FACHFORUM

Biomedizin im globalen Wandel

von Hanspeter Dvorak

Das Tempo der Veränderungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt, wird durch die Globalisierung offensichtlich noch beschleunigt, sodass Anpassungs- und Steuerungsmaßnahmen, noch ehe sie beschlossen und wirksam werden, bereits überholt sein können.
Die sich anbahnende Klimakatastrophe und die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise führen in eine noch nie da gewesene allgemeine Umbruchphase mit beispiellosen globalen Wandel in nahezu allen Bereichen von Kultur und Natur.
Besonders hart getroffen werden die Bereiche, in denen frühzeitige Anpassungen an schon lange erkennbare Entwicklungen unterblieben sind, wie z.B. in der Geld- und Energiewirtschaft oder im Verkehrs- und Gesundheitswesen.

1. Illichs aktuelle Kritik der etablierten Medizin

Die Krise im Gesundheitswesen schwelt schon lange und wurde bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts thematisiert und analysiert. Damals waren weder Klimawandel noch Finanz- und Wirtschaftskrise im Fokus.
Die wohl gründlichste und brillanteste kritische Analyse des Medizinbetriebes lieferte Ivan Illich schon 1975 mit seinem bis heute aktuellen Buch: „Die Enteignung der Gesundheit“, das ab 1977 den Titel: „Die Nemesis der Medizin“ erhielt.
Damals zwangen Finanz- und Wirtschaftslage allerdings noch zu keiner grundlegenden Reform des etablierten Medizinbetriebes. Heute drohen die hohen Kosten der Biomedizin unbezahlbar zu werden, zumindest für breite Schichten der Bevölkerung.

Illich leitet sein Buch wie folgt ein:
„Die etablierte Medizin hat sich zu einer ernsten Gefahr für die Gesundheit entwickelt...Der Name dieser neuen Epidemie ist Iatrogenesis; hergeleitet von iatros, dem griechischen Wort für Arzt, und genesis, Ursprung...Die heutige Krise der Medizin wird es dem Laien vielleicht ermöglichen, selbst wieder die Kontrolle über die medizinischen Erkenntnisse, Theorien und Entscheidungsprozesse zu erlangen...Die heutigen Medizinsysteme haben die Grenzen dessen, was erträglich ist, bereits überschritten...Solche Medizin ist lediglich ein Mittel, um diejenigen, die an der Gesellschaft krank und ihrer überdrüssig sind, zu überzeugen, dass sie selbst die Kranken, Ohnmächtigen und technischer Reparatur Bedürftigen sind.“
Für Illich ist klar, dass die Umwelt die entscheidende Determinante des Gesundheitszustandes jeder Bevölkerung ist. Er schließt dies aus der Medizingeographie, der Geschichte der Krankheiten und aus der medizinischen Anthropologie, da ihm die heutigen Erkenntnisse der Molekulargenetik, Zell- und Neurobiologie noch nicht zur Verfügung standen.
Die Auffassung Illichs, von Krankheit als eine sozial erzeugte Realität, wird heute durch die neuesten Forschungsergebnisse der Biologie untermauert.
In seiner geschichtlichen Betrachtung der Medizin zeigt Illich auf, in welchen Maß wir durch Erziehung und gesellschaftliche Entwicklungen zu Gefangenen einer biomedizinischen Ideologie wurden.
Die Klassifikation der Krankheiten – die Nosologie – führte zu einer Sprache, die der Patient meist nicht versteht. Das von der Gesellschaft produzierte Leiden des Patienten wird vom Arzt mit meist unverständlichen Namen belegt. Als Diagnose verliert das Leiden seine Einmaligkeit, was dazu führt, dass individuelles Leiden zum Rohmaterial eines Betriebes gemacht wird und statt Mitgefühl mit dem Patienten, beim Arzt eine eher unbeteiligte Betrachtung der Symptome hervorruft.
Die Diagnose einer Krankheit, die den Patienten schicksalhaft „befällt“, spricht ihn weitgehend frei von der Verantwortung für seinen Zustand. Statt den Defekt in der Lebensweise des Patienten zu zeigen, wird die biologische Störung als Defekt der Gesundheit erklärt. Illich meint, die Menschen würden gegen eine krankmachende Umwelt revoltieren, wenn die Medizin die krankmachenden Belastungen der Umwelt für die Gesundheitsstörungen aufzeigen würde, statt Krankheiten als Ursache zu diagnostizieren.
Illich weist auch auf Nebenwirkungen biomedizinischer Interventionen hin, die nicht durch Pillen oder technische Eingriffe hervorgerufen werden. Die biomedizinische Ideologie bezeichnet er als Kranken-Religion, in der Rituale zelebriert werden, die alle Hoffnung des Patienten auf die Wissenschaft und deren Funktionäre lenken, statt die Kräfte der Selbstheilung zu mobilisieren und ihn zu ermutigen, nach einer Sinngebung seines Leidens zu suchen oder sich an einem bewundernswerten Menschen, der gelernt hat, sein Leiden zu akzeptieren, ein Beispiel zu nehmen.

2. Abschied von Dogmen der Biologie
3. Beziehungen und Lebensweise steuern unsere Gene
4. Medikamenten-Verträglichkeitstest
5. Schlussbemerkung

...

Literatur:
Bauer, J. (2004): Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. München.
Bauer, J. (2003): Arzneimittelunverträglichkeit – Wie man die Betroffenen herausfischt. Die Identifikation von Patienten mit verminderter Entgiftungsfunktion der Leber infolge Polymorphismen des P 450 – Enzymsystems. Deutsches Ärzteblatt, 100 : A 1654.
Bauer, J. (2008): Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus. Hamburg.
Crick, F. (1970): Central Dogma of Molecular Biology. Nature, 227 : 561.
Dawkins, R. (1976): Das egoistische Gen. Reinbek.
Ganten, D., et al. Hrsg. (2008): Was ist der Mensch? Berlin.
Illich, I. (1977/2007 5. Aufl.): Die Nemesis der Medizin. Die Kritik der Medikalisierung des Lebens. München.
Kutschera, U. und Niklas, K.J. (2004): The modern theory of biological evolution: An expanded synthesis. Naturwissenschaften, 91 : 255.
Morris, S.C. (2008): Jenseits des Zufalls. Wir Menschen im einsamen Universum. Berlin.
Raup, D.M. und Sepkoski, J.J. (1984): Periodicity of extinctions in the geologic past. PNAS, 81 : 801.
Rawls, J. (2006): Gerechtigkeit als Fairness. Frankfurt am Main.
Storch, V., et al. (2007): Evolutionsbiologie. Berlin.

Anschrift des Verfassers:
Dipl.- Psych. Hanspeter Dvorak
Valentin-Kindlin-Str. 15
86899 Landsberg/Lech

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Naturheilpraxis 11/2009