“ bzw. gezielterer Einsatz von Antibiotika gefordert wird, hat sich die Zahl der so vorbehandelten Patienten mit chronischen oder chronisch rezidivierenden Atemwegserkrankungen in unserer naturheilkundlichen Praxis kontinuierlich erhöht.

Die Gründe dafür sind sicherlich recht vielschichtig:
Während wir bei den älteren Patienten häufig eine unzureichende Therapie der vielfach vorliegenden Grunderkrankungen feststellen (schlecht eingestellter Diabetes mell., nicht erkannte funktionelle Leberstörungen, Überdosierungen bei Fett- und Blutdrucksenkern, die zu Durchblutungsstörungen auch an den Atemwegen und somit verstärkter Infektanfälligkeit führen können), ist es bei den beruflich und familiär überforderten Patienten zwischen 30 und 60 Jahren meist eine Kombination aus Ernährungssünden, hektischer Lebensführung und Stress, der hochgradig immunsuppressiv wirkt.

Eine weitere, häufig vertretene Gruppe stellen Kleinkinder dar, deren Mütter mir oft folgendes erzählen: „unser Kinderarzt ist auch nicht so für Antibiotika – wir haben’s erst so probiert und beobachtet, dann ist es aber schlimmer geworden und dann hat er doch wieder ein Antibiotikum aufgeschrieben“

Dieses Beobachten (= Nichtstun!) ist durchaus als Behandlungsfehler zu diskutieren: die Wartezeit hätte man gut zur Konstitutionstherapie und Immunmodulation nutzen können.

Grundlagen:

Die Stärkung und Wiederherstellung der eigenen immunologischen Möglichkeiten muss im Vordergrund stehen – alle antibiotischen Therapieansätze sollten für den Notfall reserviert bleiben!

Schaut man sich das Immunsystem aus der Sicht des anfliegenden/angehusteten Erregers an, so trifft er zuerst auf die äußeren Barrieren wie Haut und Schleimhäute. Schafft er es, diese erste immunologische Hürde zu überwinden, sieht er sich mit der körpereigenen Abwehr konfrontiert, die im ersten unspezifischen Anlauf nach Art einer „Schnellfeuerwaffe“ mit Phagozyten, Komplementfaktoren, Opsonierung und Killerzellen u. U. starke Entzündungsreaktionen hervorrufen kann.

Damit das möglichst nicht noch einmal passiert, werden im Rahmen der spezifischen Abwehr innerhalb von Tagen bzw. Wochen die „Scharfschützen“ ausgebildet: Gedächtniszellen, T- und B-Lymphozyten und Antikörper, die gezielt und erregerspezifisch eingreifen.

Wie alle komplizierten Systeme ist auch das Immunsystem recht störanfällig.
Werden die oben genannten Mechanismen blockiert – z.B. durch voreilige/unsinnige Antibiotika-Therapie bei viralen Infekten, kann sich ein Circulus vitiosus entwickeln, der von ständigen, eher lästigen Nasennebenhöhlen-Problemen bis hin zu hochakuten Lungenentzündungen führen kann.

Die individuellen Rahmenbedingungen, die zu einer verstärkten Infektanfälligkeit führen können, sind sehr unterschiedlich: neben konstitutionellen „Anlageschwächen“ spielen bestehende Grunderkrankungen und entsprechende Prädispositionen eine wichtige Rolle.

Gerade bei Kleinkindern, bei denen die immunologische Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, sollten Therapiemaßnahmen erfolgen, die die Entwicklung des Immunsystems fördern und nicht behindern!

Jede Antibiotika-Therapie beeinträchtigt prinzipiell das Immunsystem – hier ist immer eine kritische Abwägung vor dem Einsatz vorzunehmen.

Wenn es dann sein muss – und das ist bei den meist viralen Atemwegsinfekten eben nicht der Fall – sollte das passende (= wirksame) Antibiotikum möglichst mit einem Antibiose-Test in vitro (Abstrich, Kultur) gezielt definiert werden.

Wird ein ansonsten wirkungsloses Mittel durch ein oder mehrere andere „auf Verdacht“ ersetzt, erhöht sich die Gefahr der Resistenz-Bildung durch verschiedenste Abwehrstrategien der Erreger (Zellmembranveränderungen, Bildung von „Abwehr-Enzymen“ u.a.).

...

Anschrift des Verfassers:
HP Matthias Mertler
Heilpraktiker
Lehrbeauftragter für Naturheilverfahren
und seit 1999 Präsidiumsmitglied und Bundesfachfortbildungsleiter im Freien Verband Deutscher Heilpraktiker e.V. (FVDH).


weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis

Naturheilpraxis 06/2010