Schmerz und Depression

Skelett und Schmerz

von Wolfgang Weigl

Der Begriff Skelett stammt ab vom griechischen skeletós (ausgetrocknet) und bedeutet soviel wie „Mumie“.

Vor allem im Spätmittelalter, der Blütezeit von Skelett- und Schädeldarstellungen, kennzeichnete es das Beständige am Vergänglichen. Fleisch- und lust-empfindungslos setzen die Gerippe an zum verzweifelten Totentanz, den Leiden der Pest und der Seuchenzügen des Mittelalters trotzend.

Frivole Selbstdarstellungen mittels der neuerfundenen Röntgenstrahlen kokettieren mit dem unausweichlichem Tod, dem Innwendigsein des Lustempfindungslosen in der sinnesfreudigen Fleischeshülle, überzeichnet noch durch das sichtbare Tragen von Schmuck auf der „Gerippedarstellung“.1

Schmerzempfindungen den Knochen zuzuschreiben betont noch die gefühlte Unmöglichkeit von psychischer und leiblicher Beeinflussung, da es angstbesetzt als unabwendbar und auf das Ende hinweisend empfunden wird.

Selbstbeeinflussung ist nicht gefragt, Reparaturmaßnahmen wie an einem Brückenbauwerk sollen die „Tragfähigkeit“ bis ins Ordentliche verlängern. Um so ernüchternder sind nun noch Schmerzen, die den Knochen zu entstammen scheinen, aber keinerlei Bildgebung (mit den heutigen Apparaturen) zugänglich sind.

Morbus Sudeck:2 So schlimm die Krankheit ist, so kann sie doch in diesem Sinne ein „gelungenes“ Zusammentreffen aller Zeichen zeigen: chronische brennende Schmerzen (die häufig diffus und in der Tiefe lokalisiert werden) ohne Läsion größerer Nerven, Funktionseinschränkungen und Veränderungen im vegetativen Nervensystem, anfangs ödematöse Schwellung gefolgt von trophischen Störungen, die bis zur Ausbildung einer erheblich funktionsgeminderten sogenannten „Affenhand“ gehen können.
Die klinischen Zeichen sind variabel und beinhalten:
Sensible Störungen einschließlich spontaner Brennschmerzen und Allodynie.
Veränderungen des Blutflusses und des Schwitzens im Bereich der betroffenen Extremität und eine ödematöse Schwellung,
Störung des motorischen Systems, hauptsächlich eine aktive und passive Funktionseinschränkung und seltener ein Tremor oder eine Dystonie sowie
Trophische Veränderungen an der Haut, den Hautanhangsgebilden, Gelenken und KnochenAls typisches Merkmal zeigen diese Patienten im Verlauf eine fleckige Entkalkung der Knochen („aktive Atrophie“).

Das Ausmaß der durch das CRPS entstandenen Beeinträchtigung steht im krassen Missverhältnis zum Schweregrad des auslösenden Ereignisses. Unabhängig von der Lokalisation der auslösenden Verletzung sind alle Symptome akral betont an der gesamten distalen Extremität vorhanden. Sie sind nicht auf das Ausbreitungsgebiet peripherer Nerven und Nervenwurzel begrenzt und bestehen auch in Arealen, die nicht durch das ursprüngliche Trauma verletzt wurden. Aufgrund klinischer und pathophysiologischer Gesichtspunkte ist es sinnvoll, komplexe regionale Schmerzsyndrome (CRPS), die nach Traumen der Extremitäten ohne offensichtliche Nervenläsionen entstehen, von solchen abzugrenzen, die mit Residuen einer peripheren Nervenläsion assoziiert sind. Dieser Unterscheidung wird durch die Bezeichnung CRPS Typ I und CRPS Typ II (mit Nervenläsion) Rechnung getragen.

Diagnostische Sympathikusblockaden (Grenzstrangblockaden mit Lokalanästhetika) können frühzeitig durchgeführt werden, nur bei gutem Ansprechen auf Schmerzen, autonome und motorische Symptome sind Blockadeserien sinnvoll. Eine Blockade sensibler Nerven (z.B. Plexusblockaden oder –katheter) erlauben keine abgestufte Therapie anhand des klinischen Verlaufs. Es besteht somit die Gefahr, dass die beim CRPS so wichtige Warnfunktion des Schmerzes bei zu forcierter Physio- oder Ergotherapie ausgeschaltet wird.

Anm.:
1 siehe dazu: Kerstin Gernig, Skelett und Schädel, in: C. Benthien, Ch. Wulf (Hg.), Körperteile, eine kulturelle Anatomie, Reinbeck 2001, 401-423, Bilder aus dieser Arbeit
2 modern CRPS I (complex regional pain syndrom), zuerst von Mitchell 1872 als „Kausalgie“ (gr. kausis = brennen) bei verwundeten Soldaten beschrieben, Evans 1936 Sympathische Reflexdystrophie, im Deutschen meist nach Paul Sudeck (1902) benannt.
3 Abbildungen nach Netters Orthopädie, 2001, 69
4 Abb. aus Der Schmerz 21/4/August 2007/315 nach Maihöfner et al. (2003) Patterns of cortical reorganization in complex regional pain syndrom. Neurology 61: 1707-1715, Fig.4.
5 nach Engel 1959, Egle u. Hoffmann 1990 in: Egle et. al, Handbuch chronischer Schmerz, Stuutgard 2003, 595
6 R. Baron, Ch. Maier, H.W. Ulrich, in: Lehrbuch der Schmerztherapie, Stuttgard 2001,635
7 I.W. Husstedt, in: Gralow, Husstedt et al., Schmerztherapie interdisziplinär, Stuttgard 2002, 225

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Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Wolfgang Weigl
Wiesmühl 30
84529 Tittmoning
Anästhesist, spezielle Schmerztherapie, Hypnose, manuelle Medizin

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