Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Die homöopathische Behandlung eines Kindes mit großer Unruhe und Schlafstörungen

von Ursula Körner

Zusammenfassung
Es wird die homöopathische Behandlung eines Kleinkindes vorgestellt, bei dem wohl eine sogenannte Sturzgeburt zu großer Unruhe und zu Schlafstörungen bei ansonsten außergewöhnlich guter Entwicklung geführt hatte.

Schlüsselwörter: Sturzgeburt, Schlafstörung, Unruhe, Arsenicum album, Homöopathie.


Erstanamnese am 29. April 2009:

Die Mutter erschien mit ihrer Tochter J. (geboren am 25.01.2007 mit einem Geburtsgewicht von 3550g und einer Körperlänge von 52 cm) zur Anamnese. Es handelte sich um ein zierliches, altersgemäß normal großes Mädchen, das überhaupt nicht schüchtern war. Die Mutter berichtete, dass ihr Kind zwar ihr Wunschkind sei, es mache aber die ganze Familie krank: Keine Nacht würde das Mädchen durchschlafen, dies sei seit der Geburt so. Mehrmals nachts würde die kleine J. aufschreien und aufwachen. Sie schreie dann „wie wahnsinnig“ – so die Wortwahl der Mutter – und sei nur schwer zu beruhigen. Mittlerweile ließe sie sich dadurch beruhigen, dass sie etwas Milch zu trinken bekäme. Das gehe nun schon seit dem ersten Lebenstag so und belaste natürlich den Familienfrieden sehr. Auch die Nachbarn hätten sich schon wegen der „markerschütternden“ Schreie beschwert.

Zu J.s Geburt berichtete die Mutter: Die Wehen hätten sehr plötzlich und gleich sehr stürmisch eingesetzt und J. sei dann genauso plötzlich und schnell auf die Welt gekommen. Weiter berichtete die Mutter, dies sei ihre dritte Schwangerschaft gewesen, vor zwei Jahren wäre die zweite Schwangerschaft durch eine Fehlgeburt beendet worden, daher hätten sie sich jetzt auf dieses Kind so besonders gefreut. Während der Schwangerschaft hätte sie Angst gehabt, dass auch diese Schwangerschaft nicht gut verlaufen würde, was aber nicht der Fall gewesen sei. Der Verlauf der Schwangerschaft sei unauffällig und die Geburt termingerecht gewesen. Sie mache sich jetzt Gedanken, ob sie ihre eigene Unruhe und Angst auf ihr ungeborenes Kind übertragen haben könnte, denn J. würde von Geburt an schreien.

Beim Stillen sei es sehr schwierig gewesen: J. habe nur trinken wollen, wenn sie aufgerichtet wurde. Sie habe dann sehr gierig getrunken. Unter diesen schwierigen Umständen sei sie nur zwei Monate gestillt und dann auf Flaschennahrung umgestellt worden. Auch heute sei zu beobachten, dass J. sehr schnell esse. Sie esse und trinke oft richtig gierig und hastig, beiße auch schon mal auf den Becherrand oder den Löffel. So wie sie ins Bettchen gelegt werden solle, schreie sie auch richtig laut und ängstlich. Die Mutter berichtete ferner, dass ihre kleine Tochter wohl sehr wenig Schlaf benötige, denn auch an einen Mittagsschlaf sei nicht zu denken.

Die motorische Entwicklung von J. sei sehr gut. Sie sei mit 5 Monaten gekrabbelt und mit 9 Monaten frei gelaufen. Sie habe eine ausgesprochen gute Sprachentwicklung und werde zweisprachig erzogen. Die Zahnung sei unauffällig. Sie sei durchgeimpft und habe nach den Impfungen keine für die Mutter erkennbaren Auswirkungen gehabt. Diese auffällige Unruhe sei – wie schon erwähnt – vom ersten Lebenstag an vorhanden und nicht durch Impfung oder andere spätere Störungen entstanden.

Die Mutter berichtete weiter, sie habe den Eindruck, J. würde aus Zorn schreien. Sie würde dann wegen Kleinigkeiten wütend, trete mit den Füßen auf und schlage mit dem Kopf gegen die Wand. Während dieser Zornanfälle stünde sie schreiend, aber ohne Tränen in den Augen da. Sie störe sich an Kleinigkeiten und hätte überhaupt keine Geduld. Als Beispiel erzählte die Mutter: Wenn ihre Schuhe nicht exakt ausgerichtet dastehen würden, käme mit Sicherheit solch ein Zornausbruch.

Ich konnte während der Anamnese folgendes beobachten: J. bekam von mir Buntstifte und Papier zum Malen, nach kurzen „Malversuchen“ begann J. damit, die Buntstifte an der Kante des Tischchens genau ausgerichtet und der Größe nach zu sortieren, was sie erstaunlich exakt machte.
Wohl versehentlich trat J. der Mutter auf den Fuß, diese sagte daraufhin „Au, das hat mir wehgetan“, worauf J. noch einmal nachtrat und dabei ihr Füßchen fest auf dem Fuß der Mutter drehte, was jetzt der Mutter natürlich richtig weh tat. Die Mutter berichtete daraufhin, dass solche Attacken häufiger vorkämen.

Das kleine Mädchen fiel mir durch seine bereits sehr ausgeprägte Persönlichkeit auf. Sie war sehr geschickt und geistig rege. Wenn sie wirklich einmal fallen würde, so berichtete die Mutter, würde J. nicht etwa weinen, wie man es von anderen Kindern kenne. Sie, die Mutter, habe den Eindruck, J. wäre sehr schmerzunempfindlich. Ihre Tochter habe auch keine Angst auf einen höheren Turm oder ein Klettergerüst zu steigen. Auffallend fände die Mutter es ebenso, dass J. überhaupt kein Schmusetuch oder Kuscheltier benötige.

Das Einschlafen abends funktioniere mittlerweile mit gewissen Ritualen. Die Tochter wolle immer ein kleines Licht im Zimmer haben und die Tür dürfe nie ganz geschlossen sein, denn sie müsse immer das Gefühl haben, nicht alleine zu sein. Wenn sie nachts schreie, sei sie auch heute noch durch etwas Milch zu beruhigen.

Anfangs seien die Schreiattacken 4-6 mal in jeder Nacht aufgetreten. Mittlerweile habe sich dies etwas gebessert und die 1-3 Attacken träten immer nach Mitternacht auf. Die Mutter habe das Gefühl, J. würde sich irgendwie erschrecken und dann voller Angst aufwachen. Weiter berichtete sie, dass sie das Gefühl habe, dass J., wenn sie schreie, auch wach und ansprechbar sei. Das bedeutet, dass es kein Cri encephalique im klassischen Sinn ist.
An körperlichen Symptomen war wenig zu eruieren.
J. sei ein Allesesser, möge allerdings kein Fleisch. Sie esse durchaus schon einmal schärfer gewürzte Speisen. Sie würde gern Milch trinken, auch nachts.

Seit etwa einem halben Jahr habe sie Hautausschläge um den Anus herum. Der Kinderarzt habe dies als Pilz diagnostiziert und eine Salbe verordnet, die allerdings keine Verbesserung gebracht hätte. Die Verdauung sei unauffällig. Seit Anfang des Jahres trage J. keine Windel mehr.

Noch eine Besonderheit war zu erfahren: Die Fußnägel seien krumm gewachsen und die Mutter könne diese nur nachts schneiden, wenn J. schlafe. Sonst könne die Mutter die Füße nicht einmal berühren, denn dann würde J. markerschütternd schreien, strampeln und versuchen, sich so zu wehren.

Das Haarewaschen würde auch immer zu heftigen Auseinandersetzungen Anlass geben, obwohl J. sonst gerne baden würde und nicht wasserscheu sei.
Familiäre Erkrankungen waren nicht bekannt.

Fallanalyse:

Symptomensammlung:

Repertorisation (s. Graphik in Naturheilpraxis 4/2010)

Arzneimittelwahl:

Behandlungsverlauf:

Schlussbemerkung

Auch wenn immer wieder die Auffassung vertreten wird, dass eine Causa sicher zum homöopathischen Arzneimittel führe, so zeigt dieses Fallbeispiel, dass es vor allem die individuelle Symptomatik ist, welche das homöopathische Arzneimittel bestimmt.
Eine Rubrik im Repertorium kann unseren Blick auf bestimmte, in diesem Zusammenhang bereits bewährte Arzneimittel lenken. Das kann von Fall zu Fall sehr hilfreich sein. Spätestens wenn zwei oder mehrere Arzneimittel in einer solchen Rubrik verzeichnet sind, muss das angezeigte Arzneimittel nach Ähnlichkeit ausgewählt werden. Ein weiterer Aspekt ist die Frage, wie sicher wir sein können, dass eine Causa wirklich die Beschwerden ausgelöst hat. Die Arzneiwahl nach Ähnlichkeit zu den aufgetretenen Symptomen ist entscheidend und die Frage nach der Causa in vielen Fällen zwar hilfreich aber eher sekundär.

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Literaturangaben:
Clarke, J. H.: Der neue Clarke. Eine Enzyklopädie für den homöopathischen Praktiker, Greifenberg: Hahnemann Institut 2005.
Seideneder, A.: Mitteldetails der homöopathischen Arzneimittel. Ruppichterroth: Similimum 2000.
Synthesis-Repertorium, Radar 10.0 (Version Neuzeit bis Pierre Schmidt).

Anschrift der Verfasserin:
Ursula Körner
Heilpraktikerin und Krankengymnastin
Waldstraße 67
64354 Reinheim

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Naturheilpraxis 04/2010