MEDIZINGESCHICHTE

Trotula, eine große Ärztin und Gelehrte

von Brigitte Nusser

Frauen waren seit jeher und auch im Mittelalter als Heilerinnen und Wissenschaftlerinnen tätig. Besonders im Bereich der Geburtshilfe und Frauenheilkunde waren es in alten Zeiten stets die Frauen die halfen, heilten, „operierten“ und Beistand leisteten. Die Medizingeschichte hat stets „galant“ versucht eben diese Frauen nicht näher zu erforschen und bis auf wenige Ausnahmen ihr Wissen und ihre Geschichte nicht niederzuschreiben und zu überliefern. Eine dieser großen Ausnahmen stellt Trotula von Salerno dar. Bis heute gibt ihre Existenz Rätsel auf und wird durch widersprüchliche Angaben in Zweifel gezogen, aber ihre Schriften waren das ganze Mittelalert hindurch besonders im Bereich der Frauenheilkunde einzigartig und bahnbrechend.

Trotula di Ruggerio gehörte zu den „Mulieres Salernitanea“, den Frauen von Salerno, die im Volk aber auch unter den Gelehrten einen hervorragenden Ruf hatten. Sie selbst allerdings gilt als die berühmteste unter ihnen.

Die Schule von Salerno stellt bis heute eine der wichtigsten Offenbarungen des wissenschaftlichen Geistes im Mittelalter dar, dennoch blieb sie bis vor etwa 150 Jahren fast völlig vergessen. Einige Schriften waren den Fachleuten wohl bekannt, doch reichten diese wenigen und unvollständigen Dokumente nicht aus um die tatsächliche Bedeutung dieser medizinischen Einrichtung erkennen zu lassen. Es war die Arbeit einzelner Historiker, wie Prof. Henschel (1790-1856), Charles Victor Daremberg (1817-1872), Piero Giacosa (1853-1928) und vor allem Salvatore de Renzi (1800-1872) und seinem fünfbändigen Werk „Collectio Salernitana“, die die Wiederentdeckung der Schule von Salerno ermöglichten.

Wann und wie sich die in Salerno wirkenden Ärzte anfangs zu einem Verband, den „Collegium hippocraticum“ vereinigten, ist unbekannt. Auch weiß man nichts näheres über die Entstehung der medizinischen Lehranstalt. Dokumente beweisen aber, dass Männer und Frauen, Priester und Juden zusammen gearbeitet und gewirkt haben. Frauen die als Ärztin tätig waren oder in der Fakultät gelehrt haben stellten keine Ausnahme dar und wurden den Männern gegenüber ebenbürtig behandelt.

Trotula stellte die größte Gelehrte unter den Frauen und Männern dar. Geboren wurde sie wohl 1097 und war der angesehenen und wohlhabenden Familie Ruggiero zugehörig. Nach Renzi war sie mit dem Arzt Johannes Platearius verheiratet und Mutter von Johannes dem jüngeren und dem berühmten medizinischen Schriftsteller Matthäus Platearius.

Die Bemerkung des Odericus Vitalis, dass der deutsche Gelehrte Mala Corona bei seinem Aufenthalt in Salerno, um die Mitte des 11.Jahrhunderts, dort nur einen Menschen und zwar eine Frau gefunden habe, der ihm in der Diskussion über naturwissenschaftliche Fragen standzuhalten vermochte, scheint sich auf Trotula zu beziehen. Und unter den sieben Autoren, deren Lehren die im 12. Jahrhundert veröffentlichte „Enzyklopädie“ der Salernitaner Medizin „De aegritudinum curatione“ wiedergibt, findet sich auch Trotula. Ihr Ruf reichte so weit, dass noch im 15. Jahrhundert der Leibarzt des Herzogs Sigismundus von Bayern, Johann Hartlieb, die Schriften der Trotula für die Herzogin bearbeitete und herausgab.

Sie war nicht nur als praktische Ärztin tätig, sondern schrieb auch zahlreiche Abhandlungen, die medizinische Enzyklopädie „Practica Brevis“ beispielsweise wohl sogar gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Söhnen. Ihr größtes und wichtigstes Werk war aber „Passionibus Mulierum Curandorum“, auch Trotula Major genannt, eine Abhandlung über Frauenkrankheiten und das erste jemals veröffentlichte Lehrbuch der Gynäkologie überhaupt.

Später folgte noch eine Schrift über Hautkrankheiten und Kosmetika, „De Ornatu Mulierum“, auch Trotula Minor genannt, die später in den Trotula Major eingefügt wurde.

Ihre Schriften sind praktisch Ratgeber, voller Informationen über den weiblichen Körper, einfachen Rezepten, Hinweisen und Ratschlägen. Nie schreibt sie dogmatisch oder arrogant. Vielmehr erkennt man die Absicht, den Geschlechtsgenossinnen helfen zu wollen und da Beistand zu leisten wo Frauen sich gesundheitlich überfordert fühlen oder Rat und Hilfe brauchen.

In der Einleitung von „Passionibus Mulierum“ erklärt sie zunächst die gesundheitlichen Unterschiede von Mann und Frau. Sie hält die Frau für schwächer und gesundheitlich anfälliger. In Ihren Augen ist der Mann der stärkere und wertvollere Mensch und die Frau die schwächere Person und dem Mann untergeordnet.: „..., so dass die stärkeren Eigenschaften, das ist die Hitze und die Trockenheit, den Mann beherrschen sollten, der die stärkere und ehrenwertere Person ist, während die schwächeren Eigenschaften, das bedeutet die Kälte und die Feuchtigkeit, die schwächere Person beherrschen sollten, das ist die Frau. Und Gott tat dies so, dass mit seinen stärkeren Eigenschaften der Mann schließlich seine Pflicht in die Frau ergießen kann, genau wie ein Same ausgesät wird in seinem vorgesehenen Feld, und das die Frau durch ihre schwächeren Eigenschaften, wie gemacht sich dem Mann zu unterwerfen, schließlich den Samen im Schoß der Natur gedeihen lässt.“

Sie wusste um die Zurückhaltung und die Scham welche die Frauen damals besaßen, wenn es darum ging ärztlichen Rat einholen zu müssen bei gynäkologischen Erkrankungen und fühlt sich persönlich angesprochen Hilfe zu leisten:„Demzufolge, weil Frauen von Natur aus schwächer sind als Männer und weil sie häufig Kinder gebären, treten Krankheiten besonders um die Organe die der Arbeit der Natur gewidmet sind hervor. Darüber hinaus würden es Frauen auf Grund ihrer Zerbrechlichkeit, aus Scham und Peinlichkeit nicht wagen ihre Qualen (die an einem so intimen Ort geschehen)einem Arzt zu offenbaren. Daher, wegen ihrem Unglück, das bedauert werden muss und besonders wegen dem Einfluss einer ganz bestimmten Frau, die mein Herz bewegt hat, wurde ich dazu getrieben eine deutliche Erklärung hinsichtlich ihrer Krankheiten abzugeben und somit ihrer Gesundheit förderlich zu sein.“

Trotula erklärt die Ganzheitlichkeit bei Frauenerkrankungen. Sie erwähnt die Wichtigkeit von Sauberkeit, ausreichender Ernährung (in Maßen, nicht zuviel und nicht zu wenig), Bewegung und die Eliminierung von Stressfaktoren. Sie erklärt wie sich solche Faktoren auf die Gesundheit der Frauen, insbesondere auf die Menses und die Schwangerschaft auswirken können. Stets sind ihre Ratschläge und Erklärungen mit praktischen Rezepten und Anregungen versehen. Trotula legt großen Wert auf physikalische Anwendungen und Massagen als unterstützende Maßnahmen. Auch erkennt sie dass unerfüllter Kinderwunsch oftmals von Seiten des Mannes herrührt. Sie meint die fruchtbaren Tage zu kennen und gibt natürlich, für diese Zeit typisch, auch fragwürdige Ratschläge: „Wenn eine Frau wünscht schwanger zu werden, nehme man die Hoden eines unkastrierten männlichen Schweins oder eines Wildschweins und trocknet diese und lässt einen Puder herstellen und lässt die Frau diesen nach Beendigung der Regelblutung trinken. Dann lasst sie mit ihrem Ehemann kohabitieren und sie wird empfangen.“

Es ist selbst für die Jahrhunderte danach außergewöhnlich, wie selbstverständlich und praktisch Trotula mit gynäkologischen Themen umgeht. Sie erklärt beispielsweise wie man einen Dammriss verhindern kann und chirurgisch behandelt:“ Es gibt Frauen bei denen Probleme während der Geburt entstehen und das kommt vom Versagen derjenigen die ihr beistehen: sozusagen bleibt es der Frau verborgen. Bei diesen Frauen öffnet sich die Vagina und der Anus zu einem gemeinsamen Weg. Wo dann bei diesen Frauen die Gebärmutter herauskommt und verhärtet. Wir leisten Hilfe bei solchen Frauen wenn wir die Gebärmutter erneut in die richtige Position bringen....Danach nähen wir die Verletzung zwischen Anus und Vagina durch drei bis vier Stiche mit einem seidenen Faden.“

An einer anderen Stelle des Textes gibt sie Anweisungen wie die Hebamme bei falscher Kindslage mit den richtigen Handgriffen eingreifen kann. Dies alles wird in einem Ton erläutert der durch seine natürliche Selbstverständlichkeit den Frauen Hemmungen nimmt und damit als Hilfestellung dient: „Wenn das Kind nicht auf die Art und Weise heraus kommt wie es sollte, also wenn die Beine oder Arme zuerst kommen, lasst eine Hebamme mit einer kleinen, weichen und dem Absud aus Leinsamen und Bockshornklee angefeuchteten Hand helfen und lasst sie das Kind zurückschieben und es in seine korrekte Stellung bringen.“

Trotula geht auch auf Säuglingspflege, Pädiatrie und Allgemeinmedizin ein. Themen wie Parasitenbefall oder Warzen werden ebenso wenig ausgelassen wie Zahnschmerzen oder kosmetische Probleme

Und das sie eine hervorragende Praktikerin war zeigt beispielsweise ein Zitat Trotulas aus dem “Collectio Salernitana“ von Savatore di Renzi: „Wenn du beim Patienten ankommst, dann frage ihn wo die Schmerzen sind. Fasse seine Haut an und fühle ob er Fieber hat, frag ob es ihn friert und wann die Schmerzen begannen und ob es in der Nacht am schlimmsten ist. Beachte seinen Gesichtsausdruck, betaste seinen Bauch und frage ob er regelmäßig Urin lassen kann, betrachte den Urin genau, untersuche den Körper nach Auffälligkeiten und falls du nichts findest, frag ob er schon bei anderen Ärzten war und was ihre Diagnose war. Frag ob er ähnliches schon erlebt hat und wann. Wenn die Ursache seiner Schmerzen gefunden wurde, wird es einfach sein die entsprechende Behandlung einzuleiten.“

Der Passionibus Mulierum stellte bis in das 16.Jahrhundert ein Standartwerk an den medizinischen Fakultäten dar. Bereits einige hundert Jahre vorher gingen ihre Schriften allerdings schon in die Volksmedizin ein, wurden abgeschrieben, kopiert, gekürzt oder verfälscht. Somit entstanden Zweifel an ihrer Person und an ihren Werk. Bereits im 13. Jahrhundert verfälschte eine Ärztin aus Salerno das Manuskript und nahm viel von der Authentizität. Diese Schrift diente einigen Autoren als Vorlage und wurde ins Deutsche, Englische und Französische übersetzt. Ihr Name wurde deformiert zu „Trottula“, „Tortula“ oder gar männlich zu „Trottus“ Es entstanden auch Kopien ihrer Schrift die unter dem Namen ihres Mannes, Johannes Platearius veröffentlicht wurden.

Die erste publizierte Auflage des „Passionibus Mulierum“ erschien 1544 in Straßburg. Diese Ausgabe enthielt auch einige Auszüge der Schriften von Hildegard von Bingen. Eine weitere Ausgabe des Trotula Major erschien 1554 bei Victorius Faventius, die jedoch, so gestand der Autor, aufgearbeitet und verfremdet wurde. Im 16.Jahrhundert ähnelten sich die Texte und Schriften sehr, bis auf eine Edition von Kaspar Wolffin aus dem Jahre 1566, in der er ohne Erklärung das Werk Trotulas , dem römischen Hausarzt Eros Juliae zuschrieb. Zwar schrieb Juliae über Frauenheilkunde und Hautpflege, dennoch ist diese Verwechslung nicht zu erklären. Das Problem ist wie immer in der Wissenschaft, dass Autoren Wissen übernehmen, bzw. abschreiben, was in den darauffolgenden Ausgaben zu Verwirrung und Verfälschung führt. Die Folge war, das Trotulas Existenz und ihr Werk in der Medizingeschichte immer wieder diskutiert wurde. Zwar war ihre Autorenschaft beim Passionibus Mulierum bis zum Anfang des 20.Jahrhundert wissenschaftlich unbestritten, doch entstanden viele Legenden und Fragen um ihre Person.

Es war der berühmte Medizinhistoriker Karl Sudhoff (1853-1938) der Anfang des 20. Jahrhunderts generell die Frauen von Salerno und insbesondere die Existenz Trotulas in Frage stellte.

Er sprach diesen Frauen die Kompetenz in ärztlichen Fragen gänzlich ab und hielt sie für nicht mehr als Hebammen und Krankenschwestern ergo konnten sie laut Sudhoff auch keine geburtshilflichen Abhandlungen verfasst haben. Deshalb meint Sudhoff dass der „Passionibus Mulierum“ keinesfalls von einer Frau verfasst werden konnte und der Name „Trotula“ deshalb verwendet wurde da er einen gängigen Frauennamen in dieser Zeit darstellte.

Auch wenn Sudhoff viel für die Disziplin der Medizingeschichte geleistet hat, so mag man ihm eine bestimmte Engstirnigkeit vorwerfen, die sich auch in seiner nationalsozialistischen Gesinnung im dritten Reich widergespiegelt hat.

Charles Singer (1876-1960), ein ebenfalls geachteter Historiker, trieb es noch weiter. Er kam zu der Annahme die Schrift sei als Gynäkologie getarnte Pornographie und Trottus habe ihr lediglich einen Frauennamen gegeben, sozusagen zu Tarnungszwecken.

Wahrscheinlich waren die etwas zu vergeistigten Medizinhistoriker unter anderen von Kapitel 15 schockiert, in dem Trotula die „Methode, die Vulva zu verengen, so dass eine verführte Frau für eine Jungfrau gehalten werden kann“ erörtert.

Abschließend lässt sich jedoch behaupten, das der Verdienst Trotulas im Bereich der Gynäkologie herausragend ist. Es ist ihr Verdienst, dass ein Gebiet das jahrhundertelang ganz den Hebammen überlassen war, zu einer medizinischen Disziplin erhoben zu haben.

Auch wenn ihre Person immer wieder in Frage gestellt wird, so ist doch zweifellos bewiesen, dass Frauen im italienischen Mittelalter voll anerkannte und akzeptierte Mitglieder der medizinischen Fakultät waren. Es sollte uns zu denken geben, dass im Altertum und Mittelalter zahlreiche Männer hervorgingen, deren Existenz weit weniger gesichert ist als die von Trotula und deren Schriften und Existenz niemals in Frage gestellt wurde. So müssen wir den bedauernswerten Rückschluss zulassen das viel von den Spekulationen über ihr Wirken und Schaffen deshalb entstanden ist weil sie eine Frau war.

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Anschrift der Verfasserin:
Dr. med. Brigitte Nusser
Reinweg 1
82031 Grünwald



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Naturheilpraxis 08/2009