Heilweisen verschiedener Länder

Trance auf Bali: Heilende Tänze

Von Walter Andritzky

Starr wie Bretter werden die Körper der Trancetänzer unter dem ohrenbetäubenden Dröhnen von Trommeln, Gongs und Flöten über die Köpfe einer Menschenmasse hinweg durch das schmale Tempeltor geschoben. Zwischen den, von geschwungenen Dächern überragten Plattformen, die mit bunten Tüchern geschmückt sind und von bis zu zwei Metern hoch aufgetürmten Reisopferschalen überquellen, sitzt hier ein hinduistischer pemangku-Priester. Helfer legen den schweißnassen, nur mit einem schwarz-weiß karierten Lendenschurz bekleideten Trancetänzer, dem am Oberkörper und an den Beinen einzelne Muskelstränge wie Stahlseile hervortreten, vor ihm auf den Boden. Wenige Spritzer mit thirta, dem heiligen Wasser aus dem Tempelbrunnen, das täglich unter Rezitation von mantras und mit bestimmten Gesten (mudras) von einem Brahmanen (pedanda) hergestellt wird, genügen, und der Mann taut buchstäblich auf, öffnet die Augen, der Körper entspannt sich und innerhalb von etwa drei Minuten erhebt er sich und verlässt ohne ein Wort gesprochen zu haben sicheren Schrittes den Tempelraum.

Wir waren schon am frühen Nachmittag nach Timbrah gekommen, einen kleinen Ort nahe Klunkung, einer der sechs altbalinesichen Königsstädte. In dessen berühmten Gerichtspavillon mit seinen eindrucksvollen Höllengemälden wurde noch bis zum Jahre 1908 nach alt-balinesischem Recht geurteilt. Ketut Suryani von der Udayana-Universität in Denpasar, eine der fünf PsychiaterInnen dieser Insel der Götter mit ihren zweieinhalb Mio Einwohnern, bereitete eben einen ersten internationalen Kongress für traditionelle Medizin vor. Sie hatte mir empfohlen, dieses Ereignis nicht zu versäumen. Es sollte mir Bali von einer Seite zeigen, die mich als Psychotherapeuten besonders interessierte, nämlich eines der berühmten Trancerituale zu erleben. Zweifellos handelt es sich hier um Heilrituale, wenngleich mir versichert wurde, dass die Trancetänzer psychisch unauffällig seien. Besonders interessierte mich jedoch das ganze Drumherum, die Vorbereitungen und zwischenmenschlichen Vorgänge, die alles begleiten. Wurde hier durch einen veränderten Bewusstseinszustand, bestimmte Formen des sozialen Austauschs und der Anregung körpereigener psychoaktiver Stoffe eine Art Depoteffekt erzeugt, der der Wirkung unserer Psychopharmaka weit überlegen scheint? Mir wurde klar, dass unsere Psychotherapiemethoden und die moderne Psychiatrie dem Klienten keine auch nur annähernd vergleichbare Erfahrungsräume zu bieten haben, obgleich sie sich gerne „sozialpsychiatrisch“ und „gemeindenah“ nennt. Das Einleiten eines veränderten Bewusstseinszustandes scheint sich heute als eine Grundvoraussetzung für tiefergehende therapeutische Prozesse herauszustellen. Hier gibt es wie in Amerika mit den sakralen Heilpflanzen jahrhundertealte Erfahrung damit. Das Ausschalten des Alltagsbewusstseins, scheint ganz unabhängig von der Art der Beschwerden eine Voraussetzung für Bewusstseinserweiterung und Heilprozesse zu sein, die simultan auf körperlicher und seelischer Ebene verlaufen. Was geschieht hier in Timbrah und den anderen Tempeln Balis, wie steht dies alles in Zusammenhang mit der balinesischen Kultur? Fred B. Eisemann bemerkt im ersten Band seines Bali-Buches Sekala & Niskala (Jakarta: Java Books 1992), dass die Trancetänzer in jeder Hinsicht als normal gelten, der Trancezustand jedoch auch Gelegenheit zu heftigen Gefühlsausbrüchen gibt: Die Tänzer befinden sich schon Stunden vorher in einem inneren Erregungszustand, weinen, zittern und zucken. Beim Tanzdrama Barong, wo der Kampf zwischen gut und böse durch die Hexe Rangda und ein löwenähnliches Wesen, den Barong dargestellt wird, empfinden die Trancetänzer nach eigenen Aussagen tiefen Hass auf die Figur der Rangda, manche werden wild, verletzen sich mit ihren Dolchen, die sie durch einen Zauber der Rangda veranlasst, gegen sich selbst richten, so dass sie von mehreren Personen festgehalten werden müssen. Sie fühlen sich danach ob ihres Verhaltens peinlich berührt, während die Dorfbewohner glauben, sie seien vorübergehend von kalas, bösen Dämonen besessen. Hindupriester der unteren Kasten, sind die sog. sadegs, welche nach einer ernsten Erkrankung meist psychischer Art als Spezialisten für die Trance gelten, praktizieren die Trance offenbar als Selbstheilungsrituale. Ist sie eingetreten, dann führen andere Priester, die pemangkus eine Art Dialog mit dem Besessenen, der sich jetzt in der religiösen Hochsprache äußert und zuletzt meist Verpflichtungen erhält, bestimmte Zeremonien oder Opfer auszuführen.

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Kulturelle Integration der Trancerituale

Vom Sinn der täglichen Opfer

Ein Haus beginnt zu leben

Tempelfeste alle Tage

Galungan und Kuningan

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Anschrift des Verfassers:
Dr. Walter Andritzky
Psychologische Praxis
Kopernikusstr. 55
40225 Düsseldorf

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Naturheilpraxis 10/2008