FACHFORUM

Reich ist noch lange nicht vermögend

Reflexionen über Potenz, Impotenz und eine globale Finanzkrise

Von Margret Rupprecht

Hippokrates, schon immer gut für ein Zitat, schrieb im fünften Jahrhundert v. Chr. den denkwürdigen Satz: „Krankheiten befallen uns nicht aus heiterem Himmel, sondern entwickeln sich aus täglichen kleinen Sünden wider die Natur. Wenn diese sich gehäuft haben, brechen sie scheinbar auf einmal hervor.“ Wer therapeutisch tätig ist, weiß, wie breit die Grauzone zwischen Weiß und Schwarz, zwischen gesund und krank sein kann. Das gilt für einen individuellen Patienten ebenso wie für komplexe Systeme, seien es Staaten oder das globale Finanzmarktsystem.

Betrachtet man das derzeitige Desaster an den Finanzmärkten aus einer therapeutischen Perspektive, wird bald deutlich, dass es hier um mehr geht als nur um die momentan vieldiskutierten Charakterschwächen Habsucht und Gier. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte ist – auch – als Zusammenbruch eines Männerbildes zu verstehen, das von Anfang an mehr versprach, als es halten konnte. Wenn sich ein Banker wie Josef Ackermann, Vorstand der Deutschen Bank, hinstellt und von 25%igen Renditen spricht, produziert er sich als einen Typus Mann, der längst der Vergangenheit angehören sollte. „Helden“, die, so lehrt es die Erfahrung, nicht halten können, was sie versprechen, kennt die abendländische Kultur seit mindestens drei Jahrtausenden. Bereits Homers Ilias berichtet von ihnen. Troja, das von so vielen namhaften Recken verteidigt wurde, ging in Bausch und Bogen unter. Helden – oder besser gesagt: solche, die sich dafür halten – prahlen mit einer Potenz, die von dem, was realistisch ist, weit entfernt liegt. Wer je unternehmerisch tätig war, und sei es, dass er nur einen Bauernhof bewirtschaftet hat, weiß, dass jährliche Renditen im zweistelligen Bereich auf Dauer nicht zu halten sind. Das macht die Natur nicht mit, es sei denn, man putscht sie auf. Doch auch erzwungenes Wachstum, das die Gesetze des Organischen zu unterlaufen versucht, funktioniert nur für eine gewisse Zeit und kommt an ein natürliches Ende. Systeme, die lange Zeit hochtourig gefahren wurden, neigen ab einem gewissen Punkt zum Kollabieren. Euphorie kippt ab in die Depression, Größenwahn in den Zusammenbruch. Für biologische Systeme gilt dies in besonderer Weise, also auch für den Menschen und in diesem Fall: für den Mann.

Die derzeitige Krise auf den Finanzmärkten ist – auch – eine Krise des traditionellen Männerbildes. Das Modell „Held“ funktioniert nicht mehr. Eine Gesellschaft, deren Männer mehr und mehr zu Viagra® greifen müssen, um eine Kraft vorzutäuschen, die von Natur aus schon längst nicht mehr vorhanden ist, erlebt zwangsläufig auch den Potenzverlust ihres wirtschaftlichen Systems. Die Viagra®-Indikation Impotenz, die von einzelnen Männern als individuelles Problem erlebt wird, ist in Wirklichkeit längst ein kollektives. Fachleute beschreiben sie bereits als „sanfte Ausrottung der Ersten Welt“ im physischen, aber vor allem auch im übertragenen Sinne. Nicht der Kapitalismus ist das Problem – er besitzt schließlich große Vorzüge –, sondern Psychogramm und Selbstbild derjenigen, die an seinen Schaltstellen sitzen. Neue Männer braucht das Land. Dann würde sich sein Wirtschaftssystem von selbst erholen.

Nicht der Reiche ist potent, sondern der Vermögende

Burn-out und Impotenz in der naturheilkundlichen Praxis

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Anschrift der Verfasserin:
Margret Rupprecht
Heilpraktikerin und Medizinjournalistin
Hohensalzaer Str. 6a
81929 München

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Naturheilpraxis 05/2009