Darmerkrankungen

Die Psychosomatik der Verdauungsorgane

Von Jochen Schleimer

Es ist vergleichsweise wenig bekannt, dass es in der abendländischen Medizin eine moralische Reihenfolge der einzelnen Körperorgane gibt. Diese Einteilung ist sehr alt, vermutlich älter als das Christentum, dem gerne die Urheberschaft dafür angelastet wird. Trotz des hohen Alters ist diese Einteilung nach wie vor brandaktuell und prägt die Organwahl für die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen entscheidend.

So galt es früher als unumstößlich, dass Magenschmerzen ihre Ursache in einem seelischen Hunger haben, der nicht gezeigt werden kann. In der Folge entwickelten sich ganze Lexika der organsprachlichen Zuordnung, denen jedoch gemein war, dass sie sich in der therapeutischen Wirklichkeit kaum bewährten.
Genauer sind da schon die Zuordnungen von Emotionen zu den einzelnen Organen (im Sinne der TCM), die Beschwerden der Verdauungsorgane bestimmten Emotionen zuordnet :s. Tabelle
Die Ursache für die Entstehung dieser Emotionen wurde in einer Stagnation der Lebenskraft Qi gesehen.
Warum es jedoch zu einer Stagnation kommt, wird in der Literatur weniger genau erklärt.
Auch die Erfolge einer homöopathischen Behandlung lassen sich durchaus sehen, wenngleich die Ursache der Erkrankung (weil unbekannt) im Dunkeln bleibt.
Es blieb dem amerikanischen Hypnosetherapeuten John G. Kappas in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vorbehalten, die Ursache der psychosomatischen Erkrankungen des Verdauungssystems, basierend auf den moraltheologischen Vorstellungen des Mittelalters wieder zu entdecken und medizinisch nutzbar zu machen.
Die spätantike, bzw. mittelalterliche Medizin teilt die Körperteile des Menschen, entsprechend ihrer moralischen Würden ein:

So gibt es die ehrenhaften Körperteile, die Partes honestes, bei denen es sich im Wesentlichen um den Kopf und die Kopforgane handelt.

Die Partes intermediae sind die Körperteile zwischen Kopf und Bauchnabel, also im Wesentlichen die Hals- und Brustorgane.
Die Partes inhonestes, die unehrenhaften Körperteile, sind im Wesentlichen die zwischen Bauchnabel und den Beinen, also die Abdominal- und Genitalorgane.

Wie sehr dieses Konzept in der Gegenwart noch wirksam ist, lässt sich leicht an den Kleiderordnungen in Badeanstalten, aber auch bei der freiwilligen Selbstkontrolle von Filmen oder aber an der eigenen Schamhaftigkeit ablesen.

Kappas formulierte, dass alle psychosomatischen Erkrankungen der sogenannten Partes inhonestes, also Erkrankungen der Verdauungsorgane und des Urogenitalsystems, ihre Ursache im Bereich der sexuellen Schuld oder Frustration haben. Dies galt früher, dies gilt besonders in unserer scheinbar aufgeklärten heutigen Zeit.
Die Ursachen für das Syndrom der sexuellen Schuld oder Frustration sieht Kappes entweder in sexueller Frustration (z. B. bei chronischer Anorgasmie) oder aber in sexueller Schuld entweder auf der Basis religiöser Gebote, bzw. Verbote, aber auch als schuldhafte Reaktion wegen ehelicher Untreue oder mangelndem sexuellen Leistungsvermögen.

Zur Symptomatologie des Syndroms gehören alle Befindlichkeitsstörungen im Bereich Magen, Leiste und des unteren Rückens, also Magenkrämpfe, Verstopfung, hyperazide Magenschleimhautentzündungen und Magengeschwüre ebenso wie Menstruationskrämpfe, Blutungsanomalien und Infektionen von Vagina und Blase, Erkrankungen der Prostata, der Hoden und Nebenhoden, aber auch chronisch rezidivierende Nierenbeckenentzündungen.
Die sich auf eine sexuelle Ätiologie beziehende Sichtweise ist zwar ungewöhnlich, die therapeutischen Erfolge bestätigen jedoch die einseitig anmutende Annahme.
Oftmals ist es einfach, die unmittelbare Ursache eines solchen Beschwerdebildes herauszufinden und gelegentlich reicht auch – vergleichbar der Psychoanalyse – die intellektuelle Bewusstwerdung des ursprünglichen Konflikts aus, um eine Heilung in die Wege zu leiten.

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Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Jochen Schleimer
Waltramstr. 3
81547 München

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Naturheilpraxis 05/2010