MEDIZINGESCHICHTLICHE BETRACHTUNG

Vom Aderlassen, Schröpfen und Blutegelsetzen ...

Ein Streifzug durch Antike, Mittelalter und Neuzeit

Von Angelika Schaller

Ausgehend von der Bewässerungstheorie der Babylonier und entwickelt von der mesopotamischen Medizin im 2. vorchristlichen Jahrtausend nutzt der Aderlass die Erfahrungen einer ariden Oasenkultur. Diese hatte im Wüstenklima festgestellt, dass es nicht reicht, nur zu bewässern, sondern dass man, wenn man das Erkranken des Bodens durch Versalzen vermeiden will, regelmäßig auch entwässern muss. Der mesopotamische Aderlass skarifiziert die Haut mit den Dornen der Schröpfgeißel und setzt auf die so blutdurchlässig gemachte Partie den erwärmten bronzenen Schröpfkopf auf, der beim Abkühlen in seinem Hohlraum einen Unterdruck erzeugt und so Blut aus der Haut austreten lässt. Neben diesem Nassschröpfen kannte die mesopotamische Medizin auch das Trockenschröpfen. Hier wurde die Haut nicht skarifiziert, und an der Stelle, wo der Schröpfkopf aufgesetzt wurde, bildete sich durch den Unterdruck lediglich eine Hyperämie. Das Trockenschröpfen hat Roman Polanski an seinem Professor im ‚Tanz der Vampire’ vorgeführt; eine gute Darstellung des Nassschröpfens im Nacken findet sich bei Bunuel in ‚Viva la Muerte’.

Der Aderlass in Antike und Mittelalter

Nicht unwesentliche Impulse erfuhr der Aderlass in der Antike. Hier konzentrierte man den Blutentzug auf oberflächliche, gestaute Venen. Zentrale Stellen waren Handrücken und Ellenbogenbeuge (Cephalica-Wurzel zwischen Daumen und Zeiger; Vena mediana). Der neben Hippokrates berühmteste Arzt der Antike, Galen, hielt für den Aderlass vierzig Jahre als untere und sechzig Jahre als obere Altersgrenze für richtig. Zum Aderlassen und Schröpfen verwendete man Flieten (Lanzetten oder Stilette), oft setzte man aber auch Schröpfköpfe aus Glas oder Horn an. Ungefähr ein Viertelliter Blut wurde entnommen. An Sturmtagen durfte nicht zur Ader gelassen werden. Nach dem Aderlass sollte man nur leichte Kost zu sich nehmen und wach bleiben, um – humoralpathologisch gesehen – sich nicht zu „erkälten“.

In der Enzyklopädie von Aulus Cornelius Celsus (Mitte 1. Jh. n. Chr.) findet sich der Blutentzug nuancierter angewandt als in früheren Jahrhunderten. So empfiehlt Celsus den Blutentzug im Falle einer Entzündung oder eines akuten Fiebers; manchmal auch bei einem Bluterguss, um den Lauf des Blutes umzuleiten. Celsus schlägt zwei Arten von Schröpfköpfen vor, aus Bronze oder Horn, ebenso wie er detailliert auf das Kauterisieren mit Brenneisen eingeht und sich darüber hinaus mit nekrotisierenden Ätzmitteln befasst: Die frühmittelalterliche Brennstellen-Graphik hat die Entwicklung der Aderlass-Ikonographie mitbestimmt.

Nach antiker und mittelalterlicher Auffassung resultierten Krankheiten primär aus Störungen des Gleichgewichts der „humores“ (Körpersäfte) und der damit verbundenen „qualitates“; folgerichtig bestand die medikamentöse Therapie vor allem im Einsatz von „Purgantia“ (Reinigungsmittel). Sie sollten den Körper von auszuscheidenden, das heißt überflüssigen und schädlichen Stoffen, befreien (etwa durch Aderlass oder Hiera-Mittel) – eine Vorstellung, deren letzter Rest sich in der Anwendung von Blutreinigungstees bis heute erhalten hat.

Volle Entfaltung und Systematisierung erfuhr der Aderlass seit dem späten Frühmittelalter. Hier wurde die für einmaliges Lassen erlaubte Blutmenge auf etwa 37 ccm normiert; hier wurde das Lassbecken (Berufszeichen der Friseure bis 1970) eingeführt, und hier sorgten die Lassbecher für eine fraktionierte Beurteilung unterschiedlicher Blutfraktionen (man unterschied den Anfang, die Mitte und das Ende des Lassvorgangs). Durch optische und mechanische Kontrollen des Gerinnungsvorgangs entwickelte das Frühmittelalter eine detaillierte Blutschau (makroskopische Hämatodiagnostik), die entsprechend der gültigen Humoralpathologie Rückschlüsse auf die Krankheitsentstehung und die daran beteiligten „schlechten Säfte“ erlauben sollte. Seit dem 9. Jahrhundert lässt sich aufgrund einer westfränkischen Vorlage die Genese einer eigenen Literaturgattung beobachten, die wir unter dem Stichwort „Blutschaukataloge“ zusammenfassen.

Aderlassmännlein und Tierkreiszeichen

Manie, Mode und Missbrauch

Komplikationen und Zwischenfälle

Der „schwarze Tod“ bleibt immun

Tanz der Blutegel

Literatur:
BERGDOLT (1989): Die Pest 1348 in Italien. Fünfzig zeitgenössische Quellen. Herausgegeben und übersetzt von Klaus Bergdolt, Heidelberg 1989
KEIL (1999): Gundolf Keil: Der Aderlass, in: Lexikon des Mittelalters, I-X, München und Zürich (1987-)1980-1999, Neudruck unter Textverlust, reduziert auf 9 Bände, Stuttgart 1999, hier: I, Sp 150f.
KÜNZEL (2000): Max Künzel, Beilngrieser Äderlassmännlein, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen, 19, S. 153-176, Würzburg 2000
PFEIFER (2000): Medizin der Goethezeit. Christoph Wilhelm Hufeland und die Heilkunst des 18. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2000

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Anschrift der Verfasserin:
Dr. Angelika Schaller
Kunzweg 21a
81243 München

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