Die Mistel

Starke Vitalität und intensive Begrenzung - Die Mistel und ihr Leben in Extremen

von Ruth Mandera

Wenn wir in den Ländern nördlich der Alpen von „der Mistel“ sprechen, dann ist ganz klar, welche Pflanze wir meinen: es kann nur Viscum album sein, die „weißbeerige Mistel“. Im Sommer achten wir nicht auf sie, denn sie ist in der Regel im Laub des Wirtsbaums versteckt, aber im Winter kommt sie in unser Bewusstsein: wir entdecken sie hoch oben in kahlen Pappeln, in Weiden und in alten Apfelbäumen oder freuen uns über ihre beerenstrotzenden Büsche auf dem Weihnachtsmarkt1. Da sind sie endlich in unserer Reichweite, wir können die ledrige Konsistenz ihrer immergrünen Blätter und die sehr festen, ebenfalls immergrünen Stängel betasten. Nie gibt es lange durchgehende Triebe, an jedem Knoten streben immer zwei oder auch mehrere Ästchen strahlig auseinander. Wirkt der ganze Kugelbusch nicht wie aus gleichartigen Steckelementen zusammengesetzt? Die Blätter sitzen nur ganz außen, jeweils zu zweit einander gegenüber, zwischen ihnen hocken die kleinen gelblichen Blütenknospen. Wie bei Brennnessel, Hopfen oder Hanf sind die männlichen, d.h. die Pollen-Blüten, und die weiblichen, die Fruchtknoten-Blüten, auf unterschiedlichen Pflanzen angesiedelt. Zur Weihnachtszeit ist es noch schwierig, zu unterscheiden, ob die Knospen sich als männliche oder weibliche Blüten öffnen werden (sie blühen Ende Januar, im Februar und im März). Die weiblichen Mistelbüsche erkennt man aber leicht an ihren weißen Beeren: meist zu mehreren sitzen sie zwischen den Gabelästen, die keine Blätter mehr tragen. Pflücken Sie das nächste Mal eine Beere, schauen Sie sich an, dass man an ihren oberen Ende noch die Ansatzpunkte der Blütenkrone sieht. Dann drücken Sie so lange, bis der Inhalt unten herausflutscht. Der Mistelsame ist immer von einem weißlichen, schleimig-klebrigen Fruchtfleisch umgeben. Stammt der Mistelbusch von einem Laubbaum, dann zieht der glitschige, wasseranziehende Polysaccharid-Schleim des Fruchtfleisches lange Fäden. Wenn Sie den Schleim etwas ausquetschen, dann kann der Mistelsame an jedem beliebigen Gegenstand festgeklebt werden. Dies ist möglich, weil sich im Fruchtfleisch eben auch wasserabstoßende, klebrige Leimsubstanz befindet, das sogenannte Viscin (1). Es ist erstaunlich, wie fest und lange ein Mistelsame z.B. am Handrücken fixiert bleibt. In der Natur haften die Samen mit Hilfe des Viscins über Monate hinweg an den Ästen der Wirtsbäume 2.

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Anmerkungen:
1 Übrigens: je länger und dicker der abgesägte Ast ist, an dem die Mistel hängt, umso länger hält sie sich frisch. Abgeschnittene Mistelzweige können kein Wasser mehr aufnehmen.
2 Das lateinische Wort „viscum“ bedeutet „Vogelleim“. Bereits im Altertum benutzte man das Viscin der Mistel, um die flüchtigen Vögel zu fangen.
3 Auf die weiteren, höchst komplizierten Verschiebungen und Verwachsungen bei Trieben, Blättern und Blüten der Tollkirsche soll hier nicht eingegangen werden, Details in (5).
4 Angeboten werden Mistelpräparate von: Ahorn, Apfelbaum, Birke, Eiche, Esche, Linde, Mandelbaum, Pappel, Ulme, Weide, Weißdorn, sowie von Kiefer und Tanne.

Literatur
1 Urech, K., Polarität von Leim und Schleim in der Mistel, Der Merkurstab, 55. Jg., 2002, Heft 1, S. 22-28
2 Overstolz, A.; Iscador, Mistelpräparate aus der anthroposophisch erweiterten Krebsbehandlung, Verlag für GanzheitsMedizin, Basel, 2. Aufl. 2005
3 Polhill, R., Wiens, D., Mistletoes of Africa, The Royal Botanic Gardens, Kew, 1998
4 Barney, C.W., Hawksworth, F.G., Geils, B.W., Hosts of Viscum album, European Journal of Forest Pathology, 28, 1998, S. 187-208
5 Mandera, R., Die Nachtschattengewächse und das Bilsenkraut, Tycho de Brahe-Jahrbuch für Goetheanismus 1985, Verlag Freies Geistesleben
6 Steiner, R., Die Impulsierung des weltgeschichtlichen Geschehens durch geistige Mächte, Vortrag vom 22.3.1923, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1989
7 Urech, K., Giftprozesse der Mistel – eine Polarität, Mistilteinn 2, Hiscia, Verein für Krebsforschung, 2001, S. 44-56
8 Roemer, F., Iscucin® Kompendium, Zur Malignomtherapie mit den Mistelpräparaten der WALA, 3. Aufl. 2008
9 Wilkens, J., Misteltherapie – Differenzierte Anwendung der Mistel nach Wirtsbäumen, Sonntag Verlag, 2006

Anschrift der Verfasserin:
Ruth Mandera
Traubenweg 8
56566 Neuwied
E-Mail: ruth.mandera@onlinehome.de

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Naturheilpraxis 12/2009