BERICHT

Faszien, Gorillas, Barfußläufer und Zähneknirschen

von Jutta Keller, München

Interdisziplinäre Erkenntnisse auf dem „1. Münchener Symposium für Haltungs- und Bewegungssteuerung“

Angekündigt hatte die Gesellschaft für Haltungs- und Bewegungsforschung e.V. (GHBF) ihr 1. Symposium unter dem Motto „Sensomotorik und Lokomotion – von der Statik zur Funktion“ in der Pressemitteilung wie folgt: „Wir müssen weg von der symptombezogenen, hin zur patientenzentrierten Medizin. Ärzte und Therapeuten sind aufgefordert, mit Interesse und Freude den ganzen Menschen anzuschauen. Dies gelingt leichter und besser, wenn wir von den anderen Disziplinen mehr wissen und verstehen. Das Symposium steht für diesen Ansatz und wird für die Weiterentwicklung der funktionellen Orthopädie und Bewegungsmedizin neue Signale und Impulse setzen“, so Dr. med. Gregor Pfaff, Präsident der GHBF und selbst Orthopäde. Die GHBF wurde im Dezember 2007 gegründet, um die Aktivitäten verschiedenster Disziplinen, die am Bewegungsapparat und an der aufrechten Haltung des Menschen forschen, fachübergreifend zu bündeln. Fachübergreifend bedeutet, dass Bewegungsmedizin sowohl die geistige Beweglichkeit, als auch die psychosomatischen, neuro-myo-faszial-skelettalen Ordnungsprinzipien beinhaltet.

Laut einer Veröffentlichung zur „Gesundheit in Deutschland“ gehören „Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems zu den häufigsten und kostenträchtigsten Leiden in Deutschland. Bezogen auf die Behandlungskosten rangieren sie unter allen Krankheitsgruppen an dritter Stelle. Zudem führen sie zu hohen volkswirtschaftlichen Folgekosten. So verursachen Muskel- und Skeletterkrankungen insgesamt die meisten Arbeitsunfähigkeitstage und sind bei Männern und Frauen der zweithäufigste Grund für gesundheitsbedingte Frühberentungen. 22 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer in Deutschland leiden an chronischen Rückenschmerzen.“ 1 An anderer Stelle nennt der Bericht als eine Ursache für diese Entwicklung: „Deutliche Defizite lassen sich weiterhin bei der körperlichen Aktivität feststellen. Obwohl sich bei einem Teil der Bevölkerung in den 1990er Jahren eine Steigerung des Aktivitätsniveaus beobachten ließ, bewegen sich viele Personen im Alltag zu wenig. Dies lässt sich unter anderem auf sitzende Tätigkeiten und eine veränderte Freizeitgestaltung mit starker Nutzung der Massenmedien zurückführen.“ 2

Sich bewegen bringt Segen

Meine Besuche als Patientin bei diversen Orthopäden waren nicht immer hilfreich gewesen. Ein Grund mehr, das Symposium zu besuchen und mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Zwei der angekündigten Referenten kannte ich bereits, mit ihren Ansätzen habe ich gute Erfahrungen gemacht: Mit dem Übungskurs „Der aufrechte Mensch“ von Dr. Robert Schleip erlangte ich 1998 nach einem Prolaps auf eigene Initiative meine Hals- und Kopfbeweglichkeit wieder zurück. Mit dem spiraldynamischen Konzept von Dr. Christian Larsen übe ich seit einiger Zeit selbständig.

So radelte ich also am 5. Dezember 2009 ins Langenscheidt Konferenzzentrum in München, wo das Symposium stattfand und sich Experten ganz unterschiedlicher Fachrichtungen – Ärzte, Neurologen, (Sport-)Wissenschaftler, Körper- und Physiotherapeuten, Osteopathen und Heilpraktiker – trafen und austauschten. Die Tür in die Hand gab mir – welch Überraschung – mein Optiker: „Was machst Du denn hier?“, fragte ich ihn perplex. Begeistert erzählte er mir von dem Vortrag des Augenarztes Dr. Fritz Gorzny über „Assoziierte Heterophorie – Ursache vieler motorischer und sensorischer Störungen“. Auch die „Aspekte der Hirnforschung im Kontext der sensomotorischen Integration“ von Prof. Dr. Harald Hampel, unter anderem Leiter des Alzheimer Gedächtniszentrums der Universität München, hatten ihn beeindruckt. Per Videokamera via Internet übermittelte Dr. Robert Schleip [FOTO] den rund 170 Teilnehmern seine „Neuesten Erkenntnisse der Faszienforschung“. Bekanntheit erlangte er 1978 als erster deutscher Rolfer, dann Feldenkrais-Lehrer, Diplom-Psychologe; Heilpraktiker und seit 2006 promovierter Dr. biol. hum. an der Universität Ulm, wo er am Institut für Angewandte Physiologie Direktor des „Fascia Research Projects“ ist: „Laut herkömmlicher schulmedizinischer Betrachtung dienen die muskulären Bindegewebe (Faszien) hauptsächlich als Verpackungsorgan sowie zur passiven Kraftübertragung der Muskeln. Neueste Forschungsergebnisse legen jedoch nahe, dass Faszien eine viel wichtigere und aktivere Rolle erfüllen. Hierzu gehören die Fähigkeit, sich unabhängig von den Muskeln verspannen und lösen zu können (Faszientonus) sowie die Bedeutung der Faszien als unser wichtigstes und reichhaltigstes Sinnesorgan für Propriozeption (Körperwahrnehmung).“

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Vorankündigung:
Das 2. Münchener Symposium für Haltungs- und Bewegungssteuerung findet am 26.11.2011 statt.

1 Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheit in Deutschland. Zusammenfassung, Robert Koch Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt, Berlin 2006, Seite 4
2 Ebenda, Seite 7
3 Die Ergebnisse sind im Detail nachzulesen unter www.backpaineurope.org und in Eur Spine J (2006) 15 (Suppl 2).

Copyright der Fotos: GHBF e.V.

Autorin
Jutta Keller
Journalistin M.A.
Tel: 089-36 10 19 48
contact: www.juttakeller.de

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Naturheilpraxis 02/2010