Die Mistel

Omnia sanantem
Die „allesheilende“ Mistel in Phytotherapie und Komplexmittelhomöopathie

von Olaf Rippe

In der Adventszeit findet man auf Weihnachtsmärkten nicht nur Glühwein und Lebkuchen, sondern auch Misteln und andere immergrüne Pflanzen wie Stechpalme, Christrose, Tanne und Fichte. Seit Urzeiten werden sie als Mysterienpflanzen des Mitwinters kultisch verehrt, weil sich in ihnen die Lebenskraft der Sonne auf besondere Weise zeigt. Wenn ein Gewächs die raue und kalte Winterzeit scheinbar mühelos übersteht, dann muss eine solche Pflanze aber nicht nur eine magische Wirkung, sondern auch eine besondere Heilkraft haben. Dies gilt vor allem für die Mistel, die schon von den Kelten als Zauberpflanze verehrt wurde. Man nannte sie in alter Zeit „Omnia sanantem“ – die Allesheilende und als solche spielt sie bis heute in der Kräuterheilkunde und in der Homöopathie eine wichtige Rolle.

Kreuzholz und Gespensterrute – Die Magie der Mistel

Würde man alle Namen, die das Volk einer Pflanze zuspricht, auf ihre Bedeutung hin untersuchen, dann hätte man eine umfassende Vorstellung von ihren besonderen Heilkräften und Namen hat die Mistel viele: Lignum sancti crucis – heiliges Kreuzholz, Gespensterrute, Geisterzweig, Hexenbesen, Donnerbesen, Trudenfuß, auf französisch gui des druides (Druidenmistel) oder auf walisisch all-iach – Allheiler, sind nur einige Beispiele.

Auffallend ist der Bezug zur Alben- und Gespensterwelt. Es heißt, dass nur dort, wo Nachtmahre und Hexen Rast machen, Mistel wachsen können. Häufig wirken Orte, an denen Misteln gehäuft auftreten, unheimlich und beklemmend. Die Bäume wachsen knorrig und verdreht, Efeu rankt an ihnen empor und nicht selten kommt es an solchen Orten zu ungewöhnlichen Phänomenen, die dem einen Furcht einjagen, dem anderen aber Visionen einer magischen Welt eröffnen, denn die Mistel wächst an den Toren zur Anderswelt.

Nur Auserwählte und Götter durften sich in alter Zeit der Macht der Mistel bedienen. Die Göttin Persephone öffnet mit einem Mistelzweig die Tore zum Hades. Die Mistel „ist die Pflanze des Übergangs. Ihr „goldener Zweig“ ermöglicht Aeneas die Schwelle zur Unterwelt zu überqueren.
Sie begleitet die Sonnenwenden. Bekannt ist die Geschichte von Baldur, dem Sonnengott, der zur Mittsommerzeit durch einen Pfeil aus Mistelholz den Tod findet. Zur Wintersonnenwende dagegen, in der dunkelsten Nacht, wenn die Mistel noch grün im kahlen Geäst hängt, begleitet sie die Wiedergeburt des Sonnengottes aus dem Schoß der Erdenmutter“ (Storl, 2009).

Plinius berichtet in seiner Naturgeschichte davon, dass die Druiden zur Wintersonnenwende Misteln ernteten und dies nur unter besonderen Ritualen und Opfergaben. Die Pflanze durfte dabei nicht den Boden berühren, sonst verlor sie ihre Zauberkraft. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass man heute weiß, dass in der Mistel bestimmte Wirkstoffe in dieser Zeit ihr Maximum erreichen. Außerdem fruchtet die Mistel entgegen den Rhythmen der Natur im kalten Winter, was nach altem Glauben ein Zeichen für ihre Zauberkraft ist.

Trotz eines eigenen Chlorophyllstoffwechsels ist sie ein Halbschmarotzer, daher haben Misteln je nach Wirtsbaum etwas unterschiedliche Eigenschaften. Doch die Wirkung wird auch durch den Genius loci des Wachstumsortes beeinflusst. Natursichtige und Rutengänger spüren diese andere Art der Energie und sprechen von Störzonen oder Reizstreifen. Für den Menschen ist ein längerer Aufenthalt an solchen Orten, z.B. zum Wohnen, krankmachend, weil die Kraft des Ortes nicht in einer harmonischen Resonanz zum Menschenwesen steht. Dies erklärt auch die häufigen Gespenstergeschichten, die von solchen Orten überliefert sind.

Misteln wachsen langsam und werden sehr alt. Erst nach 7 Jahren gewinnt sie ihre kugelförmige Gestalt. Auch dies ist eine wichtige Entsprechung, denn alle 7 Jahre beginnt auch für den Menschen ein neuer Lebensabschnitt (Saturnzyklen – alle sieben Jahre steht der laufende Saturn in einem Spannungswinkel zum Geburtssaturn).

„Der regelmäßige, zweiteilige Wuchs der Pflanze, der dazu führt, dass die Mistelzweige sich in auffallender Weise kreuzen, war nach christlichem Glauben etwas besonders heiliges“ (Seligmann). In der Signaturenlehre gilt dies als Hinweis auf eine „schutzmagische“ Wirkung. Amulette aus Mistelholz gelten als dämonenfeindlich und in Silber gefasst dient die Mistel zur Abwehr des Bösen und von Nachtmahren. Gegen Hexen und böse Geister und weil sie Glück ins Haus bringt, wird die Mistel bis heute über die Haustür, im Haus oder im Stall aufgehängt.

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Literaturempfehlungen
Bächtold-Stäubli: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Walter de Gruyter 1987.
Höfler, Max: Volksmedizinische Botanik der Germanen; Verlag für Wissenschaft u. Bildung, 1990
Jänicke, Christof u.a.: Handbuch Phytotherapie; Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2003.
Kaufhold, Peter: Phytomagister; Pflaum Verlag 2002
Madaus, Gerhard: Lehrbuch der biologischen Heilmittel; Mediamed Verlag 1990.
Madejsky, Margret: Lexikon der Frauenkräuter; AT-Verlag 2008.
Marzell, Heinrich: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen; S. Hirzel Verlag 1979
Mezger, Julius: Gesichtete homöopathische Arzneimittellehre; Haug-Verlag 2005
Pelikan, Wilhelm: Heilpflanzenkunde; Verlag Goetheanum 1978.
Rippe, Olaf / Madejsky, Margret: Kräuterkunde des Paracelsus; AT-Verlag 2009
Rippe, Olaf: Wege aus der Krise – Behandlung psychischer Extremsituationen mit Solunaten; Zeitschrift Naturheilpraxis; 05/2008, Pflaum Verlag.
Seligmann, Siegfried: Die magischen Heil- und Schutzmittel aus der belebten Natur; Reimer 1996.
Storl, Wolf-Dieter: Die Seele der Pflanzen; Kosmos Verlag 2009.
Treben, Maria: Gesundheit aus der Apotheke Gottes; Ennsthaler Verlag 1980.

Bedanken möchte ich mich bei Roland Andre, Inhaber der Lindenapotheke in Pfaffenhofen, der mir bei der Erstellung des Artikels eine große Hilfe war.

Unter www.natura-naturans.de finden sich weitere Veröffentlichungen des Autors und ein umfangreiches Weiterbildungsangebot zum Thema „Traditionelle Abendländische Medizin“; Gesamtprogramm beim Verfasser

Anschrift des Verfassers
Olaf Rippe, Heilpraktiker
Praxis für Traditionelle Abendländische Medizin
Barerstr. 48, 80799 München
Tel.: 089/2725902
Mail: o.rippe@natura-naturans.de
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Naturheilpraxis 12/2009