FACHFORUM

Von der Heilkraft des Weinsteins

Von Olaf Rippe

„Wein hat eine große Quinta Essentia in sich und dadurch hat er viele seltsame Wirkungen“ (Paracelsus)

In sämtlichen alten Kräuterbüchern und auch bereits in antiken Schriften, werden die Heilwirkungen des Weins ausführlich gewürdigt. So liest etwa man im Kräuterbuch des Matthiolus (1562): „... der Wein sey das Blut der Erden. Nichts bessers ist/ die Natur zu kräfftigen/ dann guter natürlicher Wein/ der an der Substanz subtil und lauter/ an der Farb schön/ am Geruch und Geschmack lieblich/ an der Zeit nicht jung oder sehr alt sey (...). Solcher Wein getruncken/ bringet lust zum Essen/ bessert die dewung (Verdauung)/ wird leichtlich in allen Gliedern zertheilt und verwandelt/ macht eine schöne Farb/ vertreibt die Schwermütigkeit/ und stärckt in Summa alle natürliche Kräfften.“

Wein wirkt also anregend auf alle Lebensprozesse. Wen wundert es da, dass man ihn als zentralen Bestandteil in fast allen Lebenselixieren findet. Aber nicht nur der Wein selbst ist ein wertvolles Heilmittel. „Viele Kräfte werden nämlich im Weinstein gefunden, mehr als im Weine“ (Paracelsus).
Weinstein (lat. tartarus) ist ein Bestandteil des Mostes der Weintrauben, der sich als harte kristallinische Kruste an den Wänden von Weinfässern absetzt. Roher Weinstein (Tartarus crudus) ist je nach Weinsorte etwas anders gefärbt.

Der Signaturenkundige sieht in der Entstehung des Tartarus eine Analogie zu Prozessen im Stoffwechsel des Menschen. Im alchimistischen Sinn ist der Weinstein eine Ausfällung (Koagulation) von etwas Grobem, Festen, dem Element Erde verwandt, aus einem flüssigen Milieu, also dem Element Wasser. Man kann dies auch als Metamorphose des Vegetabilen in etwas Mineralisches betrachten. Betrachten wir den Menschen, so finden wir hierin eine Analogie in der Ablagerung von Schlacken infolge eines Stoffwechselgeschehens. Besonders in Gelenken, aber auch in anderen Hohlräumen des Körpers (entspricht dem Weinfass) wie in Galle und Niere oder in den Blutgefäßen selbst, kann es unter bestimmten Bedingungen zu Ausfällungen kommen. Paracelsus nannte diese Art von Krankheiten wie Gicht, Rheuma, Arthrose, Gallen- und Nierensteine oder Sklerose folgerichtig „Tartarische Leiden“.

Nach dem Gesetz der Homöopathie ist Weinstein aber nicht nur ein Spiegelbild der Krankheit, sondern auch ein wichtiges Heilmittel bei einer Tendenz zu Ablagerungen, hierzu muss er jedoch speziell aufbereitet werden.

Durch die Reinigung des rohen Weinsteins, bei der man den weinsauren Kalk entzieht, entstehen harte Kristallkrusten, die man als Tartarus depuratus bezeichnet; dieser ist weiß, geruchlos, schmeckt schwach sauer, ist in Wasser schwer löslich und in Alkohol praktisch unlöslich.

Er dient als Ausgangsstoff für die Weiterverarbeitung, z.B. mit Antimon zu Brechweinstein (= Tartarus stibiatus, Antimonium tartaricum, Tartarus emeticus), einem der wichtigsten Mittel bei chronischen Krankheiten (ab D4) zur Regeneration, vor allem bei Lungenleiden wie Asthma oder chronischer Bronchitis, Wassersucht, Herzinsuffizienz, Gastritis und Geschwüre von Haut und Schleimhaut sowie bei Brechdurchfall; alle Symptome sind mit Mattigkeit und Schwäche verbunden. Früher verwendete man Brechweinstein auch als Purgativum, was ja bereits der Name besagt; wegen der Giftigkeit ist dies jedoch bei einer falschen Dosierung mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, außerdem ist das Mittel wie alle Antimonverbindungen rezeptpflichtig.

Doch der gereinigte Weinstein ist an sich bereits eine wertvolle Arznei. Man gebrauchte ihn früher zur Behandlung chronischer Hautleiden, als Ableitungsmittel über Niere, Leber und Darm und vor allem zur Behandlung bei Steinbildungen in den ausscheidenden Organen.

Man findet Bemerkungen über Weinstein in praktisch jedem Alchimiebuch, so heißt es im „Chymischen Handleiter“ von 1674: „Die Kräffte dieses gereinigten Tartari seynd diese; erstlich löset er auf/ und machst die grobe und tartarische Humores, welche die Verstopfungen des oberen Leibes verursachen/ dünne/ derowegen kann man ihn für die Verstopfung der Leber/ des Milzes/ des Mesenterii und Pancreasis/ oder Rückleins/ wie auch der Nieren gebrauchen/ fürnemlich aber erweiset er seine Tugend in den melancholischen Kranckheiten/ die ihren Sitz in den Hypochondrien haben. Auch melden alle Authores, dass es ein Digestivum universale sey.“ Der gereinigte Weinstein wirkt als Resolvens also kühlend, digestiv, diuretisch, auflösend und ausscheidend.

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Literatur:
– Le Febure: Neuvermehrter Chymischer Handleiter. (Bd. 1-3; 1674). Nachdruck Edition Hornfisher 1997.
– Paracelsus: Sämtliche Werke (Hrsg. Aschner, Bernhard), 1926 – 1932. Anger – Verlag Eick, Nachdruck 1993.
– Rippe, Olaf u.a.: „Paracelsusmedizin“; AT-Verlag, 2001
– Rippe, Olaf / Madejsky, Margret: „Die Kräuterkunde des Paracelsus“; AT-Verlag, 2006
– Schmitt, Erich: Weinstein-Präparate. Zeitschrift Naturheilpraxis 06/2001 u. 07/2001, Pflaum Verlag, 2001.
– Schröder, Johann: Chymische Apotheke oder höchstköstlicher Arzney-Schatz (1685). Kölbl-Verlag; Nachdruck 1963.

Anschrift des Verfassers:
Olaf Rippe
Heilpraktiker
Stuntzstr. 77
81677 München
Tel.: 089/2725902
Fax: 089/27349566
E-Mail: o.rippe@natura-naturans.de
Homepage: www.natura-naturans.de

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