Begleittherapien

Salutogenese: Gesundheit aus eigener Kraft

Von Frank Meyer

Krankheiten entstehen, wenn richtige Prozesse zur falschen Zeit am falschen Ort im Organismus ablaufen. Wer das weiß, kann oft frühzeitig vorbeugen.
Der Blickwechsel von dem, was Menschen krank macht, auf das, was sie gesund erhält, gilt als richtungsweisend in der Medizin. Denn er eröffnet einen Zugang zu den Ressourcen des Menschen, die ihn vor Erkrankungen bewahren. Der Wechsel von einem pathogenen zu einem salutogenen Verständnis von Gesundheit hilft selbst bei den großen Problemen der heutigen Medizin weiter. Etwa bei Stress.

Es gibt heute kaum einen Menschen, der nicht von seinem Stress redet. Wie das Wetter scheint Stress zu unserem Alltag zu gehören, ein allgegenwärtiges, unvermeidliches Phänomen. Bemerkenswert ist dabei, dass das Thema „Stress“ erst vor ca. 90 Jahren aufgekommen ist. Hatten die Menschen davor ein Leben, das wir heute als stressfrei bezeichnen würden? Sicher nicht. Ohne Zweifel hatten auch die Sklaven in Ägypten oder Griechenland, die Erbauer der mittelalterlichen Kathedralen enormen Stress. Dennoch ist Stress erst seit der Moderne ein Thema – in einer Zeit, in der wir Menschen mehr Aufmerksamkeit als je zuvor auf unser Befinden und unsere Gesundheit richten. Stress ist dabei unser ständiger Begleiter – ein Doppelgänger, den wir nicht abschütteln können, sondern mit dem wir uns ein Leben lang arrangieren müssen. Ursprünglich kommt der Begriff „Stress“ aus den Werkstoffwissenschaften und gilt als Maß für die Spannung, unter der ein Werkstück steht. In die Medizin eingeführt wurde er erst im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts.

„Stress ist eine unspezifische Reaktion des Körpers auf jegliche Anforderung“, lautet die klassische Definition durch den kanadischen Physiologen und Begründer der Stress-Forschung Hans Selye aus dem Jahre 1936. Selye hatte, überwiegend an Tieren, beobachtet, dass höhere Organismen auf alle Anforderungen, gleich welcher Art, mit der Ausschüttung von sogenannten Stresshormonen (u.a. Adrenalin und Noradrenalin) sowie typischen Veränderungen wie Blutdruck und Pulsanstieg, gesteigerter Durchblutung, Muskelanspannung und anderen Vorgängen reagieren. Dadurch wird der Körper in einen Zustand versetzt, der beispielsweise in Gefahrensituationen effektive Angriffs- oder Fluchtreaktionen ermöglicht. Auf Dauer begünstigen solche Stressreaktionen jedoch zahlreiche krankhafte Veränderungen, beispielsweise an Herz- und Kreislaufsystem, dem Immunsystem sowie den Organen der hormonellen Regulation und führen zu vorzeitiger Alterung. Seitdem gilt Stress als Risikofaktor Nummer eins für praktisch alle sogenannten Zivilisationserkrankungen vom Herzinfarkt bis hin zur Osteoporose. Unzählige Studien wurden durchgeführt, um die pathogene (die Entwicklung von chronischen Erkrankungen begünstigende) Bedeutung von Stress zu belegen bzw. näher zu untersuchen.

Auch ist erwiesen, dass viele mentale Störungen und seelische Probleme von Schlafstörungen bis hin zu Panikattacken, Phobien und Depressionen mit Stress und Überforderung durch innere und äußere Belastungen zusammenhängen. Stress kann krank machen – das ist zweifellos richtig. Wir reagieren auf zahlreiche Anforderungen unserer Umwelt und unseres Lebens in einer Weise, die uns (und andere) auf vielfältige Weise kränkt. Das gilt vor allem, wenn regelmäßig Zustände von Hilflosigkeit und Frustration, von Wut sowie gegen uns selbst und andere gerichtete Aggression, von Selbstunsicherheit und Erschöpfung auftreten. Stress lässt sich jedoch nicht vermeiden, und es ist auch gar nicht sinnvoll, das zu versuchen. Vielmehr kommt es darauf an, einen anderen Umgang mit Stress zu erlernen als jenen, der krank macht. Nicht nur, weil das moderne Leben mit einem wachsenden Maß von Anforderungen einhergeht und der Stress in unserer Gesellschaft nicht ab-, sondern zunehmen wird, sondern auch deshalb, weil Unterforderung, also die Eliminierung von Stress, ebenfalls krank macht. Auch Langeweile wird als eine Art von Stress erlebt. Der Volksmund weiß längst, dass man sich nicht nur zu Tode arbeiten, sondern auch zu Tode langweilen kann. Das hat sich insbesondere in Zeiten weit verbreiteter Arbeits- und Beschäftigungslosigkeit gezeigt. Die Wissenschaft hat auch hierfür einen eigenen Begriff: Hypostress. Unter Hypostress verstehen wir Stress durch Unterforderung, die zu Langeweile, Lethargie und Gleichgültigkeit führt.

Vom Dysstress zum Eustress
Salutogenese – die Quellen der Gesundheit
Verstehbarkeit: Comprehensibility
Handhabbarkeit: Manageability
Bedeutsamkeit: Meaningfulness
Salutogenetische Medizin

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Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Frank Meyer
Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren
Burgschmietstr. 54
90419 Nürnberg

Dr. med. Frank Meyer arbeitet als anthroposophischer Hausarzt in Nürnberg. Er ist langjähriger Mitarbeiter der Zeitschrift „Info 3 – Anthroposophie im Dialog“ und als Dozent in der Ärztefortbildung zu komplementärmedizinischen und anthroposophischen Themen tätig. Autor von „Besser leben durch Selbstregulation – Ein heilsamer Begleiter durch Gesundheit und Krankheit“, Verlag: Info Drei, Frankfurt 2008, ISBN - 978-3-924391-38-6



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Naturheilpraxis 08/2009